Rustemi, Avni, albanischer Revolutionär, * Libohova (Kreis Gjirokastra in Südalbanien) 26.09.1895, † Tirana 22.04.1924, Sohn eines Grundbesitzers aus Libohova.
Leben
R. beendete die Grundschule in Libohova, besuchte ab seinem 11. Lebensjahr das Gymnasium in Janina und ab seinem 15. Lebensjahr ein türkisches Lyzeum in Istanbul. Die Jahre 1912-1913 verbrachte er in einem pädagogischen Kolleg in Genf, da er Lehrer werden wollte. 1914 kehrte er nach Albanien zurück und kämpfte als Freiwilliger gegen die Griechen, die einige Teile Südalbaniens besetzt hatten. 1915 ging er erneut nach Janina und besuchte dort eine von einer jüdischen Organisation (aleanca izraelite universale) unterhaltene Schule. Zwei Jahre später kehrte er nach Libohova zurück und trat kurze Zeit später eine Stelle als Lehrer in Tepelena an. Hier kam es indes zu Zwischenfällen mit dem italienischen Direktor der Schule und R. wurde deshalb auf eine Mädchenschule nach Vlora versetzt. Aber auch hier kam es zu Streitigkeiten mit dem Direktor, der ebenfalls Italiener war, und R. nahm seinen Abschied. Am 28. November 1918 war er unter den Organisatoren der Kundgebung in Vlora, die anläßlich des 6. Jahrestages der Ausrufung der albanischen Unabhängigkeit veranstaltet wurde und bei der es zu Zusammenstößen zwischen den Manifestanten und der italienischen Besatzungsmacht kam. R. blieb in Vlora bis Anfang 1919, als er nach Kalabrien ging und an dem albanischen Kolleg in San Demetrio Corone zu studieren begann. Anfang 1920 reiste er nach Rom und schrieb sich am Lehrstuhl für Pädagogik ein. Anfang Mai desselben Jahres kehrte er jedoch nach Vlora zurück. Die Regierung Sulejman Delvina, die aus dem Kongreß von Lushnja (28.-31.01.1920) hervorgegangen war, kämpfte zu dieser Zeit mit einer Reihe schwerer äußerer und innerer Probleme: Die Italiener dehnten ihren Einfluß von Vlora nahezu auf ganz Albanien aus; Mustafa Kruja und Bazi Canës (Abas Kupi) sagten sich los mit ihren Leuten; die Anhänger Esad Paschas verlangten offen dessen Wiederkehr mit der Behauptung, daß seine Regierung von Saloniki die einzige legale Regierung Albaniens sei; auf der Friedenskonferenz in Paris war das Schicksal Albaniens ungewiß und die albanische Delegation war sich uneinig. Esad Pascha befand sich in Paris und unterbreitete der Friedenskonferenz selbst ein Memorandum, in dem er um seine Rückkehr ansuchte. Unter diesen Umständen schickte die Regierung, der man Patriotismus und Gefühl für politische Realität nicht abstreiten kann, eine Delegation nach Paris, die mit Esad Pascha verhandeln sollte, der offen sagte, daß er als Prinz oder Vorsitzender der Regierung zurückzukehren gedenke. Es sieht danach aus, als ob bei dieser Gelegenheit bei R. die Idee geboren wurde, Esad Pascha zu ermorden, der im Volk nach der Ermordung des heroischen Verteidigers von Skutari, des türkischen Generals Hasan Riza Pascha, und nach der Übergabe Skutaris an die Montenegriner im Jahre 1913, als Verräter des albanischen Volkes angesehen wurde. Anfang Mai 1920 fuhr R. von Vlora nach Tirana und am 21. Mai weiter nach Rom und von dort nach Paris. Seine Absicht, Esad Pascha zu ermorden, koordinierte er mit dem Beginn des Aufstandes zur Befreiung Vloras im Juni 1920. Am 13. Juni 1920, als Esad Pascha das Hotel „Continental“ in der Rue Castiglione verließ, tötete R. ihn mit einigen Pistolenschüssen. Die Ermordung, die Untersuchung und das Urteil, das am 2. Dezember 1920 verkündet wurde, erregten die französische und europäische Presse und die europäische öffentliche Meinung. Die ganze Verteidigung R.s und seines Rechtsanwaltes fußte auf der Behauptung, daß es sich nicht um einen Mord mit Vorbedacht gehandelt habe, sondern daß R. als Patriot die Kontrolle über sich verlor, als er Esad Pascha begegnete und als er fühlte, wieviel Verrat dieser am albanischen Volk verübt hatte. R. wurde für unschuldig erklärt. Er kehrte sofort nach Vlora zurück, wo er wie ein Volksheld empfangen wurde, und stieg in das gesellschaftliche und politische Leben Albaniens aktiv ein. Im April 1921 versammelten sich auf seine Initiative die Vertreter von 25 kulturellen Gesellschaften und gründeten den Verein „Atdheu“ (Vaterland). Als Zogu als Innenminister 1922 die Tätigkeit dieser Gesellschaft verbot, gründete R. am 13. Oktober 1922 in Tirana die Gesellschaft „Bashkimi“ (Vereinigung), die neben kulturellen auch politische Ziele verfolgte. Bald danach gründete R. auch in anderen Städten Filialen dieser Gesellschaft. Am 1. August 1924 wurde in Tirana ein Kongreß aller „Bashkimi“-Gesellschaften organisiert und eine zentrale Führung gewählt. Die Gesellschaft hatte ihr Organ in der Zeitschrift „Bashkimi“. Zur Zeit der Regierung Fan Noli im Jahre 1924 stellten die Mitglieder von „Bashkimi“ die größte Stütze seiner Regierung dar. Bei den Wahlen zur Konstituante am 27. Dezember 1923 wurde R. auf Antrag und mit Unterstützung Bajram Curris zum Abgeordneten von Kosovo (Puka) gewählt. Zur Zeit der Wahl und nach dieser verschärften sich die innenpolitischen Verhältnisse sehr; es bildeten sich zwei nicht nur rivalisierende sondern sich sogar feindlich gesonnene Strömungen: der demokratische Block mit R. an der Spitze, der auch Fan Noli, Bajram, Curri, Sulejman Delvina u.a. angehörten, und eine konservative Strömung, die hauptsächlich die Feudalen mit Zogu an der Spitze umfaßte. Unter diesen Umständen machten die Konservativen einen fatalen Fehler, als sie am 20. April 1924 durch einen gewissen Jusuf Reçi ein Revolverattentat auf R. verüben ließen, dem dieser zwei Tage später erlag. R.s Beisetzung in Vlora am 30. April wurde in eine Demonstration gegen die Regierung umgewandelt. Die Opposition machte Vorkehrungen für einen bewaffneten Aufstand gegen die Regierung. Am 24. Mai erhob sich in der Malesija in Nordalbanien Bajram Curri mit seinen Anhängern, was das Signal für den Aufstand auch in den übrigen Gebieten war. Am 10. Juni nahmen die Aufständischen Tirana ein, worauf die Mehrheit der Mitglieder von Regierung und Parlament nach Italien, Griechenland oder Jugoslawien floh. Aber die Regierung Fan Noli konnte wegen außenpolitischer Fehler nicht alle nationalen Kräfte um sich sammeln; sie bemühte sich, die Anerkennung Frankreichs, Englands und anderer europäischer Staaten zu erlangen, was mit einer Ausnahme - der Sowjetunion - vergeblich blieb. Es dauerte nur sechs Monate, bis Zogu mit Hilfe der jugoslawischen Regierung nahezu ohne größeren Widerstand Tirana einnahm, die Macht an sich riß und seine Diktatur errichtete. So wurde die demokratische und soziale Entwicklung noch in ihren Anfängen erstickt, was für die künftige Entwicklung Albaniens schwere Folgen hatte.
Literatur
Dalliu, I.: Kreshiku i atdheut Avni Rustemi. Shkodër 1920.
Dilo, L.: Avni Rustemi. Tiranë 1960.
Alibali, Jusuf: Avni Rustemi para organeve hetimore e gjyqësore franceze. In: Studime historike 18 (1964) 2, 209-223.
Revolucioni i qershorit 1924 në kujtimet e bashkëkohësve. Tiranë 1974.
Avni Rustemi. Patriot i madh-demokrat revolucionar. (Dokumente dhe materiale). Hrsg. M. Pela u. H. Luga. Tiranë 1974.
Spahiu, Hasan: Avni Rustemi. Jeta dhe lufta e tij. In: Nëntori 21 (1974), 6, 144-155.
Këlliçi, Skifter: Atentat në Paris. Tiranë 1978.
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