Kyrill der Philosoph

GND: 118523120

Kyrill(os) (weltlicher Name Konstantin) der Philosoph, Begründer der slawischen Orthodoxie und des slawischen Schrifttums, Ehrentitel Slawenapostel oder (richtiger) Slawenlehrer, Heiliger beider Kirchen (Feste jetzt: in der östlichen 14. II. und 11.05., in der westlichen 7. VII., früher mehrere andere Daten), * Thessaloniki 826/27, † Rom 14. II. 869, Sohn des Unterstrategen (Drungarios) Leon und jüngerer Bruder Methods.

Leben

 K. kam nach dem Tod seines Vaters (841) als vierzehnjähriger zu dem Logotheten Theoktistos, der unter Theodora für den minderjährigen Kaiser Michael III. die Regierungsgeschäfte führte, an den byzantinischen Hof. Durch Vermittlung dieses Verwandten oder Freundes seiner Eltern erhielt K. eine vorzügliche Ausbildung an der kaiserlichen Schule, zu deren Lehrern die zwei größten Gelehrten des Reiches, Leon der Mathematiker und der spätere Patriarch Photios, gehörten. So eignete sich K. im Laufe von sechs Jahren (bis 848/49) das gesamte weltlich-geistliche Wissen seiner Zeit an, die nach der endgültigen Beilegung des Bilderstreites ein kultureller Aufschwung sondergleichen auszeichnete. Da K. kein weltliches Amt übernehmen wollte, verschaffte ihm der Logothet die Stelle des Chartophylax beim Patriarchen, traditionsgemäß mit der Diakonsweihe als Voraussetzung verbunden. Doch der junge Gelehrte blieb bei dem ebenso unfähigen wie unglücklichen Ignatios nicht lange, sondern entfloh heimlich in ein Kloster am Bosporus. Es scheint, daß dort seine von der Legende herausgestellte Diskussion mit dem abgesetzten ikonoklastischen Patriarchen Johannes VIII. Grammatikos stattfand. Nach Byzanz kehrte K. 849/850 als Lehrer der „äußeren“ (heidnischen) und „inneren“ (christlichen) Philosophie an seine ehemalige Schule zurück; man hatte ihn zum Nachfolger des Photios ernannt, dessen Lieblingsschüler er war. Als Gelehrter hatte K. auch diplomatische Aufgaben zu erfüllen. So begleitete er (851) als eine Art wissenschaftlicher Attaché eine byzantinische Gesandtschaft zu dem Kalifen Mutawakkil in Samarâ bei Bagdad. Im Jahre 856 wurde jedoch K.s Lehrtätigkeit jäh unterbrochen. Der Staatsstreich des Bardas, verbunden mit der Absetzung Theodoras und der Ermordung des Logotheten, zwang den Philosophen offenbar, sich in Sicherheit zu bringen. Zufluchtstätte war diesmal ein Kloster auf dem kleinasiatischen Olymp, wo sich schon sein Bruder Method(ios) befand. Über die vier folgenden Jahre schweigt sich K.s Hagiograph aus. Erst ihre Teilnahme an der großen Gesandtschaft zu den Chazaren (860) ließ die Brüder wieder in der Öffentlichkeit erscheinen. Die Aufgabe K.s bestand wohl in theologischen Diskussionen mit den jüdischen Gelehrten dieses Volkes. Das Hauptereignis dieser Expedition war aber, daß K. am 30. Januar 861, während der Überwinterung in Cherson, die vermeintlichen Reliquien des Papstes Klemens I. (88-97) entdeckte. Nach dem erfolgreichen Abschluß der Gesandtschaft wurde K. von dem jetzigen Patriarchen Photios zum Philosophielehrer an der reorganisierten Patriarchenakademie bei der Kirche der heiligen Apostel bestellt. Doch währte seine Tätigkeit dort wiederum nicht lange. Der großmährische Fürst Rastislav schickte 862 Gesandte nach Byzanz, um für sein von bayrischen und fränkischen Missionaren bereits missioniertes Reich bei Michael III. eine selbständige Kirchenorganisation mit einem Bischof zu erbitten, nachdem Papst Nikolaus I. das gleiche Verlangen abgeschlagen hatte. Kaiser und Patriarch bestimmten die zwei Brüder für dieses kirchenpolitisch wichtige Unternehmen, dessen führender Kopf ohne Zweifel K. war. Als Thessalonikenser seit Kindheit mit dem Slawischen vertraut, schuf K. eine slawische Schrift (Glagolica) und übersetzte kirchliche Texte (Evangelistar) in die slawische Sprache; da K. bald in Mähren eintraf (863), ist die eigentliche Entstehungszeit der beiden epochalen Taten ungeklärt. In Mähren war die Tätigkeit der Missionare besonders durch die Einführung des byzantinischen Gottesdienstes in slawischer Sprache und damit seiner Verständlichkeit durch die Gläubigen überaus effektiv; so konnten die Quertreibereien der um ihre Pfründe bangenden lateinischen Gegenpartei nicht ausbleiben. Man zweifelte die Rechtgläubigkeit der Griechen besonders wegen der Verwendung einer „nicht heiligen Barbarensprache“ in der Liturgie an. So wurden sie von Papst Nikolaus nach Rom vorgeladen, um sich zu rechtfertigen. Die Brüder verließen mit zahlreichen Weihekandidaten Mähren (866/67) und begaben sich nach einem Aufenthalt bei dem pannonischen Fürsten Kocel über Venedig nach Rom. Dort wurden sie freundlich empfangen, da K. die Reliquien des Papstes Klemens mitbrachte. Doch bald darauf (Ende 868) trat er sch werkrank in ein griechisches Kloster ein, in dem er als Mönch verstarb. Er wurde in San Clemente begraben. Das Leben K.s ist wegen der komplizierten Quellenlage nur mit Vorbehalten und Fragezeichen zu schildern und macht es daher für Hypothesen anfällig. An solchen herrscht auch in der Interpretation seines Wirkens kein Mangel. Die exakte Forschung wird seit Ende des 18. Jh.s durch die Inanspruchnahme des Slawenmissionars für kirchliche, nationale und ideologische Propagandazwecke in den Hintergrund gedrängt. Die schier unübersehbare Literatur läßt K. ebenso als erklärten Romfreund oder volksbewußten Bulgaren wie als griechischen Diplomaten oder intimen Photios- anhänger erscheinen. Ohne Zweifel war K. ein genialer Philologe, dem die Slawen Südost- und Osteuropas mehr oder weniger direkt Buch und Kultur verdanken, zudem ein Missionar des christlichen Ausgleiches zwischen West und Ost auf verlorenem Posten.

Literatur

Dobrovský, Josef: Cyrill und Method der Slawen Apostel. Prag 1823 (tschech. erw. Ausg. Praha 1948).
Ginzel, Josef Anton: Geschichte der Slavenapostel Cyrill und Method und der slavischen Liturgie. Leitmeritz 1857, Wien 1861(2).
Pastrnek, František: Dějiny slovanských apoštolu Cyrila a Metoda. Praha 1902.
Brückner, Alexander: Die Wahrheit über die Slavenapostel. Tübingen 1913.
Ohijenko, Ivan: Istorija cerkovno-slov’janskoji movy. Bd 1. Kostjatyn i Mefodij, jich žittja ta dijal’nist’. Varšava 1927/28.
Lavrov, Petr Alekseevič: Materialy po istorii vozniknovenija drevnejšej slavjanskoj piśmennosti. Leningrad 1930. (Reprint The Hague, Paris 1966).
Dvorník, František: Les Légendes de Constantin et de Méthode vues de Byzance. Prague 1933.
Grivec, Franz: Konstantin und Method. Lehrer der Slaven. Wiesbaden 1960.
Grivec, Franciscus u. Franciscus Tomšič: Constantinus et Methodius Thessalonicenses: Fontes. Zagreb 1960. = Radovi staroslavenskog instituta. 4.
Chiljada is sto godini slavjanska pismenost 863-1963. Sofija 1963.
Konstantin-Kiril Filosof. Jubileen sbornik po slučaj 1100-godišninata ot smrtta mu. Sofija 1969.
Konstantin-Kyrill aus Thessalonike. Hrsg. Antonín Salajka. Würzburg 1969.
Simpozium 1100-godišninata ot smrtta na Kiril Solunski. 2 Bde. Skopje 1970.
Konstantin-Kiril Filosof. Dokladi ot simpoziuma, posveten na 1100-godisninata ot smurtta mu. Sofija 1971.
Zwischen Rom und Byzanz. Leben und Wirken der Slavenapostel Kyrillos und Methodios nach den Pannonischen Legenden und der Klemensvita. Übers., eingel. u. erklärt von Josef Bujnoch. Wien, Köln 1972(2). = Slavische Geschichtsschreiber. 1.

Verfasser

Josef Hahn (GND: 1121331297)

Empfohlene Zitierweise: Josef Hahn, Kyrill der Philosoph, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 539-541 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1224, abgerufen am: 23.11.2024