Orhan I.

GND: 122922999

Orhan (Orhan Gazi), zweiter osmanischer Sultan 1324 (?) - 1360, * 1281/1282 (?), † 1362, begraben in Bursa, Sohn des Osman.

Leben

O.s Mutter soll einigen Quellen zufolge die Tochter des Ahi-Schejchs Edebali, Mal Hatun (Bālā Hatun), anderen Quellen zufolge Mal Hatun, die Tochter eines gewissen Ömer Beys, gewesen sein. Noch zu Lebzeiten seines Vaters (1320) war die Leitung vor allem der kriegerischen Unternehmungen bereits O. übertragen worden, da sie Osman aus Gesundheitsgründen nicht mehr wahrnehmen konnte. Für den Herrschaftsantritt O.s in oder noch vor dem Jahre 1324 scheint eine Urkunde aus eben diesem Jahre zu sprechen (Ismail Hakkı Uzunçarşılı: Gazi Orhan Bey vakfiyen. In: Belleten 5 (1941) 277-288). Der zweite Beweis für die obige Annahme (ders.: Gazi Orhan Bey’in hükümdar olduğu tarih ve ilk sikkesi. In: Belleten 9 (1945) 207-211) ist nicht stichhaltig, da er auf der Fehlinterpretation einer Münzlegende beruht. Da Osman nach Aussage der altosmanischen Chroniken die Eroberung von Bursa (1326) noch erlebt haben soll, müßte er auf die Herrschaftsrechte zugunsten O.s verzichtet haben, oder aber O. hat erst nach dem Tode Osmans die Herrschaft angetreten. Da das Todesjahr Osmans nicht gesichert erscheint, ist auch für die zweite Möglichkeit eine sichere Datierung unmöglich. Mit Sicherheit wird auf einem in Bursa geprägten Silber-Akçe aus dem Jahre 727 H. (1326/27) - der ersten Münze der Osmanen überhaupt - O. als Herrscher bestätigt. Bursa, das schon ab 1315 unter teilweiser osmanischer Belagerung gestanden war, mußte sich 1326 den Osmanen ergeben und wurde von O. zur Hauptstadt seines Fürstentums gemacht. Nachdem O. seinen Machtbereich bis ans Schwarze Meer und den Bosporus ausgeweitet hatte und Nikaia (Iznik) belagerte, entschloß sich Kaiser Andronikos III., ihm entgegenzutreten. In der Schlacht bei Pelekanon (nach anderen Berichten bei Philokrene, die Datierung schwankt zwischen 1329 und 1331) unterlagen die Byzantiner den zahlenmäßig überlegenen Osmanen. Kurz darauf mußte Nikaia den Osmanen die Tore öffnen (nach byzantinischen Quellen am 01. bzw. 02.03.1331). O. verlegte seinen Regierungssitz für einige Zeit von Bursa nach Nikaia, und die Stadt wurde zu einem Zentrum islamischer Kultur in Kleinasien, wozu besonders die großzügigen Stiftungen der Herrscherfamilie beitrugen. Sechs Jahre nach der Einnahme Nikaias fiel auch Nikomedia (Izmit) in die Hände O.s (1337). Die Machtpositionen des Byzantinischen Reiches in Kleinasien waren damit zusammengebrochen. Der Bürgerkrieg, der Byzanz nahe an den Untergang brachte, verhalf den Osmanen zu ihrem Einbruch in die Balkanhalbinsel. Als Bündnispartner von Johannes VI. Kantakuzenos kamen die Truppen O.s zum ersten Mal auf den Balkan, um für die Interessen des Kantakuzenen zu kämpfen, der 1344/45 einen Bündnisvertrag mit O. geschlossen und ihm seine Tochter Theodora zur Frau gegeben hatte. Die osmanischen Truppen, die des öfteren auf der Seite der Byzantiner gegen eindringende Serben und Bulgaren in Thrakien kämpften, wurden von Süleyman, dem Sohne O.s, angeführt. Mit Hilfe Süleymans und der osmanischen Truppen gelang es Matthäos, dem Sohne Johannes VI., das durch die Serben bedrohte Saloniki zu befreien (1349). Als es zu einem Bündnis des Kaisers Johannes V. Palaiologos mit Stefan Dušan von Serbien und Ivan Aleksandŭr von Bulgarien gegen Johannes VI. kam, waren es wieder die osmanischen Truppen, die den in der belagerten Burg von Adrianopel bedrängten Matthäos retteten und die verbündeten gegnerischen Truppen zerschlugen (1352). Als Gegenleistung für diese Waffenhilfe versprach Kantakuzenos O. eine der Festungen auf der Halbinsel von Gallipoli, und Süleyman beließ dieser Abmachung zufolge bei seinem Rückzug aus Thrakien eine Besatzung in der Festung
Çimpe (Tzympe, 1353), die den ersten Brückenkopf der Osmanen in Europa darstellte. Nach einem mißlungenen ersten Versuch (1354) gelang es O. durch seinen Sohn Süleyman 1356 endgültig, auch Gallipoli und weitere Gebiete der europäischen Küste des Marmarameeres in seinen Besitz zu bringen, wie er sich auch durch die Einnahme Çorlus (1357) im Inneren Thrakiens festsetzte. Kaiser Johannes V. mußte 1359 die osmanischen Eroberungen in Thrakien bestätigen. Durch die Erweiterung seines Besitzes in Kleinasien (das Land der Fürsten von Karasi mit den Städten Bergama und Balıkesir hatte O. schon nach 1341 erobert, und Ankara wurde 1354 durch Süleyman eingenommen) war O. zum mächtigsten islamischen Fürsten im westlichen Kleinasien geworden. Der jähe Tod Süleymans (1357 oder 1359), der bei einer Jagd vom Pferde gestürzt und an den Folgen des Sturzes verstorben war, vereitelte vorerst die weiteren Pläne der Osmanen auf dem Balkan. O. ernannte nun seinen Sohn Murad (I.) zum Oberkommandierenden der Truppen, und die bewährten Feldherren wie Lala Şahin Pascha, Hacı Ilbeği und Evrenoz Bey standen ebenfalls noch an der Spitze der Truppen, doch sollten die Eroberungen auf dem Balkan erst nach dem Tod O.s wieder erfolgreich weitergeführt werden. O. hatte insgesamt sechs Söhne, von denen bei seinem Tode noch drei am Leben waren, Murad, Ibrahim und Halil. Die letzteren zwei ließ Murad, als er die Herrschaft übernahm, beseitigen. - Von O.s Frauen sind uns drei namentlich überliefert: Nilüfer Hatun, die Tochter des Herrn von Yar Hisar und Mutter seiner Söhne Süleyman und Murad (I.); Theodora, die Tochter Johannes VI. Kantakuzenos’, und Asporça Hatun, die Tochter Andronikos III.. Undurchsichtig bleibt nach dem derzeitigen Quellenstand das Verhältnis O.s zu seinem Bruder Alaeddin Pascha. In der Regierungszeit O.s wurden die Grundlagen der Organisation und Verwaltung des jungen, schnell sich vergrößernden Staates gelegt, die in manchen Bereichen in ihren Grundzügen bis in das 19. Jh. erhalten blieben. Die Männer, die bei diesem Vorhaben O. zur Seite standen, waren Alaeddin Pascha (der Bruder O.s oder Alaeddin Pascha, der Sohn Kemaladdins) und Kara Halil Hayreddin. Als höchstes Staatsamt wurde das Wesirat begründet und mit Alaeddin Pascha besetzt, während Kara Halil Hayreddin als Kadi von Bursa das neue Amt des höchsten Staatsrichters bekleidete. Das Staatsgebiet wurde in Verwaltungseinheiten - Sandschaks - aufgeteilt, an deren Spitze verdiente Truppenführer als Sandschakbeys standen, und zur Kennzeichnung der verschiedenen Stände wurde eine Kleiderordnung erlassen. Das Heer wurde reorganisiert und eine neue Fußtruppe - die Yaya - eingeführt. Die Feststellung mancher Chronisten, daß O. das Korps der Janitscharen errichtet hätte, ist hingegen nicht zutreffend.

Literatur

Hammer: Bd 1.
Giese, Friedrich (Hrsg.): Die altosmanischen anonymen Chroniken. T. 2: Übersetzung. Leipzig 1925.
Uzunçarşılı, Ismail Hakkı: Osmanlı Tarihi. Bd 1. Ankara 1947.
Wittek, Paul: The Rise of the Ottoman Empire. London 1958.
Kreutel, Richard F,: Vom Hirtenzelt zur Hohen Pforte. Graz, Wien, Köln 1959. = Osmanische Geschichtsschreiber. 3.

Empfohlene Zitierweise: Anton Cornelius Schaendlinger, Orhan I., in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 357-359 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1479, abgerufen am: 21.11.2024