Antonescu, Ion

GND: 11864968X

Antonescu, Ion, rumänischer Militär und Staatsmann, * Piteşti 2.06.1882, † Jilava 1.06.1946.

Leben

Aus alter Offiziersfamilie stammend, nach Besuch der Kriegsschule 1904 Leutnant der Kavallerie, stellte A. seine hohe organisatorische und operative Begabung als Generalstabschef der Armee Presan während des Weltkrieges und beim Einsatz gegen die ungarische Räterepublik unter Beweis. Seine politische Orientierung zu den Westmächten hin festigte sich während seiner anschließenden Tätigkeit als Militärattache in Paris und London. 1933 zum Chef des Großen Generalstabes ernannt, trat er bereits im folgenden Jahr zurück, nachdem König Karl II. seine Reorganisationspläne abgelehnt hatte. Als Divisionskommandeur nach Piteşti abgeschoben, trat der General in Kontakt zum Führer der „Eisernen Garde“, Codreanu, wahrte jedoch Distanz zur Legionärsbewegung. In der kurzlebigen Regierung des vom „Außenpolitischen Amt“ der NSDAP (Rosenberg) favorisierten Goga (27.12.1937-10.02.1938) war er Kriegsminister. Den Kritiker am korrupten Regime („Königsdiktatur“ seit 11.02.1938) ließ Karl am 9.Juli 1940 verhaften, gab ihn jedoch auf deutsche Intervention hin zwei Tage später wieder frei.
Nach dem Wiener Schiedsspruch (30.08.1940), durch den kurz nach dem Verlust Bessarabiens und der Nordbukowina an die Sowjetunion (28.06.1940) Nordsiebenbürgen und die von den Széklern bewohnten Gebietsteile an Ungarn abgetreten werden mußten, entschied sich Karl angesichts der massiven Kritik an seiner Gesamtpolitik am 4. September 1940 zur Berufung A.s als Ministerpräsident mit weitreihenden Vollmachten (conducătorul statului = „Staatsführer“), wurde jedoch zwei Tage später nach Protesten der „Eisernen Garde“ von A. zum Thronverzicht zugunsten seines 19jährigen Sohnes Michael gezwungen. In der daraufhin gebildeten Koalitionsregierung (15.09.1940) aus Vertrauten des Generals und Führern der „Eisernen Garde“ nahmen die Spannungen ständig zu, wobei jede Seite meinte, mit deutscher Unterstützung rechnen zu können. A. hatte mehr Berechtigung hierzu. Nachdem er das Angebot Karls vom 2. Juli 1940 auf Entsendung einer deutschen Militärmission nach Rumänien erneuert hatte, seit 12. Oktober 1940 die ersten deutschen Einheiten nach dorthin verlegt wurden und Rumänien in Hitlers Ostkriegs- und Balkanplanungen eine zentrale Bedeutung gewann, kam es anläßlich des Beitritts Rumäniens zum „Dreimächtepakt“ am 22./23. November 1940 zur ersten Begegnung Hitler-A. in Berlin. Das dabei begründete Vertrauensverhältnis bewährte sich während des Putsches der „Eisernen Garde“ (20.-23.1. 1941), als sich Hitler für die indirekte Unterstützung des Staatsführers entschied. Mit der Ausschaltung und Unterdrückung der „Eisernen Garde“ verlor A. jedoch einen wichtigen Teil seiner ohnehin schmalen Basis im Lande. Sie konnte nur durch außenpolitische Erfolge gefestigt und verbreitert werden.
Das Ziel A.s, der sich als Sachwalter „Groß-Rumäniens“ nach dem Versagen der Politiker betrachtete, war es, in enger Anlehnung an Deutschland die an die Sowjetunion und Ungarn gefallenen Gebiete zurückzugewinnen und im Rahmen eines deutsch geführten Europa eine wichtige Position in Südosteuropa einzunehmen. Nur durch ein weiteres Entgegenkommen gegenüber den deutschen Wünschen als Ungarn konnte aus seiner Sicht Hitler bewogen werden, die deutsche Garantie der Grenzen des Wiener Schiedsspruchs aufzuheben und u. U. mit Waffengewalt die Rückgewinnung Nordsiebenbürgens durch Rumänien zuzulassen. So billigte A. den deutschen Aufmarsch gegen Griechenland und Jugoslawien, obwohl er Rumänien selbst aus dem Balkanfeldzug heraushielt, und drängte Hitler zum Kriege gegen die Sowjetunion, an dem er Rumänien vom ersten Tage an beteiligte. Der am 22. Juni 1941 proklamierte „heilige Krieg“ zur Rückeroberung Bessarabiens und der Nordbukowina fand die Zustimmung der Opposition im Lande (Maniu, Brătianu) und schien mit der Ernennung A.s zum Marschall von Rumänien (23.08.1941) eine günstige Wendung für seine Stellung mit sich zu bringen. Jedoch die Opferung eines großen Teiles der 4. Armee im Kampf um Odessa, die weitere Beteiligung rumänischer Truppen am Vormarsch bis zur Krim, die verwaltungsmäßige Eingliederung sowjetischen Territoriums („Transnistrien“) und die Kriegserklärung an die USA (12.12.1941) schwächten erneut die innenpolitische Position A.s. Sie geriet Ende 1942 vollends in eine Krise, nachdem sich A. am Sommerfeldzug mit 26 Divisionen beteiligt hatte und ein Heeresgruppenkommando an Don und Wolga hatte übernehmen sollen, ein Plan, der jedoch durch die Katastrophe von Stalingrad, in die 18 rumänische Divisionen hineingerissen wurden, hinfällig wurde. Die Entlassung militärischer Kritiker (Iacobici, Tătăranu) und das Zerwürfnis mit König und Königinmutter verstärkten die Isolierung des Staatsführers, der sich durch Hitler unter wachsenden Druck gesetzt sah. Dieser forderte ein immer stärkeres Engagement der rumänischen Wirtschaft und weitere Beteiligung am Kampfe, besaß dabei in den in Deutschland internierten Führern der „Eisernen Garde“ - als Alternative eines gefügigeren Regimes - gegenüber A. ein Druckmittel. Eine Überlassung Nordsiebenbürgens an Rumänien, die allein A.s Position wieder hätte festigen können, schien Hitler trotz all seiner Kritik an Ungarn und verbaler Zusage (23.03.1944) nicht möglich.
Seit der Stalingrad-Krise, in der A. auch eine Schwenkung in seiner Judenpolitik vollzog (statt Verfolgung der in den östlichen Teilen Rumäniens lebenden Juden Förderung ihrer Auswanderung nach Palästina), suchte der Staatsführer in Kontakten mit den Westmächten nach Wegen, Rumänien vor einer Eroberung durch die Rote Armee zu bewahren. Die Abweisung seiner Vorschläge durch die westlichen Alliierten, die Zweideutigkeit des sowjetischen Verhaltens in den Geheimverhandlungen in Stockholm (Mai/Juni 1944) wie auch Hitlers suggestive Beeinflussung A.s in den häufigen Besprechungen ließen ihn am Bündnis mit Deutschland auch noch festhalten, als die Rote Armee am 20. August 1944 zur Großoffensive gegen Rumänien antrat. Am 23. August 1944 ließ daraufhin König Michael I. den Staatsführer verhaften und nach dem Waffenstillstand (12.09.1944) an die Sowjetunion ausliefern. In einem Scheinprozeß des kommunistischen Regimes in Rumänien, dem A. übergeben wurde, wurde er als „Kriegsverbrecher“ zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Bei aller berechtigten Kritik an seinem leidenschaftlichen antislawischen und antimagyarischen Nationalismus, seiner mangelnden politischen Weitsicht, der soldatischen Starrheit in manchen seiner Entscheidungen, vor allem in seiner Fehleinschätzung der großen Mächte (besonders der Ziele Hitlers und der Stärke der Sowjetunion) hat A. die Interessen seines Landes unter äußerst schwierigen Bedingungen so weit wie möglich zu wahren gewußt und ein Abgleiten Rumäniens zu einem willfährigen Satelliten Hitlers verhindert. Die Einbeziehung Rumäniens in den sowjetischen Machtbereich nach dem Ausgang dieses Krieges hätte auch eine andere Führung nicht abzuwenden vermocht.

Literatur

Laeuen, Harald: Marschall Antonescu. Essen 1943.
Barbul, Gheorghe: Mémorial Antonescu. Bd 1: Le IIIe Homme de l’Axe. Paris 1950.
Gheorghe, Ion: Rumäniens Weg zum Satellitenstaat. Heidelberg 1952.
Neubacher, Hermann: Sonderauftrag Südost 1940-1945. Göttingen 1958(2).
Hillgruber, Andreas: Hitler, König Carol und Marschall Antonescu. Die deutschrumänischen Beziehungen 1938-1944. Wiesbaden 1965(2) (mit Bibliographie).
Forstmeier, Friedrich: Odessa 1941. Der Kampf um Stadt und Hafen und die Räumung der Seefestung 15. August bis 16. Oktober 1941. Freiburg i. Br. 1967.

Verfasser

Andreas Hillgruber (GND: 118702815)

Empfohlene Zitierweise: Andreas Hillgruber, Antonescu, Ion, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 81-83 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=465, abgerufen am: 26.12.2024