Karadjordje

GND: 119236710

Karadjordje (eigentlich Djordje Petrović, genannt Crni / Kara - "der Schwarze" Djordje), Führer der Serben im ersten Aufstand 1804-1813, * Viševac (bei Kragujevac) um 1768 (14.11. ?),   † Radovanje (bei Smederevska Palanka) 25.07.1817, Sohn eines Bauern, Vater des 1842 zum Fürsten von Serbien berufenen, 1858 abgesetzten Alexander Karadjordjević und damit Stammvater der Dynastie Karadjordjević.

Leben

Der aus ärmlichen Verhältnissen stammende K. trat als Heranwachsender in die Dienste verschiedener Herren, schloß sich 1787 einem unter österreichischem Kommando stehenden serbischen Freikorps, dann der Freischar des Mihailo Mihaljević an und nahm 1788 am Krieg gegen die Osmanen teil. Die folgenden Jahre standen im Zeichen der Reformen Selims III., der durch Zugeständnisse (Ausweitung der Selbstverwaltung, Bildung bewaffneter Abteilungen) die Unterstützung der Serben gegen die Janitscharen und den Statthalter von Vidin, Pazvandoğlu, zu gewinnen suchte. K., der inzwischen am Viehhandel mit Österreich gut verdiente und überall Kontakte knüpfte, beteiligte sich an der Verteidigung des Paşahks Belgrad gegen die unbotmäßigen Truppen. Nach der Aussöhnung der Pforte mit den Rebellen kehrten die Janitscharen nach Belgrad zurück und errichteten das nach dem Titel ihrer Anführer als Dahiherrschaft bekannte Schreckensregime. Unter den Serben reifte jetzt der Gedanke, sich der grausamen Despoten aus eigener Kraft zu entledigen. Bei den Aufstandsvorbereitungen wirkte K. vor allem in der Sumadija mit; mehrmals reiste er nach Semlin (Zemun), um Waffen zu kaufen. In Orašac bei Topola sollen K. und seine Mitverschworenen am 2. Dezember 1803 vereinbart haben, im Frühjahr 1804 loszuschlagen. Die Vorbereitungen wurden jedoch durch den berüchtigten Knezenmord - die Hinrichtung von etwa 70 serbischen Honoratioren durch die Janitscharen in der zweiten Januarhälfte 1804 - unterbrochen; viele Serben flohen in die Wälder und schlossen sich den Hajduken oder K. an, das allgemeine Entsetzen unter den Christen des Paşahks gab ihm Auftrieb. Am 14. Februar 1804 beschlossen K.s Anhänger wiederum in Orašac den Aufstand, der unter den entrechteten und ausgebeuteten Bauern sofort aufloderte. Schon zu Beginn der Erhebung gelangen den Freischaren unter K. bedeutende Erfolge: Bis Ende März brach die Osmanenherrschaft im Aufstandsgebiet bis auf Belgrad und Smederevo zusammen. K. und die serbischen Führer traten dabei zunächst nicht gegen die Osmanenherrschaft als solche, sondern wie früher gegen die Willkür der Belgrader Dahis auf und beschränkten sich in realistischer Einschätzung ihrer Möglichkeiten auf die gemäßigten Forderungen nach beschränkter Autonomie und Abzug der Janitscharen. Die Pforte ging darauf ein, um sich der serbischen Hilfe gegen die unbequemen Dahis zu versichern. Mit 2 000 Reitern empfing K. Anfang Juli 1804 feierlich den Abgesandten des Sultans, Bekir Pascha; die Janitscharen zogen in Richtung Vidin ab, wurden aber unterwegs von den Serben aufgerieben. Angesichts ihrer Erfahrungen mit der Unzuverlässigkeit osmanischer Zusagen verlangten die Serben jetzt eine österreichische Garantie ihres Übereinkommens mit der Pforte. Da Istanbul dies zurückwies, legten die Serben ihre Waffen nicht ab und dehnten im Frühjahr 1805 die Kämpfe über die Grenzen des Belgrader Paşahks aus. K. trat jetzt als Wortführer der Radikalen auf, die für die Beseitigung der osmanischen Herrschaft überhaupt plädierten. Unter seinem Einfluß stellten die Rebellen der Pforte immer weitergehende Bedingungen, die der Sultan jetzt mit dem Entschluß zum Krieg beantwortete. K. führte seine Freischaren zu neuen Siegen: Er nahm Karanovac (Kraljevo), den Nahiye Užice und später Smederevo. Die unter dem neuernannten Belgrader Statthalter Hafiz Pascha anrückenden Truppen wurden nach Niš zurückgeschlagen. Anfang 1806 brachte K. Kruševac sowie Teile des Sandschaks Yeni (Novi) Pazar in seine Gewalt und vernichtete mit 9 000 Kämpfern das bosnische Heer am 25. August 1806 in der Schlacht von Misar bei Šabac. Nach Šabac nahmen die Serben unter K. am 24. Dezember 1806 Belgrad, 1807 auch die Stadt Užice ein. Je größer das befreite Gebiet wurde und je höhere Anforderungen der sich ausweitende Krieg an die Leistungsfähigkeit der serbischen Truppen und Verwaltungsorgane stellte, desto mehr verschärften sich die Konflikte unter den Serben über die Grundfragen der staatlichen Ordnung. Die großen Erfolge und sein strategisches und Organisationstalent hatten K. die eindeutige Führung des Aufstands gesichert: Schon ab Mai 1804 Unterzeichnete er als Oberster Woiwode (Vrhovni vojvoda) oder auch als Führer, Kommandant Serbiens, Erster Anführer. Im Interesse der Konzentration der zahlenmäßig unterlegenen Kräfte gegen den Feind und ihres optimalen Einsatzes war K. bestrebt, den militärischen Oberbefehl wie auch die Führung von Politik und Administration an sich zu ziehen. Gegen seine zentralistische Konzeption opponierten einerseits die um ihre Stellung fürchtenden lokalen Machthaber, die immer häufiger durch von K. ernannte Woiwoden und Offiziere ersetzt wurden, andererseits die Bauern, deren Selbstverwaltungskompetenzen großenteils beschnitten wurden. Der 1805 eingerichtete Regierende Rat (Praviteljstvujušči sovjet) wurde mehr und mehr zu einem ausführenden Organ K.s. Die Konflikte spitzten sich zu, als der russische Vertreter bei den Aufständischen, Konstantin Konstantinovič Rodofinikin, mit Unterstützung der Opposition in einem Verfassungsentwurf 1807 einen Senat als Gegengewicht gegen K. empfahl. Daraufhin verabschiedete K. mit dem von ihm beherrschten Rat ein eigenes, seinen zentralistischen Vorstellungen Rechnung tragendes Grundgesetz. Gegen die wachsende und sich konspirativ organisierende Opposition konnte er sich durchsetzen: Die Nationalversammlung vom 20.-23. Januar 1811 erkannte ihn als Obersten Führer (Vrhovni vožd) an und teilte den Regierenden Rat in sechs Ministerien und einen Gerichtshof auf; an die Stelle der bisherigen Verwaltungseinheiten trat eine größere Zahl verkleinerter und K. direkt unterstellter Kreise. Die Woiwoden mußte K. zwar in die Regierung aufnehmen, konnte sie aber dadurch von ihrem lokalen Anhang und ihren militärischen Kommandopositionen fernhalten und faktisch entmachten. Die mit der Neuregelung nicht einverstandenen Oppositionsführer Milenko Stojković und Petar Dobrnjac verdrängte K. ins Exil. Außenpolitisch suchte K. seit Beginn der Erhebung immer wieder die Hilfe zunächst Österreichs, dann Rußlands. Doch warben beide Mächte um die Unterstützung der Pforte gegen Napoleon. Österreich scheute sich überdies, mit Rebellen zusammenzuwirken, und fürchtete, ein unabhängiger serbischer Staat an seiner Grenze werde die österreichischen Serben anziehen und so das Vielvölkerreich durch das neue nationalstaatliche Ordnungsprinzip desintegrieren. Rußland sah sich von einer solchen Entwicklung in Südosteuropa nicht bedroht, ordnete aber die Interessen der Serben, die nach dem Ausbruch des russisch-türkischen Krieges 1806 seine Verbündeten wurden, zu deren großer Enttäuschung in Strategie und Politik seinen eigenen Plänen unter. Nachdem Rußland im Tilsiter Frieden (1807) den Abbruch der Kampfhandlungen gegen die Türken ohne zureichende Sicherung des Schicksals der Serben vereinbart hatte, war K. 1808 bereit, sein Land der unmittelbaren Herrschaft des Kaisers von Österreich zu unterstellen, 1810 sogar den Wunsch Österreichs nach der Übergabe Belgrads zu befriedigen. Doch scheiterten alle diese Pläne an der internationalen Konstellation, bis mit der Wiederaufnahme des russisch-türkischen Krieges die serbisch-russische Waffenbrüderschaft erneuert wurde und ab 1810 zu wirksamen gemeinschaftlichen Operationen führte. K. lehnte, unterstützt von der Nationalversammlung, die ohne Kenntnis der Serben von Rußland im Bukarester Frieden 1812 geschlossenen Vereinbarungen (beschränkte Autonomie unter osmanischer Oberhoheit, türkische Garnisonen in den Städten, Amnestie) als unbefriedigend ab und setzte den Krieg auf eigene Faust fort, ohne sich gegen die Türken halten zu können. Am 15. Oktober 1813 floh der kranke und enttäuschte K. nach Semlin, ohne vorher die Auswanderung einer großen Zahl von Serben nach Rußland sichern zu können. Zunächst im Kloster Fenek, dann in Peterwardein und Graz interniert, durfte er auf russische Intervention hin ins Zarenreich ausreisen, wo er in Chotin dem griechischen Verschwörerbund der Filiki Eteria beitrat. In dessen Auftrag begab er sich am 28. Juni 1817 heimlich nach Serbien, um mit dem friedliche Möglichkeiten der Sicherung und Erweiterung der serbischen Autonomie suchenden Miloš Obrenović den Kampf von neuem zu beginnen. In einer Besprechung mit Volksvertretern beschloß dieser, K. durch dessen Vertrauten Vujica Vukičević ermorden zu lassen, um sich den Rivalen, aber auch den Vertreter einer revolutionären und daher riskanten Politik vom Halse zu schaffen.

Literatur

Ranke, Leopold von: Die serbische Revolution. Hamburg 1829.
Vukićević, Milenko: Karadjordje. 2 Bde. Beograd 1907/12.
Ćorović, Vladimir: Karadjordje i Prvi srpski ustanak. Beograd 1937.
Stranjaković, Dragoslav: Karadjordje. Beograd 1938.
Jovanović, Slobodan: Karadjordje i njegove vojvode. Beograd 1939.
Djordjević, Miroslav: Politička istorija Srbije XIX i XX veka. Bd 1: 1804-1813. Beograd 1956.
Ćetković, Jovan: Karadjordje i Miloš, 1804-1830. Beograd 1960.

Verfasser

Gunnar Hering (GND: 1078119694)

Empfohlene Zitierweise: Gunnar Hering, Karadjordje, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 342-345 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1090, abgerufen am: 27.12.2024