Krum, bulgarischer Khan 802-814, † 13.04.814.
Leben
Nach dem Tode Kardams im Jahre 802 übernahm K. die Herrschaft über das slawo- bulgarische Reich und wurde zum Begründer einer Dynastie, die so hervorragende Staatsmänner wie Omurtag, Boris und Simeon hervorbrachte. In K.s ersten Regierungsjahren dauerte der Frieden zwischen Byzanz und Bulgarien fort, der unter Kardam geschlossen worden war. Aus diesem Grunde konnte der Khan an der Nordwestgrenze seines Reiches politisch aktiv werden, wo Karl der Große in mehreren Feldzügen 805 das Awarenreich endgültig zerschlagen hatte. In der pannonischen Tiefebene siedelten lange Zeit Slawen unter der Awarenherrschaft, die sich teilweise losgetrennt und die slawobulgarische Oberhoheit anerkannt hatten. Nun bot sich die Gelegenheit, weite Gebiete des Awarenreiches bis zur Theiß Bulgarien einzuverleiben. Unter ihnen waren wirtschaftlich so reiche Gegenden wie Transsilvanien mit seinen Erzgruben und Salzvorkommen. Im Nordwesten grenzte Bulgarien jetzt an das Frankenreich und wurde neben diesem und dem byzantinischen Reich zur drittgrößten Macht im damaligen Europa. Im Jahre 807 brach der byzantinische Kaiser Nikephoros I. den Frieden und fiel in Bulgarien ein. Vor Adrianopel mußte er wegen innenpolitischer Schwierigkeiten jedoch wieder umkehren. Der Friedensbruch war nicht zuletzt durch den erfolglosen Aufstand der Slawen in der Peloponnes verursacht worden. K. reagierte seinerseits im Jahr darauf mit einem Feldzug ins Strumagebiet, bei dem der ganze Sold der byzantinischen Soldaten erbeutet werden konnte. Im Frühjahr 809 richtete sich dann ein bulgarischer Angriff gegen Serdika, das spätere Sofia. Serdika war die letzte byzantinische Festung im Inneren der Balkanhalbinsel. Ihre strategische Bedeutung lag in den nach allen Richtungen verlaufenden belebten Handelsstraßen. Obwohl K. der Bevölkerung versprach, sie nach der Übergabe zu schonen, ließ er seine Soldaten morden und plündern. Die Festung wurde völlig geschleift. Nikephoros I. fiel daraufhin wieder in Bulgarien ein, um Serdika neu zu errichten. Eine Meuterei unter den Soldaten verhinderte jedoch das Vorhaben. Noch hatte sich Byzanz nicht an Bulgarien gerächt, und zwei Jahre nach dem Verlust Serdikas holte Nikephoros I. im Sommer 811 mit einem riesigen Heer zum Gegenschlag aus. Bereits an der bulgarisch-byzantinischen Grenze bot K. Verhandlungen an, die abgelehnt wurden. Das byzantinische Heer stieß bis Pliska, dem Regierungszentrum, vor und legte die Stadt in Asche. K. war mit seinem Gefolge rechtzeitig aus der Residenz geflohen. Noch einmal bat der Khan die Byzantiner vergeblich um Friedensverhandlungen. Nach zweiwöchigen Verwüstungen schickte sich das siegreiche feindliche Heer an, über die Balkanpässe in die Heimat zurückzukehren. K. hatte jedoch in der Zwischenzeit alle Gebirgspässe mit hohen Holzbarrikaden versperren lassen. Im Morgengrauen des 26. Juli 811 kam es am Vŭrbica-Paß zum Zusammenstoß zwischen Bulgaren und Byzantinern. In der grausamen Schlacht überlebte kaum einer der byzantinischen Soldaten wie auch der Kaiser selbst und seine nächsten Berater fielen. Staurakios, der Kaisersohn, rettete sich schwerverwundet nach Adrianopel. Der Schock in Konstantinopel blieb nicht aus: seit Jahrhunderten war kein byzantinischer Kaiser mehr im Feldzug vom Feind ermordet worden. K. ließ in seinem Triumphgefühl den Kopf des Kaisers tagelang zur Schau stellen, um dann aus dem Schädel dem Brauch gemäß einen versilberten Trinkbecher fertigen zu lassen. K., von Natur aus kämpferisch veranlagt, drängte nach weiteren militärischen Erfolgen. Im Frühjahr 812 zog er vor Develtos am Schwarzen Meer, das er einnahm und deren Bevölkerung er umsiedeln ließ. Durch den Slawen Dragomir sandte der Khan dem byzantinischen Kaiser ein ultimatives Friedensangebot. K.s Absicht war es, den Vertrag aus dem Jahre 716 mit den Byzantinern zu erneuern. Nach Ablehnung von Verhandlungen eroberten die Bulgaren Mesembria, wo sie eine große Menge Gold und Silber erbeuteten und des gefürchteten sogenannten griechischen Feuers habhaft wurden. Der byzantinische Kaiser Michael I. Rangabe stellte neue Heere auf und zog nach Adrianopel. Nördlich der Stadt, in Versinikia, kam es am 22. Juni 812 zur Schlacht, die wegen der Uneinigkeit der byzantinischen Soldaten zu einem großen bulgarischen Sieg wurde. Der Kaiser selbst hatte sein Heil in der Flucht gesucht. In Konstantinopel wurde er von Leo V. dem Armenier abgelöst. Während K.s Bruder Adrianopel belagerte, zog der Khan vor die Tore der byzantinischen Kaiserstadt. Wiederum bot K. Friedensverhandlungen an; im Juli 813 kam es sogar zu einer persönlichen Begegnung zwischen K. und Leo vor den Stadttoren. Pfeilschüsse aus dem Hinterhalt beendeten jedoch die Zusammenkunft, und die Bulgaren mußten mit dem leichtverwundeten K. flüchten. K.s Zorn richtete sich nun gegen die Umgebung der Kaiserstadt, die er nicht hatte einnehmen können. In einem weiten Umkreis wurden Dörfer und Städte gebrandschatzt und die Bevölkerung ausgerottet. Im Herbst 813 traf K. bereits neue Vorbereitungen zum Ansturm gegen Konstantinopel. Die drohende Gefahr, die über dem byzantinischen Reich lastete, wurde aber durch den plötzlichen Tod K.s am 13. April 814 beseitigt. Die Außenpolitik in K.s relativ kurzer Regierungszeit war durch die Todfeindschaft zwischen Bulgarien und Byzanz gekennzeichnet. Die grausamen Schlachten wurden nur noch von den verlustreichen militärischen Auseinandersetzungen zwischen Samuil und BasileiosII. Ende des 10./Anfang des ll.Jh.s übertroffen. Trotzdem fand K. Zeit genug, auch innenpolitisch bedeutsame Entscheidungen zu treffen. Die zahlreichen Quellen gewähren einen ausführlichen Einblick in jene Epoche.
K.s erstes Verdienst war es, die dynastischen Kämpfe einzelner politischer Parteien, die fast das ganze 8. Jh. ausgefüllt hatten, zu beenden. Für die innere Ordnung im Staat war eine Gesetzgebung vonnöten, die das Gewohnheitsrecht der Protobulgaren und Slawen ablösen sollte. Darüber berichtet, wenn auch kurz, der Lexikograph Suidas in der Mitte des 10. Jh.s. Den Anlaß für die Gesetzgebung gab nach Suidas der Zerfall des Awarenreiches. K. hätte awarische Gefangene nach den Gründen des Untergangs befragt, die in moralischem Verfall, Trunksucht, Bestechung, Diebstahl u. ä. zu suchen gewesen wären. Gegen diese und ähnliche Erscheinungen erließ K. daraufhin Gesetze. Seine Gesetzgebung stellt das einzige bulgarische Rechtsdenkmal aus der heidnischen Zeit dar; erst nach der Christianisierung wurden byzantinische Gesetzessammlungen übersetzt. K.s Gesetze wurden aber auch ein wichtiger Beitrag zur Verschmelzung zwischen Protobulgaren und Slawen. Sie erkannten die Slawen als den Protobulgaren gleichberechtigt an. Weitreichende Folgen hatte K.s Kolonisationspolitik. Durch Umsiedlung der Bevölkerung in den eroberten Gebieten wollte er weite Teile im Süden entbyzantinisieren. Die Umsiedler brachten jedoch das Christentum nach Bulgarien, das besonders unter den Slawen Anhänger fand. Diese ersten Keime einer Christianisierung wurden zunächst unter K.s Nachfolger Omurtag wieder zerstört, ein halbes Jahrhundert später aber waren sie bereits wieder so ausgereift, daß Boris das Christentum als offizielle Religion einführte.
Literatur
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Bobčev, St.: Krumovoto zakonodatelstvo. Sofija 1906.
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Velkov, Ivan: Pliska - pŭrvata bŭlgarska stolica. In: Bŭlg. Ist. Bibl. 1 (1928) 2, 1-27.
Dujčev, Ivan: Novi žitijni danni za pochoda na imp. Nikifora v Bŭlgarija prez 811 g. In: Spis. Bŭlg. Akad. Nauk. 54 (1937) 147-188.
Mutafčiev, Petŭr: Istorija na bŭlgarskija narod. Bd 1. Sofija 1943.
Andreev, Michail und Dimitŭr Angelov: Istorija na bŭlgarskata dŭržava i pravo. Sofija 1958.
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