Makrijannis („langer Jannis“, von den Zeitgenossen geprägter und allgemein eingeführter Beiname des Jannis Triantajillis), griechischer Freischarenführer und Politiker, * Avoriti bei Lidoriki Januar 1797, † Athen 9.05. (27.04.)1864; aus der Ehe mit der Tochter des Chatzi Georgantas Skuzes ging der Politiker Otto M. (1847- 1919) hervor.
Leben
M., der jüngste Sohn des verarmten, 1804 in lokalen Händeln mit den Türken getöteten Bauern Dimitrios Triantafillis, lernte als Kind das Elend kennen, das der Zerfall der Osmanenherrschaft für die ärmere bäuerliche Bevölkerung mit sich brachte. Schon als siebenjähriger mußte er zum Lebensunterhalt seiner Familie beitragen. 1811 nahm ihn Athanasios Skarlatos (Thanasis Lidorikis), der in Diensten des Ali Pascha von Janina stand, bei sich in Arta auf, wo er am Getreidezwischenhandel ein bescheidenes Vermögen verdiente. Als Mitglied des Verschwörerbundes Filiki Eteria trug M. zur Vorbereitung des griechischen Unabhängigkeitskrieges bei, nach dessen Ausbruch er zunächst in Epiros, Ätolien und Akarnanien in Verbindung mit dem Armatolen Gogos Bakolas tätig war. 1822 zog er mit einer eigenen Freischar zur griechischen Garnison nach Athen. Am 13. (1.) Januar 1823 wurde er zum Polizeichef (politarchis) der Stadt, am 22. (10.) Oktober 1823 zum Tausendschaftsführer ernannt und diente in diesem Rang unter Jennäos Kolokotronis, dem Sohn des Theodoros Kolokotronis, bei der Belagerung von Korinth und später in Argos. Im ersten Bürgerkrieg (November 1823 - Juni 1824) schloß er sich der aus der Legislative hervorgegangenen Regierung in Kranidion an, die ihn im November 1824 wieder nach Athen schickte. Nach der Invasion der ägyptischen Truppen unter Mehmed Alis Sohn Ibrahim zeichnete sich M. durch große Tapferkeit bei der zusammenbrechenden griechischen Gegenwehr aus (Verteidigung von Paläokastron und Neokastron März 1825, Schlacht von Mili [Myloi] bei Argos 25. (13.) VI. 1825). Einem kurzen Aufenthalt auf Flydra folgte der vorübergehende Dienst in der regulären Truppe unter dem französischen Obersten Charles-Nicolas Fabvier, dann avancierte M. als Nachfolger des am 12. Oktober (30. IX.) 1826 gefallenen Ioannis Guras zum Garnisonschef von Athen, wo er die Verteidigung gegen Reşid Pascha organisierte. Um die Regierung zur raschen Lieferung von Nachschub zu bewegen, verließ er die belagerte Stadt und beteiligte sich nach dem Ende seiner Mission an den Operationen auf Attika und dem östlichen Festland (Anfang 1827). Unter Ioannis Kapodistrias diente er als Chef der „Exekutivkräfte“ (einer Art Polizei) der Peloponnes trotz seiner Meinungsverschiedenheiten mit dem Regenten loyal. Erst zur Regentschaft des Grafen Josef Ludwig von Armansperg geriet er in einen unüberbrückbaren Gegensatz, als der Athener Gemeinderat unter seinem Vorsitz nach der Revolte in Ätolien und Akarnanien (Februar 1836) zu einem Instrument der Opposition wurde und auf Vorschlag des M. am 17. (5.) Januar 1837 den spektakulären Beschluß faßte, König Otto um eine Verfassung zu bitten. Armansperg löste den Gemeinderat am 27. (15.) Januar 1837 auf und stellte M. unter Hausarrest. Nach Armanspergs Entlassung am 26. (14.) Februar 1837 enttäuschte Otto, der M. sehr schätzte, die Hoffnungen der Opposition. Ab 1840 gehörte M. zum Kreise der Verschwörer, die den König zum Erlaß einer Verfassung zwingen wollten, konnte jedoch an der Militärrevolte vom 15. (3.) September 1843 (die Dimitrios Kallerfis anführte) infolge der scharfen Bewachung seiner Wohnung nicht teilnehmen. In der Konstituante 1843/44 führte M. eine eigene Fraktion von etwa 25 durch einen besonderen Eid miteinander verbundenen Anhängern. 1844 war M. Abgeordneter von Athen im neugewählten Parlament und beteiligte sich 1845 vorübergehend an der Herausgabe der Zeitung „Ethnokratia“ (Nationalherrschaft). Da Otto die verfassungsmäßige Ordnung untergrub, trat M. wieder auf die Seite der ständig sich verbreiternden Opposition. Am 28. (16.) März 1852 wegen der Teilnahme an einer Verschwörung gegen den König zum Tode verurteilt, dann zu zehn Jahren Gefängnis begnadigt und schließlich freigelassen, wurde der an seinen Verwundungen schwer leidende M. am Ende seines Lebens zum religiösen Schwärmer und verfaßte die noch unpublizierte Schrift über seine mystischen Gespräche mit Heiligen und der Mutter Gottes unter dem Titel „Oramata ke thamata“ (Visionen und Wunder). Am Sturz Ottos 1862 nahm er nicht mehr teil. Bleibendes Ziel M.’ politischer Tätigkeit war eine innere Ordnung, in der das allgemeine Interesse des Landes den Vorrang vor den partikularen Interessen der Parteien und Regionen haben sollte: Das allgemeine Interesse gebiete, die Exekutive durch Verfassung und Gesetz zu beschränken, den Veteranen des Unabhängigkeitskrieges eine maßgebende Stellung in der Gesellschaft zuzuweisen, deren Angehörige materiell zu sichern, die Kirche vor Häresien und fremden Einflüssen zu schützen und die große Idee der Vereinigung aller Connationalen in einem expandierenden Staat zu realisieren. Dieser Konzeption entsprachen die Feindbilder: Fanarioten und politische Parteien, Absolutismus und „Fremdenherrschaft“, ausländische Einwirkungen auf die griechische Politik, aber auch europäisches Theater und westliche Aufklärung (M. begrüßte die Verbannung des Thomazos Kairis!). M. ist ein typischer Vertreter der im Krieg auf gestiegenen, zu Ansehen und Einfluß gelangten Freischärler, die nach dem Ende der Kämpfe den Weg in das zivile Leben nicht fanden. Empört über ihre Entmündigung unter Otto betrachteten sie sich als Anwälte der von ihnen erkämpften Freiheiten der Nation; ohne Verständnis für Politik und Staatsorganisation fühlten sie sich häufig zu Unrecht zurückgesetzt. Gerade an den farbigen Memoiren des M., die zu den schönsten Denkmälern der neugriechischen Prosa gehören, läßt sich ablesen, wie M. unter diesen Voraussetzungen persönliche Interessen und schichtspezifische Erwartungen ganz naiv mit den allgemeinen Interessen der Nation identifizierte.
Literatur
Vlachojannis, Ioannis (Hrsg.): Archion tu stratigu Ioannu Makrijanni. Bd 1 (Dokumente), Bd 2 (Memoiren). Athen 1907. (Neuauflagen von Bd 2 (Memoiren) in 2 Bden unter dem Titel: Makrijannis, Ioannis: Apomnimonevmata. Athen 1947(2), 1964(3), 1968(4)).
Asdrachas, Spiros (Hrsg.): Ioannis Makrijannis. Apomnimonevmata. Athen 1957.
Katsimbalis, Georgios K.: Vivliografia I. Makrijanni ke P. Zografu. Athen 1957.
Protopsaltis, Emmanuil: I diki tu stratigu Makrijanni. Athen 1963.
The Memoirs of General Makriyannis, 1797-1864. Ed. and transl. by H. A. Lidderdale. London 1966.
Daskalis, A. V.: Ioannis Makrijannis. Apomnimonevmata. 2 Bde. Athen 1971.
Puchner, Walter: Die Memoiren des griechischen Revolutionsgenerals Makryjannis aus kulturanthropologischer Sicht. In: Südost-Forsch. 34 (1975) 166-194.
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