Marinković, Vojislav, serbischer Politiker, * Belgrad 13.05.1876, † ebd. 18.09.1935, Sohn des Politikers Dimitrije M. und der Velika M.
Leben
M. absolvierte das Gymnasium in Belgrad und das Jurastudium in Paris, wo er auch Politik- und Wirtschaftswissenschaften studierte. Nach seiner Rückkehr nach Belgrad wurde er 1901 Beamter im Finanzministerium Mihailo M. Popovićs. Aus dem Staatsdienst trat er jedoch aus, als er zum Direktor der Allgemeinen Wirtschaftsbank (Opšta privredna banka) gewählt wurde. Seine politische Karriere begann M. 1906 als Parlaments-(Skupština-)Abgeordneter der im selben Jahr von Stojan Novaković wiedergegründeten, jungkonservativen Serbischen Fortschrittspartei (Srpska napredna stranka). In der Folge wurde er bei allen Skupština-Wahlen bis zu seinem Tode wiedergewählt. In den Koalitionsregierungen unter Nikola Pasić (22.11.1914 - 10.06.1917 und 3.11.1918 - 7.12.1918) war M. Wirtschaftsminister. Nach dem Tode von Stojan Novaković übernahm er 1915 die Führung der Fortschrittspartei. Als Vertreter der Opposition in der Skupština nahm er an den Verhandlungen auf der Insel Korfu (15.06.1917 - 20.07.1917) teil, die zu einem ersten Übereinkommen, der Deklaration von Korfu (Krfska deklaracija), über die Errichtung eines neuen Staates aus dem Zusammenschluß Serbiens mit den südslawischen Teilen Österreich-Ungarns führten. In der gleichen Eigenschaft war er auch an der der Staatsgründung unmittelbar vorausgehenden Genfer Verständigung (Ženevski sporazum) zwischen den Südslawen der Habsburgermonarchie und Serbien beteiligt. Im neuen Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen gründete M. als Führer der Fortschrittspartei mit Führern anderer Parteien (Ljubomir Davidović, Milorad Drašković, Svetozar Pribićević und Vojislav Veljković) im April 1919 die Demokratische Gemeinschaft (Demokratska zajednica), eine gesamtjugoslawische bürgerliche Sammelpartei, die ihren Rückhalt in Serbien hatte und sich ab 1920 Demokratische Partei (Demokratska stranka) nannte. Sie strebte einen zentralistischen und national unitaristischen Staat an. Vom 24. Dezember 1921 bis Juni 1922 war M. Innenminister im Koalitionskabinett Nikola Pasić. Nach der Loslösung der extrem zentralistischen Gruppe Pribićević von der Demokratischen Partei im April 1924 war M. mit der übrigen nunmehr fast rein serbischen Partei aktiv an der Bildung des Oppositionsblocks in der Skupština beteiligt, dem neben der Demokratischen Partei die Slowenische Volkspartei (Slovenska ljudska stranka) und die Jugoslawische muslimische Organisation (Jugoslavenska muslimanska organizacija) angehörten. Dem Oppositionsblock gelang es, die Regierung Pasić-Pribićević zu stürzen, und M. wurde Außenminister im Kabinett Ljubomir Davidović (27.07.1924 - 6.11.1924). Neuerlich wurde er mit diesem Ressort am 17. April 1927 betraut und hatte es in allen sieben folgenden Kabinetten bis zum 2. Juli 1932 inne. Vom 4. April 1932 bis 2. Juli 1932 war er auch Ministerpräsident. Als Außenminister hatte er das Königreich SHS bzw. Jugoslawien in einer sehr schwierigen Zeit zu vertreten. M. gelang es, mit der Unterzeichnung eines Bündnisvertrags mit Frankreich am 11. November 1927 und mit seinen Bemühungen um verbesserte Beziehungen zu den Nachbarstaaten, der Einkreisungspolitik Mussolinis entgegenzuwirken. So gewann er jene Zeit, die Jugoslawien benötigte, um nach der inneren Konsolidierung wieder eine aktivere Außenpolitik führen zu können. Während seiner Ministerpräsidentschaft trat eine Milderung der Diktatur ein. Der rasch wiederauflebende Parteienzwist führte jedoch dazu, daß der liberalere und bereits kränkliche M. die Regierungsgeschäfte an die „starke Hand“ Milan Srškić abgeben mußte. Ein letztes Mal bekleidete er einen Regierungsposten vom 22. Oktober 1934 bis 20. Dezember 1934 als Minister ohne Portefeuille in der Regierung Uzunović. Im Gegensatz zur Mehrheit der Demokratischen Partei, die in Opposition zu der am 6. Januar 1929 eingeführten Königsdiktatur stand, unterstützten die demokratischen Gruppen um M., Kosta Kumanudi und Kosta L. Timotijević das diktatorische Regime. M. war beteiligt an der Ausarbeitung der oktroyierten Verfassung vom 3. September 1931 und dem im selben Jahr eingeführten Wahlgesetz, das die öffentliche Stimmabgabe vorschrieb. Die heutige jugoslawische Historiographie sieht in M. einen Exponenten des serbischen Großbürgertums, der besonders die Interessen der serbischen Finanzkreise vertrat - er war einige Jahre Präsident der Belgrader Börse - und eine Stütze des jugoslawischen monarchistischen Absolutismus war.
Literatur
Pavlović, Kosta St.: Vojislav Marinković i njegovo doba (1876-1935). 5 Bde. London 1955/60.
Čulinović, Ferdo: Jugoslavija izmedju dva rata. 2 Bde. Zagreb 1961.
Gligorijević, Branislav: Demokratska stranka i politički odnosi u Kraljevini Srba, Hrvata i Slovenaca. Beograd 1970.
Vinaver, Vuk: Jugoslavija i Madjarska 1918-1933. Beograd 1971.
|