Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Abdülmecid I.
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Abdülmecid I.

Abdülmecid I., osmanischer Sultan 1839-1861, * Istanbul 23.04.1823, † ebd. 25.06.1861, Sohn Sultan Mahmuds II.

Leben

A. folgte am 1. Juli 1839 mit 16 Jahren seinem Vater auf den Thron, kurz vor dem Eintreffen der Nachricht über die verlorene Schlacht gegen die Ägypter bei Nizib - an der auch der spätere Generalfeldmarschall von Moltke teilnahm - und der Desertion der türkischen Flotte nach Alexandrien.
Unter dem Einfluß des reformfreudigen Außenministers Mustafa Reşid Pascha, der zugleich die öffentliche Meinung in Europa für die Türkei einnehmen wollte, wurde am 3. November 1839 vor dem Kiosk von Gülhane das kaiserliche Schreiben verlesen, das in die europäische Geschichte als Hattischerif (hattışerif) von Gülhane einging und die Epoche des Tanzimat (eig. Plural: „Ordnungen“) einleitete. Durch die Londoner Konvention vom 15. Juli 1840 zwischen England, Österreich, Rußland und Preußen über die Wahrung der Integrität des Osmanischen Reiches und durch den Zusammenbruch der ägyptischen Macht in Syrien konnte die außenpolitische Krise überwunden werden. Im Meerengenvertrag vom 13. Juli 1841 mit Beteiligung Frankreichs wurde fremden Kriegsschiffen die Durchfahrt durch die Dardanellen und den Bosporus untersagt.
Die folgenden Jahre sahen im Inneren sowohl Reformversuche als auch Unruhen und Aufstände an vielen Orten. Durch Gesetz vom 6. August 1843 wurde die Armee neugeordnet, 1841 das Progymnasium (Rüşdiye) für Jungen, 1858 auch für Mädchen eingeführt, die Währung seit 1844 durch die Prägung verschiedener Denominationen unter dem Namen Mecidiye verbessert, 1845 mit der Schaffung einer Universität (Darülfünun) begonnen, 1849 das erste Gymnasium (Darülmaarif) gegründet. Aufstände, z. T. gegen die neue Ordnung, erfolgten u. a. in Albanien, Kurdistan, den Donaufürstentümern, dem Libanon und Bosnien. Gegenüber den österreichischen Forderungen auf Auslieferung der in die Türkei geflohenen ungarischen Revolutionäre von 1848/49 zeigte sich die Pforte unnachgiebig.
Als Reaktion auf die französischen Wünsche nach einer Besserstellung der Katholiken bei den Heiligen Stätten in Palästina erinnerte Rußland unter Berufung auf den Vertrag von Küçük Kaynarca (Kjučuk Kajnardža) 1774 an seine angebliche Schutzherrschaft über die Orthodoxen in der Türkei. Die wachsenden russischen Forderungen klangen aus in einem Ultimatum und der Besetzung der Donaufürstentümer im Sommer 1853, was nach vergeblichen Konferenzen der Großmächte am 4. Oktober 1853 zur osmanischen Kriegserklärung führte. Nach der erfolglosen Belagerung von Silistra (28. 05.-21.06.1854) räumten die Russen die Fürstentümer, doch der Krieg ging unter Beteiligung von England und Frankreich auf der Seite der Pforte weiter (Krimkrieg) und endete erst nach der alliierten Invasion auf der Krim (September 1854) und der Eroberung von Sevastopol (8.09.1855) durch den Frieden von Paris (30. 03. bzw. 27.04.1856); die Meerengen blieben geschlossen, Rußland wurde territorial von der Donau abgedrängt und die Türkei offiziell in die europäische Völkerfamilie aufgenommen.
Kurz vor dem Beginn der Pariser Verhandlungen wurde am 18. Februar 1856 das zweite Reformgesetz verkündet, das in der europäischen Geschichtsschreibung als Hatti-humajun (Hattıhümayun) bekannt geworden ist, obwohl diese Bezeichnung nach osmanischem Sprachgebrauch auch anderen kaiserlichen Erlassen, so etwa dem Hattischerif von 1839, zukommt. Die Reformpläne von 1839 wurden bekräftigt und vor allem den christlichen Untertanen Sicherheiten zugesagt; gerade in dieser Hinsicht war der Zeitpunkt der Verkündung gut gewählt, und der Pariser Vertrag nahm denn auch keine Schutzbestimmungen für die Minderheiten auf.
Die letzten Regierungsjahre A.s waren von Aufständen im Libanon und Hedschas, den Kämpfen mit Montenegro, den Vereinigungsbestrebungen der Donaufürstentümer, einer Finanzkrise und zunehmender Unzufriedenheit erfüllt. A. wurde nach seinem Tode 1861 in einem bescheidenen Grabmal in der Umgebung der Moschee Sultan Selims I. in Istanbul beigesetzt.

Literatur

Rosen, Georg: Geschichte der Türkei von dem Siege der Reform im Jahre 1826 bis zum Pariser Tractat vom Jahre 1856. 2 Bde. Leipzig 1866/67.
Bamberg, Felix: Geschichte der orientalischen Angelegenheit im Zeiträume des Pariser und des Berliner Friedens. Berlin 1892.
von Moltke, Helmuth: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin 1893(6).
Tanzimat. Bd 1. Istanbul 1940.

GND: 118893106

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118893106.html


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Empfohlene Zitierweise: Hans-Jürgen Kornrumpf, Abdülmecid I., in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 7-8 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=391, abgerufen am: (Abrufdatum)

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