Andrassy, Julius (Gyula) d. Ä. Graf, österreichisch-ungarischer Staatsmann, * Kaschau 3.03.1823, † Volosca (Istrien) 18.02.1890, aus ungarischem Magnatenadel, mütterlicherseits auch deutscher Herkunft.
Leben
In den gemäßigten liberalen Ideen Széchenyis aufgewachsen, schloß sich A. 1848 Kossuth an und kämpfte auch als ungarischer Gesandter in Istanbul (seit Mai 1849) für dessen Programm der Unabhängigkeit Ungarns. Nach der Niederwerfung der Revolution wurde er wegen Hochverrats 1849 in contumaciam zum Tode verurteilt und 1851 in effigie gehenkt. Er lebte bis zu seiner Begnadigung (1857) in der Verbannung in Paris und London. Nach Ungarn zurückgekehrt, schloß er sich Deák an, nachdem er sich vom Radikalismus Kossuths trennte und sich auch eine Verbindung mit den ständischen Altkonservativen versagte. Er trat für eine Versöhnung Ungarns mit der Dynastie ein, da er ein auf sich gestelltes Ungarn für zu schwach hielt, um dem Vordringen des für die Magyaren gefährlichen russischen Panslawismus Einhalt gebieten zu können. Nach dem Zusammenbruch des neoabsolutistischen Regimes wurde A. 1861 Abgeordneter im ungarischen Reichstag und 1865 dessen Vizepräsident. Er war mit Deák zusammen der Urheber des Ausgleichs von 1867. A. bestand auf einer Verbindung beider Reichshälften durch eine gemeinsame Außenpolitik und Verteidigung unter der Habsburger Dynastie. Von A. ging auch der Gedanke der Delegationen aus, die einen bestimmenden ungarischen Einfluß und die Wahrung des dualistischen Charakters der Monarchie garantieren sollten. Eine leidenschaftliche Fürsprecherin fanden die ungarischen Staatsmänner in Kaiserin Elisabeth. Durch ihren Einfluß gewann der Kaiser immer größeres Vertrauen zu A. Erst als der mit dem sich anbahnenden Dualismus nicht einverstandene Föderalist Belcredi zurücktrat und Beust an seine Stelle kam, konnte A. als Ungarns erster Ministerpräsident (seit 17.02.1867) den österreichisch-ungarischen Ausgleich durchsetzen. Während seiner viereinhalb Jahre währenden Amtszeit reformierte er die Staatsverwaltung, setzte das neue Wehrgesetz durch und erreichte die Einverleibung Siebenbürgens und der Militärgrenze sowie den Ausgleich mit Kroatien. Am 8. Juni 1867 führte er Franz Joseph und Elisabeth zur Krönung nach Ofen, bei welcher Gelegenheit der neue König eine vollkommene Amnestie für die „Achtundvierziger“ erließ und die Aufstellung von Honvedtruppen, der ungarischen Landwehr mit ungarischer Kommandosprache, versprach. A. war Gegner der antipreußischen Politik Beusts und trat 1870 seinen Revancheplänen eines österreichisch-französischen Bündnisses entgegen. Beim Ausbruch des deutsch-französischen Krieges beharrte A. auf der Neutralität der Doppelmonarchie.
Im November 1871 wurde A. Beusts Nachfolger als gemeinsamer Minister des Äußern. Im Bunde mit Deutschland und im Ausgleich mit Rußland suchte er, Österreich-Ungarn eine neue Position in Südosteuropa zu verschaffen. Diesem Zwecke dienten die beiden Dreikaiserzusammenkünfte 1872 zu Berlin und 1876 zu Reichstadt in Nordböhmen. Mit Bismarck und dem russischen Außenminister Gorčakov schuf A. den Dreikaiserbund von 1872. Als Rußland auf dem Balkan stärker in Erscheinung zu treten begann, intensivierte A. die diplomatische Zusammenarbeit mit Bismarck. Er hatte auch wesentlichen Erfolg, besonders seitdem sich der deutsche Kanzler durch persönliche und politische Gegensätze von Gorčakov mehr und mehr getrennt hatte. Versuchen von französischer und besonders englischer Seite, Österreichs Zusammenarbeit mit Deutschland zu stören, trat A. entschieden entgegen. Während des russisch-türkischen Krieges (1877-1878) wahrte A. Österreichs Neutralität, lehnte jedoch gemeinsam mit Deutschland und England die von Rußland geplante Neuordnung (Friede von San Stefano, 3.03.1878) ab. Am 13. Juni 1878 wurde der Berliner Kongreß, als dessen eigentlicher Regisseur A. betrachtet werden muß, eröffnet. Hier sollte von den europäischen Großmächten vor allem die territoriale Neuordnung des Balkans entschieden werden. A. - auf dem Höhepunkt seines diplomatischen Wirkens - konnte mit Hilfe von Deutschland und England durchsetzen, daß die russische Regierung die Okkupation und Verwaltung Bosniens und der Herzegowina durch Österreich-Ungarn zugestehen mußte. Besetzt wurde auch der strategisch wichtige Sandschak Novipazar, der Serbien von Montenegro trennte; in diesem Gebiet blieb die Verwaltung aber in türkischen Händen. A. wurde wegen der Okkupation vor allem von liberaler Seite angefeindet. Wellen des Protestes erschütterten Ungarn. Dies, wie die Ernennung des slawenfreundlichen, feudal-konservativ-klerikalen Kabinetts Taaffe führte zu A.s Demission (22.09.1879). Seine Wünsche sah A. allerdings erst nach Abschluß des Zweibundvertrages mit dem Deutschen Reich erfüllt (7. Oktober). Am 8. Oktober 1879 schied A. aus dem Staatsdienst aus. Es war ihm, der einer der bedeutendsten Außenminister der dualistischen Epoche war, während seiner Amtszeit gelungen, Österreich-Ungarns Stellung im Kreise der europäischen Großmächte neu zu begründen.
Literatur
Wertheimer, Eduard von: Graf Julius Andrássy. Sein Leben und seine Zeit. Nach ungedruckten Quellen. 3 Bde. Stuttgart 1910/13.
Hegedűs, Lóránt: Két Andrássy és két Tisza. Budapest 1937.
Novotny, Alexander: Quellen und Studien zur Geschichte des Berliner Kongresses 1878. Bd 1: Österreich, die Türkei und das Balkanproblem im Jahre des Berliner Kongresses. Graz, Köln 1957. = Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs. 44.
Deusch, Engelbert: Andrássy und die Okkupation Bosniens und der Hercegovina. Untersuchung mit besonderer Berücksichtigung der österreichisch-ungarischen Konsulatsberichte, ln: österr. Osth. 12 (1970) 18-36.
Empfohlene Zitierweise: Friedrich Gottas, Andrássy, Gyula d. Ä. Graf, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 65-67 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=450, abgerufen am: 27.11.2024
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