Kalojan, bulgarischer Herrscher 1197-1207, * um 1170, † 8.10. 1207.
Leben
K., der jüngere Bruder Asens I. und Petŭrs, der beiden Anführer des bulgarischen Volksaufstandes von 1185, wird zum erstenmal anläßlich der Belagerung von Loveč im Sommer 1187 erwähnt. Die vergebliche dreimonatige Belagerung der Stadt durch byzantinische Truppen endete mit Friedensverhandlungen, in denen der byzantinische Kaiser Isaak II. Angelos den Status quo anerkennen mußte. Als Friedensbürge ging K. nach Konstantinopel, von wo er zwei oder drei Jahre später wieder zurückkehrte. Nach der Ermordung Petŭrs im Jahre 1197 trat K. an dessen Stelle, weil die Söhne des 1196 ermordeten Asen I. noch minderjährig waren. K. beabsichtigte von Anfang an, die Politik seiner ermordeten Brüder fortzusetzen. Dies bedeutete die Rückgewinnung bulgarischer Gebiete und die Anerkennung der staatlichen und kirchlichen Autonomie Bulgariens durch Byzanz oder Rom. In den ersten Regierungsjahren bemühte sich K. um eine innenpolitische Beruhigung und Befriedung der Boljaren nach den beiden Zarenmorden. In Süd- und Südwestbulgarien forderten die Boljaren Ivanko und Dobromir Chriz, die sich selbständig gemacht hatten und sich bald auf die byzantinische, bald auf die bulgarische Seite schlugen, seine volle Aufmerksamkeit. Ivanko wurde schließlich von den Byzantinern gefangengenommen und das Herrschaftsgebiet des Dobromir Chriz Bulgarien einverleibt. Gegenüber Byzanz verfolgte K. eine offensive Politik. Im Frühjahr 1201 fiel er mit einem Heer bulgarischer Soldaten und verbündeter Rumänen in Thrakien ein und eroberte die Rhodopenfestung Konstancija beim heutigen Kostenec. Kurz darauf richtete sich der Angriff gegen die Hafenstadt Varna, den letzten byzantinischen Stützpunkt in Nordbulgarien, die mit Belagerungsmaschinen eingenommen werden konnte. Ende 1201 bestätigte ein Friedensvertrag alle bulgarischen territorialen Eroberungen seit 1195. Damit hatte Bulgarien seine alten Grenzen vom Beginn des 11. Jh.s wieder erreicht. Noch fehlte Bulgarien aber die eigentliche politische Anerkennung und die damit verbundene kirchliche Autokephalie nach den Befreiungskämpfen. Die ständig gespannten Beziehungen zu Byzanz und die innere Auflösung des Reiches ließen von jener Seite keine endgültige Anerkennung erwarten. Aus diesem Grund blieb nur die Möglichkeit, sich der römischen Kirche zu unterstellen. Die Verhandlungen mit Papst Innozenz III. hatten bereits 1199 eingesetzt. K. wünschte für sich den Zarentitel und für seinen Erzbischof Vasilij die Patriarchenwürde. Verzögert wurden die Verhandlungen durch den Ausbruch eines Krieges mit dem ungarischen König Emmerich, in dem die Bulgaren aber die Gebiete von Belgrad und Branicevo behaupten konnten. Im Jahre 1204 konnte schließlich mit dem Papst eine Übereinkunft getroffen werden. Kardinal Leo reiste nach Bulgarien und krönte K. am 8. November zum „rex Bulgariae“, während Erzbischof Vasilij zum Primas von Bulgarien geweiht wurde. Die kirchliche Union mit Rom bedeutete für K. nur einen formalen Akt, aus dem er politischen Nutzen ziehen wollte. Auch setzte er sich über die Titulaturen hinweg und nannte sich im Briefwechsel mit Innozenz III. Zar und Vasilij Patriarch. Ein halbes Jahr zuvor hatten sich in Byzanz einschneidende politische Veränderungen ergeben. Am 13. April 1204 war das byzantinische Reich das Opfer des vierten Kreuzzuges geworden, das nun in Teilstaaten zerfiel. In Konstantinopel, dem Mittelpunkt des lateinischen Kaiserreiches, residierte Kaiser Balduin I., Graf von Flandern und Hennegau. Noch vor der Eroberung hatte sich Patriarch Johannes X. Kamateros nach Tŭrnovo mit der Bitte um Unterstützung gegen die Kreuzfahrer begeben, war von K. aber nur gegen den päpstlichen Gesandten ausgespielt worden. Bulgarien befand sich nun zwischen zwei mächtigen katholischen Reichen, dem lateinischen Kaiserreich und Ungarn. K. suchte sofort eine Annäherung an die neuen Beherrscher Konstantinopels. Die Lateiner erhoben jedoch territoriale Ansprüche auf die ehemals byzantinischen Gebiete Bulgariens. K. sah nur in einer militärischen Auseinandersetzung einen Ausweg. Zu Hilfe kamen ihm dabei die byzantinischen Aristokraten im besetzten Thrakien, die sich durch die lateinische Herrschaft ihrer Privilegien beraubt sahen. Sie boten K. ihre Dienste an und schlossen mit Bulgarien das sog. griechisch-bulgarische Bündnis. Im Frühjahr 1205 kam es zu einem offenen Aufstand mit dem Zentrum in Demotika (Didymoteichos). Die Lateiner begannen Gegenmaßnahmen, aber K. rückte mit großen Heeren aus Bulgaren und Kumanen an. Kaum ein Jahr nach der Eroberung Konstantinopels kam es am 14. April 1205 in der Nähe von Adrianopel zu einer blutigen Schlacht zwischen Bulgaren und Lateinern. Die Armee des Kaisers Balduin I. wurde völlig aufgerieben, der Kaiser selbst geriet in bulgarische Gefangenschaft. Ein paar Jahre später soll der lateinische Kaiser in einem Gefängnis in Tŭrnovo gestorben sein. Das griechisch-bulgarische Bündnis war jedoch nicht von langem Bestand. Unter dem Einfluß des nikäischen Herrschers Theodor I. Laskaris sagten sich die Aufständischen von K. los. Ganze Städte fielen ab, unter ihnen auch Plovdiv. K. eilte mit Truppen aus Makedonien, wo er mehrere Städte erobert hatte, nach Plovdiv und nahm die Stadt mit Hilfe der dortigen bulgarischen Bogomilen und Paulikianer ein. In blutigen Kämpfen rächte er sich an der Vertragsbrüchigen Bevölkerung. Im Sommer 1206 mußte sich K. neuen lateinischen Heeren unter Balduins Nachfolger Heinrich bei Stanimaka, dem heutigen Asenovgrad, stellen. Ein Jahr später fielen die Bulgaren wieder in Thrakien ein und belagerten vergeblich Adrianopel. Von hier wandte sich K. gegen Thessaloniki, wo Bonifaz von Montferrat residierte. Nach einem Treffen zwischen Kaiser Heinrich und Bonifaz von Montferrat war letzterer auf der Heimkehr in den Rhodopen von Bulgaren ermordet worden. Vor den Toren Thessalonikis scheiterte K.; am 8. Oktober 1207 fiel er einer Boljarenverschwörung zum Opfer, an deren Spitze der Kumane Manastŭr gestanden haben soll. In der Umgebung der Stadt verbreitete sich bald die Legende, daß der hl. Demetrios, der Schutzpatron von Thessaloniki, den Bulgarenherrscher mit einer Lanze durchbohrt habe. K. fiel als dritter Herrscher des neuerstandenen unabhängigen Bulgarien einer Boljarenverschwörung zum Opfer. Schuld daran hatte vor allem die Verfolgung der streng zentralistischen Politik der drei Brüder. In kaum mehr als zwanzig Jahren war Bulgarien unter den Aseniden zu einem gefürchteten starken Gegner erwachsen. Die kluge Diplomatie K.s verschaffte dem Reich die politische und kirchliche Anerkennung. Mit K.s Name ist aber auch die Niedermetzelung der byzantinischen Bevölkerung in Thrakien nach dem Bündnisbruch verbunden. Der byzantinische Geschichtsschreiber Georgios Akropolites nennt K. auch den „Griechentöter“ (Rhomaioktonos).
Literatur
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