Evtimij

GND: 118682873

Evtimij, bulgarischer Patriarch in Tŭrnovo 1375-1393, * Tŭrnovo 1325 (?), † Kloster Bačkovo 1402 (?).

Leben

Die wesentlichen Abschnitte der Biographie E.s, des letzten Patriarchen von Tŭrnovo, sind aus Werken seiner Schüler, vor allem aus der Lobrede des Metropoliten Grigorij Camblak, bekannt. Über seine Herkunft, das Geburtsdatum und die Jugendzeit schweigen sich die Quellen aus. Der Name erscheint erst unter den Schülern Teodosijs, der 1350 in Kilifarevo, südlich von Tŭrnovo, ein Kloster gegründet hatte. Teodosij wurde zum einflußreichsten Lehrer des zukünftigen Patriarchen und machte ihn mit dem Hesychasmus vertraut, den Teodosij bei Gregorios Sinaites, dem eigentlichen Begründer jener mystisch-kontemplativen Strömung, im Kloster Parorija, südlich von Jambol, kennengelernt hatte. Als Teodosij im Jahre 1363 zum Patriarchen Kallistos nach Konstantinopel reiste, nahm er E. mit. Noch im selben Jahr starb der Lehrer, dem Kallistos eine Vita verfaßte, und E. verbrachte ein Jahr im Studionkloster. Hierauf begab er sich auf den Berg Athos, das hesydrastische Zentrum des 14. Jhs, und bereitete in den Klosterbibliotheken seine späteren Reformen vor. Um 1371 kehrte E. nach Bulgarien zurück und ließ sich im Dreifaltigkeitskloster bei Tŭrnovo nieder. Hier verwirklichte er seine Pläne der Schriftreform. Im Jahre 1375 wurde E. zum bulgarischen Patriarchen gewählt. Seine Amtsperiode fiel in eine Zeit politischen und moralischen Niedergangs. Ohnmächtig mußte man Zusehen, wie die Osmanen von Kleinasien her in den Balkan einbrachen; im Inneren Bulgariens fanden Häresien und Sekten, wie Bogomilen und Adamiten, bedrohliche Verbreitung. Die von E. erkannte und bekämpfte Entwicklung gipfelte am 17. Juli 1393 in der Eroberung der Zarenstadt Tŭrnovo durch die Türken. Camblak preist in seiner Lobrede E.s heroisches Verhalten, als er, ein zweiter Jeremias, die verzweifelte Menge tröstete und mit ihr litt: „Unter ihnen ging der erhabene Mann, gestützt auf einen Stock, tränenüberströmt und mit einem Herz, das von tausend Pfeilen durchbohrt war. Doch nicht ihretwegen litt er und auch nicht, weil er vor Krankheit und Alter gebrochen war, sondern weil ihn das Leiden des Volkes und das zarte Alter der Kinder quälten.“ Die Legende berichtet, daß E. durch ein Wunder dem Henkersbeil der Türken entronnen ist. Als Verbannter verbrachte er seine letzten Lebensjahre im Kloster Bačkovo in der Nähe von Plovdiv.
E. s bedeutendste Leistung besteht in seiner großen Schriftreform, die Graphik, Orthographie und die Sprache selbst erfaßte. Infolge der häufigen Abschreibungen waren die liturgischen Bücher bewußt oder unbewußt verfälscht worden. E. rang um eine neue, einheitliche Rechtschreibung auf der Basis des Werkes von Kyrill und Method. Die alten Übersetzungen sollten mit dem griechischen Original verglichen werden. Außerdem benötigte man neue Übersetzungen theologischer und anderer Werke. E.s Ideen waren im Geiste des Hesychasmus, aber auch des Frühhumanismus geboren. Hinzu kam, daß der Patriarch mit seiner Reform den auftretenden Sekten, die eine ernste Gefahr für die offizielle Kirche bedeuteten, ein repräsentatives und fehlerfreies Schrifttum entgegenstellen wollte.
Die literarische Tätigkeit E.s hält sich mit den Viten, Lobreden, Sendschreiben und theologischen Traktaten im Rahmen der mittelalterlichen religiösen Dichtung. Die verfaßten Heiligenleben, die sich ihres strengen Aufbaus wegen eng an die byzantinische Vitenüberlieferung anlehnen, haben den größten Einfluß auf seine Schüler ausgeübt, die durch ihr Emigrantenschicksal auch nachhaltig die serbische, rumänische und russische Literatur beeinflußt haben. Der panegyrisch-pathetischen Einleitung über den Nutzen der Heiligenverehrung folgte stets die Narratio der Vita, die neben den überkommenen schematischen Zügen bereits eine Individualisierung durch Wiedergabe historischer Begebenheiten und seelischer Erlebnisse der Heiligen aufweist. Die Viten enden meist mit einer Lobrede und einem Bittgebet. Als Hesychast verlieh E. seinen Heiligen asketische und mystische Züge, was sich auf die ganze Schilderung auswirkte, in der das ständige Suchen nach emotionaler Ausdruckskraft und das Bestreben nach Identität des geschriebenen Wortes mit dem Ehrfurcht widerspiegelnden Wesen der Heiligen vorherrschen.
Die sog. Schule von Tŭrnovo, deren geistiger Vater Teodosij war, machte E. zum Zentrum des bulgarischen Geisteslebens im 14. Jh. Seine Schüler und Nachfolger, wie Konstantin von Kostenec oder Grigorij Camblak, führten die Ideen weiter und bauten die Reformen aus. Sie trugen die Schriftreform und den neuen literarischen Stil nach Serbien, Rumänien und vor allem nach Rußland, wo man für diese Zeit vom sog. zweiten südslawischen Einfluß spricht.

Literatur

Syrku, P. A.: Vremja i žizn’ patriarcha Evfimija Ternovskago. S.-Peterburg 1898.
Kalużniacki, Emil: Werke des Patriarchen von Bulgarien, Euthymius. Wien 1901.
Kiselkov, Vladimir Sl. : Patriarch Evtimij. In: Bulg. Ist. Bibl. 2 (1929) 142-178.
Evtimij Tŭrnovski. In: Istorija na bŭlgarska literatura. Bd 1. Sofija 1962, 285-306.
Bogdanov, Ivan: Patriarch Evtimij. Kniga za nego i negovoto vreme. Sofija 1970. = Biblioteka beležiti bŭlgari. 9.
Kulman, Detlef: Žitie prepodobnie naše matere Petky Tr’novskye. In: Kindlers Literaturlexikon. Bd 7. München 1972, Sp. 1447-1449.

Verfasser

Detlef Kulman (GND: 128703393)

Empfohlene Zitierweise: Detlef Kulman, Evtimij, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 483-484 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=796, abgerufen am: 23.11.2024