Kolowrat-Krakowsky, Leopold Graf, österreichischer Staatsmann, * 31.12.1727, † 2.11.1809, Neffe von Ferdiand Alois Graf K.
Leben
Nach wiederholt ausgezeichnetem Wirken im böhmischen Landesgubernium berief Kaiserin Maria Theresia 1769 K. als Vizekanzler der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei nach Wien. Auf Vorschlag von Kaiser Joseph II., der K.s Fähigkeiten und seine Uneigennützigkeit besonders schätzte, wurde er 1771 zum Präsidenten der Hofkammer und der Ministerialbancohofdeputation ernannt. Josephs Plan, K. mit der Leitung der gesamtstaatlichen Wirtschaftspolitik zu betrauen, wurde 1775 durch die Union des Kommerzienrates mit der Hofkammer unter K. verwirklicht. Seinen Anschauungen nach ein Gegner des Freihandels, mußte K. sich im Juli 1775 den Mehrheitsbeschlüssen des Staatsrates beugen, die ein neues, einheitliches, einen gemäßigten Freihandel entwickelndes Maut- und Zollsystem einführten. In schwerwiegenden sachlichen Differenzen mit Joseph II. hinsichtlich der Wirtschaftskonzeption Ungarns im Gesamtstaate vermochte sich K. mit Hilfe Maria Theresias nur teilweise durchzusetzen, da die Kaiserin trotz innerlicher Zustimmung zu den Argumenten K.s einer offenen Auseinandersetzung mit ihrem Sohne aus dem Wege ging. K. hielt eine von Joseph beabsichtigte weitgehende Unabhängigkeit Ungarns in wirtschaftlichen und finanziellen Angelegenheiten für verfehlt und konnte auch die von diesem geforderte Überweisung der siebenbürgischen und ungarischen Commercialia an die ungarische Hofkammer bis zum Tode der Kaiserin hinauszögern. Da K. eine seinen wirtschaftlichen Gesamtplan störende Förderung der ungarischen Industrie zu verhindern suchte, opponierte er gegen die Vereinigung der bis dahin vom Kommerzienrat verwalteten Küstengebiete („Intendenza“), nämlich Fiumes, Buccaris und der Caroliner Straße mit Ungarn; doch mit dem Dekret vom 2. Januar 1776 setzte Joseph II. den Anschluß dieser Gebiete an Ungarn durch. Die vom Kaiser im Dezember 1782 befohlene Neuordnung der böhmisch-österreichischen Erbländerverwaltung brachte K. an die Spitze der nach seinen Instruktionen eingerichteten „Vereinigten böhmisch-österreichischen Hofkanzlei, Hofkammer und Mini- sterialbancodeputation“, die in einem größeren Umfang als das Haugwitzsche Behördensystem von 1749 Finanz- und politische Verwaltung zusammenfaßte. Bei dem unter Franz II. 1792 vorgenommenen Verwaltungsumbau blieb K., dem der Kaiser seine ausdrückliche Anerkennung über seine bisher geleisteten Dienste aussprach, Oberster Kanzler des neu errichteten „Direktorium in cameralibus der hungarischen, siebenbürgischen und deutschen Erblande, wie auch in publico-politicis dieser letzteren“. 1796 zum ersten dirigierenden Staatsminister und zum Mitglied des Staatsrates ernannt, trat K. für die Umgestaltung oder Beseitigung des Staatsrates ein. In dem daraufhin von K. mitbegründeten Staats- und Conferenzministerium, das 1801 an die Stelle des alten Staatsrates getreten war, unterstanden K. als dem Chef des Departments für die inneren Angelegenheiten alle vier Hofkanzleien, ferner die Credit- kommission und sämtliche Finanzbehörden sowie die Agenden der geheimen Staatspolizei. Doch bald zeigte sich infolge dieses unübersichtlichen und aufgeblähten Geschäftsbereiches eine schwerwiegende Überlastung des altersmüden K., der seinen amtlichen Verpflichtungen immer weniger nachkam. Nach vergeblichen Reformversuchen wurde K. am 7. Juni 1808 nach 63jähriger Dienstzeit unter fünf Monarchen in den Ruhestand versetzt und sein Ministerium aufgehoben.
Literatur
Krones, Franz R.: Zur Geschichte Österreichs im Zeitalter der französischen Kriege und der Restauration 1792-1816. Gotha 1886.
Schünemann, Konrad: Die Wirtschaftspolitik Josephs II. in der Zeit seiner Mitregentschaft. In: Mitt. Inst. österr. Gesch.-Forsch. 47 (1933) 13-56.
Walter, Friedrich: Die Geschichte der österreichischen Zentralverwaltung in der Zeit Maria Theresias. Die Geschichte der österreichischen Zentralverwaltung 1780-1848. Wien 1938/56. = Die österreichische Zentralverwaltung. Hrsg. Heinrich Kretschmayr. II. Abt. Bd 1/1. 1/2. T. 1.2.
Empfohlene Zitierweise: Gerhard Seewann, Kolowrat-Krakowsky, Leopold Graf, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 444-445 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1156, abgerufen am: 31.01.2025
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