Kazasov, Dimo Totev, bulgarischer Politiker und Schriftsteller,* Trjavna 5.09.1886.
Leben
K. hat sein Leben und seine Zeit selbst in mehreren Büchern beschrieben, die heute zum Grundbestand jeder Erforschung der politischen Geschichte des modernen Bulgarien gehören. Der Ausbildung nach Lehrer, war K. bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs Vorsitzender der „Bulgarischen Lehrerunion“ (Bŭlgarski Učitelski Sŭjuz), der 1895 gegründeten Berufsorganisation bulgarischer Lehrer. Politisch gehörte K. Breiten“ Flügel der bulgarischen Sozialdemokratie, für die er nach dem Krieg auch ins Parlament kam. Durch die parlamentarische Immunität geschützt, trat er in das Leitungskomitee des „Transportarbeiterstreiks“ (Dezember 1919 - Februar 1920) ein, das aus drei Sozialdemokraten und vier Kommunisten bestand. Die Niederlage des Streiks verstärkte noch K.s Gegnerschaft zu Aleksandŭr Stambolijski. Als Sozialdemokrat trat er auch dem Kreis politischer Führer bei, die 1923 den Sturz der Regierung Stambolijski betrieben. In Vorberatungen wurde K. das Bildungsministerium angetragen, aber „ich wollte das Ministerium für Post und Eisenbahn als zum Recht auf Revanche für den Schlag, den wir beim Transportarbeiterstreik erlitten hatten“. Der Umsturz, von nahezu allen politischen Formationen gebilligt, fand am 9. Juni 1923 statt, und K. wurde Verkehrs- und Postminister; das Bildungsministerium übernahm der neue Regierungschef Aleksandŭr Cankov. Als Herr über alle Transport- und Kommunikationswege des Landes wurde K. zur entscheidenden Figur bei der Niederschlagung des kommunistischen Aufstands vom September 1923, mit dem sich die Kommunisten vor der Komintern für ihre Passivität beim Sturz Stam-bolijskis rehabilitieren wollten. Nach dem Aufstand verschärfte die neue Regierung das innenpolitische Klima, worauf die Sozialdemokraten K. am 15. Februar 1924 zum Rücktritt aus dem Kabinett veranlaßten. In den folgenden Jahren betätigte K. sich mehr in der Partei, in deren höchsten Gremien er ständig präsent war, die er jedoch mit Büchern und Artikeln ständig so kritisierte, daß sie ihn 1926 ausschloß. Ein großer Teil der Sofioter Stadtorganisation schloß sich ihm an und gründete die „Sozialistische Föderation“. 1926/27 knüpfte die Föderation lose Kontakte zu den Kommunisten, um über eine Fusion zu verhandeln. Als aktiver Beteiligter am Umsturz von 1923 stand K. diesen Plänen im Wege, und so verließ er die Föderation wieder, um Handlungsspielraum zu erweitern. Trotzdem kam die Fusion nicht zustande. K. war parteilos und „suchte einen neuen Anfang für eine gesellschaftliche Betätigung“. Die über zwanzig existierenden Parteien und Organisationen erschienen ihm dafür ungeeignet, und am 27. Juni 1927 gründete er mit einigen Freunden in seinem Haus in der Sofioter Innenstadt den „Ideellen Kreis Zveno“ (Ideen krŭg Zveno) als überparteiliche Organisation von Menschen, die in ihren angestammten Organisationen die Grundidee des „Zveno“, stärkere und geschlossenere Organisationen zu bilden, propagieren sollten. Organ dieses Intellektuellen-Zirkels war die Wochenzeitschrift „Zveno“, die zunächst von K. und Dimitŭr Mišajkov (der kurz darauf Handelsminister wurde), dann bis 1934 von K. allein redigiert wurde. „Zveno“, das nie mehr als 400 Mitglieder zählte und einen korporativen Staat unter starker Führung propagierte, wurde zur einflußreichsten politischen Gruppe, u. a. durch seine engen Kontakte zur „Offiziersliga“ unter Damjan Velčev. Im Kampf gegen die „Stabilisationsanleihe“ von 1928 näherte sich das „Zveno“ der Cankov-Bewegung an, von der einige Mitglieder (unter ihnen Kimon Georgiev) sich ihm anschlossen. Im Juni 1930 wurde „Zveno“ im ganzen Land bekannt: eine von K. verfaßte und schlagartig in ganz Bulgarien verbreitete Deklaration forderte eine radikalere Neuauflage des Umsturzes von 1923. Ab 1933 betrieb die „Offiziersliga“ in enger Zusammenarbeit mit dem „Zveno“ einen neuen Putsch, der am 19. Mai 1934 stattfand und das Zveno-Mitglied Kimon Georgiev an die Spitze der neuen Regierung brachte. K., obwohl Zentralfigur des „Zveno“, war an den Ereignissen nicht aktiv beteiligt. Zar Boris III. nahm den Staatsstreich ruhig hin, zumal die Offiziersliga im Falle seines Widerstandes die Ausrufung der Republik angekündigt hatte. Unter den Maßnahmen des neuen Regimes ragten vor allem drei hervor: die Zerschlagung der „Inneren Mazedonischen Revolutionären Organisation“ (IMRO), das Verbot aller Parteien und politischen Organisaheute sagt - deren wie er
tionen und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Sowjetunion. Allgemein galt die neue Regierung als „Zveno-Kabinett“, tatsächlich stützte sie sich auf die Armee. K. selbst, bereits früher langjähriger Präsident einer bulgarisch-jugoslawischen Vereinigung, ging als Botschafter Bulgariens nach Belgrad. Bald wieder abberufen, widmete er sich fortan vor allem dem publizistischen Kampf gegen die seit Anfang 1935 halbdiktatorische Machtausübung des Zaren. K. bewegte sich politisch nach links. 1940/41 schaltete er sich in den Kampf gegen das antijüdische „Gesetz zum Schutz der Nation“ ein und beschwor in einer flammenden Erklärung Ministerpräsident Bogdan Filov, das Gesetz nicht zuzulassen. Bis Kriegsende amtierte er als Präsident des „Komitees für politisch Verfolgte“, ab 1943 war er Mitglied des illegalen Komitees der Vaterländischen Front. Diese Aktivitäten machten ihn, der mit dem „Zveno“ seinerzeit eine pointiert antikommunistische Organisation gegründet hatte, für die nach dem 9. September 1944 entscheidenden Kommunisten akzeptabel. Er war zunächst Propagandaminister und mobilisierte in seinen legendären Nachtansprachen über den Rundfunk „Alle Kräfte für die Front, alle Kräfte für den Sieg“, d. h. für Bulgariens Beteiligung am Endkampf gegen Deutschland. Bis zum 12. Dezember 1947 war er dann Minister für Information und Kunst, von 1950 bis 1958 Leiter mehrerer Verlage. Daneben schrieb er einige sehr erfolgreiche Bücher, die seit einigen Jahren Neuauflagen erleben, und betätigte sich als Redakteur und Autor mehrerer Zeitschriften. Von seinen wichtigsten Werken seien genannt: „V tŭmninite na zagovora“ (Im Dunkel der Verschwörung, Sofia 1925), „Burni godini 1918-1944“ (Stürmische Jahre 1918-1944, Sofia 1949), „Ulici, chora, sübitija. Sofija predi polovin vek“ (Straßen, Menschen, Ereignisse. Sofia vor einem halben Jahrhundert, Sofia 1959, 2. Auflage 1968), „Vidjano i prezivjano 1891-1944“ (Gesehenes und Erlebtes 1891-1944, Sofia 1969).
Literatur
Dimitrov, Ilčo: Buržoaznata opozicija v Bŭlgarija 1939/1944. Sofija 1969.
Wasilewski, Tadeusz: Historia Bułgarii. Wrocław, Warszawa, Kraków 1970.
Oschlies, Wolf: Der „Volksbund Zveno“. Nahtstellen der bulgarischen Parteiengeschichte. Köln 1971. Ber. Bundesinst. ostwiss. u. internat. Stud. 9.12.
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