Kollonidi (Kollonitsch, Kollonics), Leopold Karl Graf, Erzbischof von Gran und Primas von Ungarn, * Komorn 26.10. 1631, † Wien 20.1. 1707, aus einer Familie kroatischer Herkunft, die im 13. Jh. angeblich von Bosnien nach Kroatien gelangte und im 15. Jh. nach Steiermark und Österreich kam; Sohn von Ernst von Kollonich (ab 1637 Graf), Festungskommandant in Komorn, und der Anna Elisabeth Freiin von Kueffstein.
Leben
Noch nicht 14 Jahre alt, kam K. 1645 an den Wiener Hof als Edelknabe des Erzherzogs Ferdinand (IV.). 1650 wurde er in Wien zum Ritter des Johanniterordens geschlagen und reiste bald darauf nach Malta. 1651 und 1655 nahm er an zwei Feldzügen gegen die Türken teil und wurde für sein tapferes Verhalten 1655 für die Dauer von zwei Jahren zum Kastellan von Malta ernannt. 1656 erhielt K. die beiden Ritter-Kommenden Mailberg in Niederösterreich und Eger in Böhmen, auf die er sich nach seiner Rückkehr 1657 begab. Noch im Frühjahr dieses Jahres ernannte ihn Kaiser Leopold I. zum Kämmerer. Nachdem 1666 György Szelepcsényi, der Bischof von Neutra, dem verstorbenen György Lippay im Erzbistum Gran nachgefolgt war, übertrug Leopold I. das vakante Bistum K., der damals noch Laie war. Erst im Frühjahr 1668 (Februar bis April) erhielt K. die Priesterweihe und die päpstliche Konfirmation in seinem neuen Amt. Die Komtureien Eger und Mailberg verblieben ihm; seine Ordenskarriere ging sogar noch weiter, als er nach dem Tod des Priors der böhmischen Ordensprovinz hier infulierter Prior wurde. Mit den Ereignissen nach dem Frieden von Eisenburg 1664, der Verschwörung unzufriedener ungarischer Magnaten 1666-1671, den konfessionellen Auseinandersetzungen und der Organisation der Türkenabwehr setzte die politische Tätigkeit K.s in Oberungarn ein. Als Oberkapitän der Festung Neutra (bis 1670) trat er wiederholt mit dem Hofkriegsrat in Wien wegen des Ausbaus der Festung in Verbindung. Nachdem Papst Klemens XI. sein Gesuch um Versetzung bewilligt hatte, wurde K. am 19. Mai 1670 zum Bisdrof von Wiener Neustadt ernannt. 1671 endete die Magnatenverschwörung mit der Verurteilung und Hinrichtung der prominentesten Beteiligten (Péter Zrínyi, Fran Krsto Frankapani, Ferenc Nádasdy, Erasmus von Tattenbach); über die Begnadigung Ferenc I. Rákóczys verhandelte K. im Auftrag des Wiener Hofes mit dessen Mutter, der Fürstin Zsófia Báthory. Verbunden mit diesen Aktionen gegen die Magnaten war eine verschärfte gegenreformatorische Tätigkeit der ungarischen Bischöfe vor allem von Gran und Raab aus durch Szelepcsényi und György Széchényi, die wie K. hauptsächlich die Jesuiten begünstigten. 1673-1674 war K. Mitglied des Preßburger Gerichts Szelepcsényis, das 763 protestantische Priester vorgeladen hatte und diese mit der Androhung der Todesstrafe zur Konvertierung zwang bzw. zur Galeerenstrafe verurteilte. Parallel mit seiner gegenreformatorischen Tätigkeit wurde K. am 15. Februar 1672 auch als Präsident der ungarischen Hofkammer in Preßburg eingesetzt, wiewohl ein Kleriker dieses Amt gar nicht bekleiden durfte, mit der Aufgabe, die verhaßte Verzehrsteuer auf Getränke und Fleisch einzutreiben. Überdies sollte K. dafür sorgen, daß der Erlös aus den von den Verschwörern und deren Sympathisanten konfiszierten Gütern der Wiener Hofkammer zufloß. Daneben trachtete K. immer wieder, Geldmittel zur Versorgung und Ausrüstung der oberungarischen Truppen aufzutreiben und Ordnung in die ungarischen Finanzverhältnisse zu bringen. So griffen die ungarischen Stände 1681 am Reichstag von Ödenburg, zu dessen Einberufung Kaiser Leopold I. durch die Erfolge Imre Thökölys und die Reunionen Ludwigs XIV. veranlaßt worden war, auch besonders K. an. Eine Einigung wurde nicht erzielt; die wenigen Ergebnisse sollte der neu einsetzende Türkenkrieg zunichte machen. 1684 wurde K. schließlich auf Wunsch des ungarischen Reichstages als Präsident der ungarischen Hofkammer abgelöst, blieb aber auch weiterhin der maßgebliche Ratgeber des Kaisers in ungarischen Angelegenheiten. 1683 führte K. die Aufsicht über die Spitäler der belagerten Stadt Wien und auch nach dem Entsatz sorgte er mit dem Erlös aus der türkischen Beute für Kinder, Kranke und Frauen. 1684, als Ofen von den Verbündeten nicht genommen werden konnte, wurde ihm das Direktorium über sämtliche Feldspitäler übertragen. 1685 übernahm K. die Diözese Raab und wurde beauftragt, zu kontrollieren, ob ein Drittel des in den letzten sechzig Jahren erworbenen Kirchengutes im Sinne des Erlasses von Papst Innozenz XI. vom 3. Februar 1685 zur Deckung der Kriegskosten verwendet wurde. Diese Aktion wurde 1687 abgeschlossen, als der neue Türkenkrieg bereits ein Jahr lief. Anfang 1688 ergab sich Ilona Zrínyi, die Gemahlin Thökölys, auf ihrer Feste Munkács dem kaiserlichen General Caraffa. K. wurde zum Vormund ihrer Kinder Ferenc und Júlia (aus ihrer ersten Ehe mit Ferenci. Rákóczy) bestimmt. Júlia entfloh 1691 zum Ärger K.s den Ursulinerinnen zu Wien; Ferenc (II.) Rákóczy, den K. - wie Rákóczy behauptet - den Jesuiten zuführen wollte, wurde 1693 wieder mit seinen Gütern versehen. Nach 1687 versuchte der Kaiser, in Ungarn ein straffes Zentralregiment einzurichten. K. war ab Juli 1688 führendes Mitglied der dafür geschaffenen „Kommission zur Einrichtung Ungarns“ und Präses der „commissio neoacquistica“, die den neu erworbenen Grundbesitz in Ungarn verteilen sollte. Die Türkenkämpfe von 1692 bis 1696 engten die beiden Kommissionen sehr ein, das von K. ausgearbeitete „Einrichtungswerk des Königreichs Hungarn“ (versehen mit dem Datum vom 15. November 1689) wurde trotz der Initiativen K.s niemals vollständig durchgeführt. Sicher war K. oft Urheber der gegen die Magyaren und Protestanten gerichteten Maßnahmen, dennoch zeigen die Berichte der Kommission, in denen deutlich die Ideen der österreichischen Wirtschaftstheoretiker des Barocks zum Ausdruck kommen, daß ihm auch an der Wohlfahrt des Landes lag, die er in seinem Sinne durchzusetzen versuchte. 1690 erhielt K. den Kardinalshut, nachdem er bereits 1686 zum Kardinal und 1688 zum Erzbischof von Kalocsa ernannt worden war. Ende 1692 übernahm er die Oberdirektion der kaiser lichen Hofkammer in Wien, die er 1694 abgab, als er an die Spitze des kaiserlichen Geheimen Rates berufen wurde. Nach dem Tode Szelepcsényis wurde K. schließlich 1695 Erzbischof von Gran und Primas von Ungarn. Im November 1696 führte K. mit dem Palatin Paul Esterházy bei den Kontributionsverhandlungen der ungarischen Magnatendelegation mit Kaiser Leopold I. in Wien den Vorsitz; seine Reformvor schläge hinsichtlich der Besteuerung wurden weder hier noch später akzeptiert. Gegen Ende seines Lebens besonders 1701 zur Zeit des Kuruzzenkrieges - bemühte sich K. mit Genehmigung von Papst und Kaiser um eine Verständigung mit der griechischen Kirche.
Literatur
Kellerhaus: Ehrensäule der vornehmsten Tugenden des Herrn Kardinal Leopold von Kollonich, Erzbischof von Gran. Wien 1767.
Maurer, Joseph: Cardinal Leopold Graf Kollonitsch, Primas von Ungarn. Sein Leben und Wirken. Innsbruck 1887.
Iványi, István: Kollonics Lipót bíbornok országszervező munkája. Szabadka 1888.
Mayer, Theodor: Verwaltungsreform in Ungarn nach der Türkenzeit. Wien 1911.
Redlich, Oswald: Weltmacht des Barock. Wien 1961(4).
Wellmann, I[mre]: Merkantilistische Vorstellungen im 17. Jahrhundert und Ungarn. In: Nouvelles études historiques publiées à l’occasion du Xlle Congrès International des Sciences Historiques par la Commission Nationale des Historiens Hongrois. Bd 1. Budapest 1965, 315-354.
Empfohlene Zitierweise: Karl Friedrich Rudolf, Kollonidi, Leopold Karl Graf, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 435-437 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1151, abgerufen am: 25.11.2024
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