Chilendarski, Paisij

GND: 119099896

Paisij Chilendarski, Athosmönch, bulgarischer Aufklärer, * Bansko 1722, † 1798 (?).

Leben

Nur wenige verbindliche und aussagekräftige Daten aus dem Leben P.s sind uns überliefert: In Bansko geboren, was lange Zeit umstritten war, begab sich P. 1745 aus der Eparchie Samokov auf den Athos zu seinem Bruder Laurentius, einem angesehenen Mönch und späteren Hegumenos. Klosterangelegenheiten führten ihn 1761 nach Karlowitz (Karlovci), dem Mittelpunkt des damaligen geistigen Lebens der Serben. Im Jahre 1762 schließlich vollendete er als Prohegumenos des Hilandar-klosters sein bulgarisches Geschichtsbüchlein. In Kotel traf P. 1765 mit Sofronij Vračanski zusammen, und danach reißen die Nachrichten über ihn ab. Heute ist es unbestritten, daß der Athosmönch P. mit seiner „Istorija slavjano-bolgarskaja“ (Slavobulgarische Geschichte) am Anfang der bulgarischen Wiedergeburt steht. Im gebührt das Verdienst, das Programm und die Richtlinien vor allem für die geistige Befreiung der Bulgaren am treffendsten formuliert zu haben. In den Athosklöstern Hilandar und Zographos und auf seiner Reise „ins deutsche Land“ fand er Quellenmaterial für die Geschichte seines Volkes, dessen Schicksal er sehnlichst aufzuschreiben wünschte. In Karlowitz, wo er möglicherweise mit dem serbischen Historiker Jovan Rajić zusammentraf, konnte er in russischer Übersetzung Mauro Orbinis „II regno degli Slavi“ und Caesar Baronius’ „Annales ecclesiastici a Christo nato ad annum 1198“ benutzen. Sicherlich hat P. noch weitere Quellen herangezogen, die uns jedoch nicht bekannt sind. In der „Istorija slavjanobolgarskaja“ wendet sich P. im Vorwort an das einfache bulgarische Volk, entwickelt sein Programm und weist auf Zweck und Ziel seiner Arbeit hin. Zwei Begriffe sind es, die er seinen Lesern neu vor Augen halten will und hinter denen sich Konzeption und Sinn der „Geschichte“ verbergen: Besinnung auf das Volkstum (rod) und die Muttersprache (ezik). P. rollt in mehreren Kapiteln die mittelalterliche bulgarische Geschichte auf, nennt die Namen vieler Zaren und berichtet von deren heldenhaften Taten, womit er bewußt eine Idealisierung der Vergangenheit erreicht. Die Chronologie, die Namen und die Ereignisse stimmen häufig mit den Erkenntnissen der heutigen Geschichtswissenschaft nicht überein, aber es war nicht das Hauptanliegen P.s, die Vergangenheit wissenschaftlich fundiert darzustellen, was ihm beim Stand der damaligen Geschichtsschreibung auch nicht möglich gewesen wäre, sondern die Vergangenheit neu zu erwecken und sie schließlich als Gegensatz zur trostlosen Gegenwart herauszustellen. P. erkannte die verhängnisvollen Auswirkungen der griechischen geistigen Bevormundung und versuchte gegen sie anzukämpfen. In der griechischen Kirche und Hierarchie sah er den größten Feind der bulgarischen Aufklärung. Gegen die politische Herrschaft waren seine Worte weniger gerichtet; hier stellte er keine programmatischen Forderungen auf. Dies läßt sich damit erklären, daß er viel leichter gegen die Griechen agitieren konnte als gegen die Türken, die Bulgarien politisch und wirtschaftlich beherrschten. Die „Istorija slavjanobolgarskaja“ ist das einzige uns bekannte Werk des Mönches P. Seine Leistung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Er war nicht so gebildet und nicht so weit gereist wie seine Zeitgenossen in Serbien und Griechenland - wie Dositej Obradović und Eugenios Vulgaris -, wo die Aufklärung bereits weiter fortgeschritten war und wo sich vor allem schon ein besser ausgebildetes Schulsystem durchgesetzt hatte. Im Gegensatz zu den genannten Männern zeigt sich P. aber wesentlich patriotischer und leidenschaftlicher, eine Haltung, die die besonders bedrohte Lage Bulgariens erklärt. Die „Istorija slavjanobolgarskaja“ blieb zunächst zwar ungedruckt, die zahlreichen Abschriften aber zeugen davon, daß sie unter den Bulgaren weite Verbreitung gefunden hat. Bis heute entdeckte man vierzig Abschriften; weitere zwanzig sind außerdem aus Literaturquellen bekannt. Unter den Handschriften befinden sich zwei, die von einem der unmittelbaren Nachfolger P.s angefertigt wurden, von Sofronij Vračanski, der die „Istorija“ bereits 1765 und dann noch einmal 1781 abgeschrieben hat. Erst 1844 erschien das Werk gedruckt in Budapest, herausgegeben von Christaki Pavlovič, unter dem Titel „Carstvennik ili istorija bolgarskaja“. Wie jede frühere oder spätere Abschrift der „Istorija“ stimmt auch der „Carstvennik“ nicht völlig mit dem Original überein. Eine der letzten Ausgaben (Slavjanobülgarska istorija) erschien 1963 in Sofia unter der Redaktion von Petŭr Dinekov.

Literatur

Šišmanov, Ivan: Paisij i negovata epocha. Misli vŭrchu genezisa na novobŭlgarskoto vŭzraždane. Sofija 1914.
Arnaudov, Michail: Paisij Chilendarski. Ličnost, delo, epocha. Sofija 1962.
Paisij Chilendarski i negovata epocha. 1762-1962. Sofija 1962.
200 Jahre Paissi, 1762-1962. Frankfurt/M. 1962. = Bulgaria. 6.
Schischkoff, Georgi: Otec Paisij von Chilendar und seine „Istorija slavjanobolgarskaja“. In: Südost-Forsch. 21 (1963) Erg.-Heft.
Kulman, Detlef: Studien zum Griechenbild in der Literatur der bulgarischen Wiedergeburt. I. Paisij Chilendarski. In: Die Welt der Slaven 14 (1969) 2, 137-155.
Christov, Christo: Paisij Chilendarski. Negovoto vreme, žiznen pŭt i delo. Sofija 1972.

Verfasser

Detlef Kulman (GND: 128703393)

Empfohlene Zitierweise: Detlef Kulman, Chilendarski, Paisij, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 381-382 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1496, abgerufen am: 25.11.2024