Engel, Johann Christian von, deutschungarischer Historiker, * Leutschau (Lőcse) 17.10. 1770, † Wien 20.03.1814.
Leben
Aufgewachsen als Sohn deutscher Eltern protestantischer Konfession besuchte E. zuerst das Gymnasium in Leutschau, später in Preßburg, und ging im Jahre 1788 nach Göttingen. Sein Studium an der dortigen Universität, dem allen geistigen Strömungen der Aufklärung recht aufgeschlossenen Zentrum der Geistes- und Geschichtswissenschaft in Deutschland, hat E.s spätere wissenschaftliche Arbeit nachhaltig beeinflußt. E.s bedeutendster Lehrmeister wurde August Ludwig Schlözer, der Begründer der geschichtlichen Ost- und Südosteuropaforschung, der E. ganz für dieses damals noch so neue Forschungsgebiet zu gewinnen vermochte.
Nach Abschluß seiner Studien erhielt E. im Jahre 1791 auf Verwendung von Graf Sámuel Teleki eine Beamtenstelle an der siebenbürgischen Hofkanzlei in Wien, der Teleki zu dieser Zeit Vorstand. Dank seiner überraschenden Erhebung in den ungarischen Adelsstand rückte E. rasch in der Hierarchie höher (1795 Kanzlist, 1799 Hofkonzipist, 1812 Hofsekretär) und hatte ab 1794 auch das Amt eines Bücherzensors inne. 1799 wurde ihm wegen seiner umfassenden Sprachkenntnisse die Zensur der südslawischen und neugriechischen Bücher anvertraut. Diese Tätigkeit ermöglichte ihm den völlig freien und für seine historischen Arbeiten höchst wertvollen Zutritt zu den Beständen der Hofbibliothek und der öffentlichen Sammlungen. Als Frucht eines ungeheuren Arbeitsfleißes brachte E. nun in kurzer Folge seine historischen Werke heraus, in denen er mit Akribie eine Unmenge von Materialien, darunter auch handschriftliche Quellen verwertete. Sein erstes Werk war die „Geschichte von Halitsch und Wladimir bis 1772 ...“ (Wien 1792/93, in einer überarbeiteten Ausgabe 1796 um die Geschichte der Ukraine erweitert). Die 1795 in Wien erschienene „Commentatio de expeditionibus Trajani ad Danubium et origine Valachorum“ brachte E. einen Preis der „Göttinger Gelehrten Gesellschaft“ ein. Gestützt auf die von Ludwig Albrecht Gebhardi geleisteten Vorarbeiten, die E. mit seiner kritischeren Arbeitsweise sowie an Stoffkenntnis und Belesenheit weit übertrifft, erhält E.s Hauptwerk über die „Geschichte des ungarischen Reiches und seiner Nebenländer“ in der ungarischen Historiographie einen bleibenden Wert. Erschienen als 48. und 49. Teil der Hallenser „Fortsetzungen der allgemeinen Welthistorie“ (1797/1804) konzentriert sich E. hier ganz auf die „Nebenländer“ und behandelt eingehender als Gebhardi die Geschichte der Rumänen, Bulgaren und Serben, darüber hinaus die Geschichte des alten Pannoniens, von Dalmatien, Kroatien, Slawonien und Bosnien. Am verdienstvollsten bleibt davon E.s bulgarische Geschichte, die erste auf moderner wissenschaftlicher Grundlage, eine übersichtliche und lesbare, gründlich gearbeitete Darstellung. Zur Ergänzung seiner ungarischen Forschungen verfaßte E. eine fünfbändige „Geschichte des Königreiches Ungarn“ (Wien 1814/15). Die in ihrer originellen Komposition recht bemerkenswerte Monographie über die „Geschichte des Freistaates Ragusa“ (Wien 1807) stellt die übersichtlichste und lesbarste Arbeit von E. dar. Außerdem gab E. noch eine Quellensammlung zur Geschichte Ungarns heraus („Monumenta ungarica“, Wien 1809).
Im Gegensatz zu seinem ungleich berühmteren Fachkollegen, dem etwas älteren Ignatius Aurelius Feßler, dessen zehnbändige deutsche Bearbeitung der ungarischen Geschichte erst nach E.s Tod erschien (Leipzig 1815/25), und der darin geschickt die großen Zusammenhänge in der Entwicklung des ungarischen Staatswesens hervorhebt, steht bei E. stets die Ausbreitung von Einzelheiten, oft auch von minder Wichtigem im Vordergrund. Diesem Mangel an Konturen, an Verständnis für übergeordnete Zusammenhänge steht E.s Begabung gegenüber, neue, bis dahin unbekannte Quellen aufzufinden und auf sie hinzuweisen und seine Arbeiten zusammen mit zahlreichen quellenkundlichen Anregungen zu sehr brauchbaren Faktensammlungen auszugestalten, die viel zur Erhellung mancher Perioden der ungarischen Geschichte beigetragen haben.
Als Historiker war E. ganz der deutschprotestantischen Aufklärung verpflichtet. Seine Bedeutung liegt in der zuverlässigen, obgleich mehr trockeneren Erschließung eines weit ausgedehnten Stoffes, womit er die Erforschung der Geschichte der Balkanvölker einleitete. Darüber hinaus stellte E., der ganz als Ungar fühlte, sein Werk in den Dienst der nationalen Erweckungsbewegung der Magyaren wie der sie umgebenden Völker, mit denen er vielfache Beziehungen, meist mit Fachkollegen, die ihn in ihre gelehrten Gesellschaften aufnahmen, unterhielt. Trotz seines frühen Todes infolge der Überanstrengung seiner Kräfte hat E. mit seinen historischen Studien Bedeutendes zum Prozeß der nationalen Selbstfindung bei den südosteuropäischen Völkern beigetragen.
Literatur
Flegler, Alexander: Beiträge zur Würdigung der ungarischen Geschichtsschreibung. III. In: Hist. Z. 19 (1868) 285-291.
Thallóczy, Ludwig von: Johann Christian von Engel und seine Korrespondenz 1770-1814. Zur hundertsten Wiederkehr seines Todestages. München, Leipzig 1915 (vgl. Rezension von E. Fueter in: Hist. Z. 118 (1917) 322-323).
Hudak, Adalbert: Slowakeideutsche Gelehrte und ihr Beitrag zum deutschen Geistesleben. In: 800 Jahre Slowakei-Deutschtum. Stuttgart 1950, 99-107.
Valjavec: Bd 3, 53, 295-296.