Starčević, Ante

GND: 119559013

Starčević, Ante, kroatischer Politiker, * Žitnik (bei Gospić, Lika) 23.05.1823, † Zagreb 28.02.1896.

Leben

 St. kam nach Absolvierung der Grundschule 1839 nach Zagreb, wo er das Gymnasium besuchte und von 1843 bis 1845 Philosophie an der dortigen Akademie der Wissenschaften studierte. In dieser Zeit wurde er ein begeisterter Anhänger des „Illyrismus“, dessen Programmatik er schriftstellerisch unter dem Pseudonym A. V. Rastevčić in Ljudevit Gajs „Danica ilirska“ u. a. Publikationsorganen des „Illyrismus“ vertrat. Zusammen mit seinem Freund Eugen Kvaternik studierte er Theologie in Senj sowie (von 1846 bis Februar 1848) in Pest, wo er auch seine philosophischen und historischen Interessen weiterverfolgte und 1846 das Doktorat der Philosophie erwarb. Nach Abbruch der Theologiestudien kehrte er nach Kroatien zurück und arbeitete zur Zeit des Bachschen Absolutismus bis 1861 in der Advokatenkanzlei seines Freundes Lavoslav Šram. Politisch war er in diesen Jahren nicht aktiv, doch verfaßte er zahlreiche literarische, literaturkritische und praktisch-philosophische Schriften (darunter eine 1858 im „Hrvatski kalendar“ veröffentlichte Sammlung von Aphorismen). 1853 wurde er in die literarische Sektion der „Matica ilirska“ gewählt und übernahm zeitweilig die Redaktion ihrer Zeitschrift „Neven“. Aktiv arbeitete er da neben in der Gesellschaft für südslawische Geschichte (Društvo za povjesnicu jugoslavjansku) mit. Ab 1850 löste sich St. vom „illyrischen“ Gedankengut und wandte sich einer zunehmend kroatozentrischen Ideologie zu. Dies wurde in der Auseinandersetzung mit Vuk Karadžić um die Kodifizierung einer modernen serbisch-kroatischen Schriftsprache deutlich. St. lehnte die Wiener Vereinbarung zugunsten der Vukschen Konzeption (Ijekavština und phonetische Schreibweise) vom März 1850 ab und plädierte statt dessen für die Verwendung der Ekavština und der etymologischen Orthographie. In dem heftigen - von nationalen Stereotypen durchsetzten - Sprachenstreit mit den Anhängern Vuks sprach er dem serbischen Volksnamen eine eigenständige ethnische Grundlage ab und verurteilte die Protagonisten der Wiener Vereinbarung als Instrumente der serbischen Propaganda gegen das Kroatentum. Nach Aufhebung des Bachschen Absolutismus und Wiederherstellung der Komitatsrechte wurde St. 1861 zum Obernotar (glavni bilježnik) der Fiumaner Gespanschaft (Riječka županija) gewählt, wo er - verbittert durch die Germanisierungsbestrebungen nach 1848 - sein historisch-staatsrechtliches Programm (vermischt mit rationalistischem Fortschrittsdenken und romantischen Theoremen von der spezifischen Rolle einer jeden Nation in der Menschheitsgeschichte) als nationsintegrative Grundlage der kroatischen Selbstidentifikation entwickelte. Ausgehend von der Prämisse, daß das Königreich Kroatien durch die Personalunion mit den Habsburgern im Jahre 1527 nichts von seiner Souveränität aufgegeben habe, forderte er eine vertragliche Neuregelung der staatsrechtlichen Beziehungen Kroatiens (einschließlich Slawoniens, der Militärgrenze, des Zwischenmurgebiets, Dalmatiens, Bosniens, der Herzegowina und Sloweniens) mit Ungarn und Österreich sowie die Herstellung der Hoheit des kroatischen Sabor in Fragen der inneren Verwaltung, der Finanzen, der Außenhandelsbeziehungen und der allgemeinen Wohlfahrt. Die aus historisch-traditionellen Argumenten der kroatischen Adelsnation und Grundsätzen des Rousseauschen „contrat social“ (Volkssouveränität!) kombinierte „Vertragstheorie“ bildete den Mittelpunkt von St.s „Rechtsideologie“, der alle anderen politischen und sozialen Fragen untergeordnet waren. Das Ideal eines unabhängigen kroatischen Staates „wurde zum absoluten Maßstab für die Bewertung aller Erscheinungen in Vergangenheit und Gegenwart“ (Mirjana Gross). Als Mitglieder des im April 1861 einberufenen kroatischen Landtags konnten St. und Kvaternik ihre „axiomatische“ Gegnerschaft zu Österreich (Jaroslav Šidak) sowie ihre staatsrechtlichen Vorstellungen in dem dafür zuständigen Gremium vertreten. Nach dem Willen des Wiener Hofes hatte der Sabor die Aufgabe, die Beziehungen Kroatiens zu Ungarn und Österreich im Rahmen der Habsburgermonarchie zu regeln, wobei sich Schmerling in der Konfrontation mit den Ungarn vergeblich eine Unterstützung seiner zentralistischen Bestrebungen durch die politische Elite Kroatiens versprach. In den Sitzungen vom Juli und August standen drei Vorschläge zur Debatte: Die Abgeordneten der „Nationalpartei“ (Narodna stranka) schlugen eine Realunion zwischen Kroatien und Ungarn auf gleichberechtigter Basis, die „Unionisten“ eine Realunion beider Staaten ohne alle Vorbedingungen vor, während Kvaternik, unterstützt von St., keinerlei rechtliche Verbindung mit Ungarn oder Österreich anerkennen, sondern zunächst nur in Verhandlungen mit dem Monarchen über eine Personalunion eintreten wollte. Am 23. Juli wurde der erste Vorschlag als Gesetzesartikel 42/1861 von der Landtagsmehrheit angenommen. Die im „Handschreiben“ Franz Josephs vom 20. Oktober 1860 geforderte Entsendung kroatischer Delegierter in den Wiener Reichsrat wurde - entsprechend den Vorstellungen St.s und Kvaterniks - vom Sabor am 5. August 1861 abgelehnt und damit der kroatische Anspruch auf staatliche Unabhängigkeit unterstrichen. Wegen seiner Opposition gegen den Schmerlingschen Zentralismus und seiner föderalistischen Forderungen wurde der „ungehorsame Landtag“ durch königliches Reskript vom 8. November aufgelöst. Nach einer „aufrührerischen“ Rede in der Fiumaner Gespanschaftsversammlung wurde St. im Oktober 1862 von seinem dortigen Amt suspendiert und im Juni des folgenden Jahres in Zagreb zu einem Monat Haft verurteilt. Anschließend bis 1871 war er wieder in der Kanzlei von Šram tätig und wurde 1865 erneut in den Sabor gewählt. In einer Rede vom 27. Februar 1866 machte er die österreichische „Despotie“ für die schwere Lage Kroatiens in der Gegenwart verantwortlich. Kompromißlos bekämpfte er die „Nationalpartei“ und ihr austroslawisches Programm sowie die Anerkennung einer serbischen Nation in Kroatien. In seinen „Briefen an die Madjaroler“ (Pisma Magjarolacah), d.h. an die Diener der Madjaren und „Tiroler“ (als Synonym für die Deutsch-Österreicher) griff er die „Nationalpartei“ wegen ihrer schwankenden Politik gegenüber Pest und Wien an. Seine Gegner unter den Kroaten und Serben titulierte er in einem Artikel von 1868 über die Parteien in Kroatien (Stranke u Hervatskoj) zum ersten Mal als „Slavoserben“ (abgeleitet aus „sclavus“ und „servus“), die eine zwiefache Sklavennatur besäßen und grundsätzliche Gegner der Freiheit und der Menschenwürde seien. In seiner Abhandlung über den Namen „Serbe“ (Ime Serb, 1868) versuchte er mit pseudowissenschaftlichen Argumenten nachzuweisen, daß „Serbe“ kein Volksname sei und daß es in der Vergangenheit „keine Spur eines serbischen Volkstums, keine serbische Literatur und keine serbische nationale Geschichte“ gegeben habe (die Nemanjiden betrachtete er als kroatische Dynastie!). Mit Gründung der Zeitschrift „Hervat“ bzw. „Hervatska“ (1868/69) erhielten die Verfechter des kroatischen Staatsrechts und der großkroatischen Nationalideologie - die „pravaši“ - nach dem kurzen Vorspiel mit der „humoristisch-satirischen“ Halbmonats Zeitschrift „Zvekan“ (Narr, 1867) ihr publizistisches Sprachrohr. Die „Bewegung“ - von einer Partei im eigentlichen Sinn konnte noch nicht die Rede sein - erlitt jedoch schon Ende 1871 infolge des mißglückten Aufstandsversuchs Kvaterniks in der Lika einen schweren Rückschlag. St „der in die Vorbereitungen nicht eingeweiht worden war und dessen theoretische Veranlagung in Kontrast zum politischen Aktionismus Kvaterniks stand, wurde vorübergehend verhaftet und zog sich anschließend in die Kanzlei seines Neffen David nach Jastrebarsko zurück. Erst 1876 trat in in Zusammenhang mit dem Aufstand in Bosnien und der Herzegowina publizistisch wieder an die Öffentlichkeit. Er verurteilte die Erhebung der „Raja“ und setzte sich aus antiösterreichischen Ressentiments für die Erhaltung der territorialen Integrität des Osmanischen Reiches ein. Statt einer österreichischen Okkupation forderte er ein Autonomiestatut für die in Bosnien und der Herzegowina lebende südslawische Bevölkerung, deren islamische Oberschicht er als „ältesten und reinsten“ Teil des kroatischen Adels apostrophierte (vgl. dazu auch seine postum veröffentlichte Schrift über die Orientalische Frage, „Iztočno pitanje“, 1899). St. war sich darüber im klaren, daß die Realisierung seiner großkroatischen Zielsetzung ohne vorherige Zerschlagung der Habsburgermonarchie und damit ohne Unterstützung anderer Mächte unmöglich sein würde. Als Bewunderer der Französischen Revolution hatte er zunächst auf Frankreich gehofft, wandte sich jedoch nach dessen Niederlage gegen Preußen dem im russisch-türkischen Krieg von 1877/78 erfolgreichen Zarenreich zu. Die russophile Kehrtwende veranlaßte ihn zugleich zur Modifizierung seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem „Slawismus“ und zur Einschränkung seiner totalen Negation des serbischen und slowenischen Ethnikums, wodurch der Weg für das von Budapest und Wien gleichermaßen gefürchtete Zusammenwirken kroatischer und serbischer Oppositionspolitiker bereitet wurde. Mit Begründung der Zeitschrift „Sloboda“ (Freiheit) im September 1878 in Sušak erfolgte die Wiederbelebung der „Rechtsbewegung“ und ihre Konstituierung zur „Rechtspartei“ (Stranka prava). St., der seinen Wohnsitz ebenfalls nach Sušak verlegte, wurde im selben Jahr wieder in den Sabor gewählt. 1881 zogen bereits fünfzehn Rechtsparteiler in den Landtag ein. In scharfer Opposition zum Regime des Bans Khuen-Hédervary konnten sie Mitte der 80er Jahre auf die Unterstützung großer Teile des Bürgertums und des Klerus hoffen. Ihr agilster Propagator wurde St.s Neffe David (1840--1908). Nach einem physischen Angriff auf Khuen-Hédervary im Oktober 1885 wurde David zu mehreren Monaten Haft verurteilt, anschließend in einen neuen Prozeß verwickelt und für längere Zeit aus dem politischen Leben ausgeschaltet. Das harte Vorgehen der Khuen-Administration gegen die Opposition sowie die fortschreitende soziale Differenzierung innerhalb der kroatischen Gesellschaft brachten der „Rechtspartei“ bei den Wahlen 1887 eine völlige Niederlage. Politische Frustration der Mitglieder, persönliche Konkurrenzkämpfe und Enttäuschung über die ausbleibende Unterstützung Rußlands leiteten Anfang der 90er Jahre einen tiefen Diffusionsprozeß in der „Rechtsbewegung“ ein. Dominierende Figur dieser Entwicklung war der Advokat Josip Frank (10.04.1844 bis 17.12.1911), der sich als Herausgeber der früheren „Agramer Presse“ und „Kroatischen Post“ sowie als Experte für den kroatisch-ungarischen Finanzausgleich einen Namen gemacht hatte. Nachdem er 1884 als parteiunabhängiges Mitglied in den Sabor eingetreten war, schloß er sich 1890 der „Rechtspartei“ an, die er in den folgenden Jahren auf eine völlig neue Grundlage stellte. In totaler Umkehrung von St.s antiösterreichischer und antidualistischer Konzeption richtete Frank sein politisches Kalkül auf die Unterstützung des Wiener Hofes bei der Lösung der kroatischen Frage im Rahmen der Monarchie. Darüber kam es in der „Rechtspartei“ 1894/95 zu stürmischen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf sich St. und sein zweiter Neffe Mile auf die Seite Franks stellten und die „Reine Rechtspartei“ (Čista stranka prava) von der Mutterpartei unter Führung Fran Folnegovićs abspalteten. Obwohl St.s Lehre während des Diffusionsprozesses innerhalb der „Rechtsbewegung“ zur Legitimation einander bekämpfender Teilgruppen (so auch in der späteren Auseinandersetzung zwischen Frank und Mile St.) verschiedentlich herangezogen wurde und im „Ustaša-Staat“ 1941-1945 eine anachronistische Renaissance erlebte, konnte sie in Anbetracht der politischen Realität ihre Konsistenz nicht bewahren. Als nationale Integrationsideologie hatte sie ihre historische Rolle in den 80er Jahren des 19. Jh.s erfüllt; als politisches Programm war sie gescheitert. Von den Schriften St.s liegt bislang keine vollständige Ausgabe vor. Die noch zu seinen Lebzeiten begonnene Gesamtausgabe „Djela dra Ante Starčevića“, 1-3, Zagreb 1893-1894 blieb unvollendet. Eine Auswahl unter dem Titel „Izabranih spisa“ gab Blaž Jurišić 1943 in Zagreb heraus. Ebenda erschien 1971 auch die von Tomislav Ladan edierte Neuauswahl „Politički spisi. Govori, rasprave, članci“ (Biblioteka „Izbor“. Ciklus: Hrvatska politička misao XIX i XX stoljeća) mit Bibliographie der Werke von und über St.

Literatur

Šegvić, Kerubin: Dr. Ante Starčević. Njegov život i njegova djela. Zagreb 1911.
Bogdanov, Vaso: Ante Starčević i socijalna pravda. Zagreb 1938.
Horvat, Josip: Ante Starčević. Kulturno-povijesna slika. Zagreb 1940.
Bogdanov, Vaso: Starčević i stranka prava prema Srbima i prema jedinstvu južno-slovenskih naroda. Zagreb 1951.
Cesarec, August: Kriza stranka prava i naši „komunari“ 1871. Zagreb 1951.
Flaker, Aleksandar: O pravaškom radikalizmu 80-ih godina XIX stoljeća. In: Hist. Zborn. 7 (1954) 85-101.
Bogdanov, Vaso: Historija političkih stranaka u Hrvatskoj od prvih stranačkih grupiranja do 1918. Zagreb 1958.
Flaker, Aleksandar: Pravaštvo i Rusija. In: Hist. Zborn. 11/12 (1958/59) 105-119.
Gross, Mirjana: Osnovni problemi pravaške politike 1878-1887. In: ebd. 15 (1962) 61-120.
Šidak, Jaroslav, Mirjana Gross [u. a.]: Povijest hrvatskog naroda g. 1860-1914. Zagreb 1968.
Gross, Mirjana: O nacionalnoj ideologiji Ante Starčevića i Eugena Kvaternika. In: Časopis za suvremenu povijest 4 (1972) 1, 25-46.
Oštrić, Vlado: „Misli i pogledi“ i „politički spisi“ A. Starčevića i novija literatura o njemu. In: ebd. 201-210 [Literaturbericht].
Gross, Mirjana: Povijest pravaške ideologije. Zagreb 1973.

Verfasser

Holm Sundhaussen (GND: 120956055)

Empfohlene Zitierweise: Holm Sundhaussen, Starčević, Ante, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 4. Hgg. Mathias Bernath / Karl Nehring. München 1981, S. 169-173 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1682, abgerufen am: 01.04.2025