Fadendhecht, Josif Maksimov, bulgarischer Politiker und Rechtswissenschaftler, * Trapezunt 24.11.1873, † 27.10. 1953, Sohn des jüdischen Arztes Maksim F. aus Krakau und der Berta F., einer Jüdin aus Wien.
Leben
F. gehörte zu der in Bulgarien sehr kleinen Gruppe askenasischer Juden. Seine Eltern siedelten nach der bulgarischen Befreiung von 1878 nach Bulgarien über, wo F. Gymnasien in Plovdiv und Sofia besuchte. 1892 ging er nach Leipzig, wo er zunächst bei Wilhelm Wundt Philosophie studierte, später ein Jurastudium aufnahm und sich nebenher mit Literatur, Staats- und Wirtschaftswissenschaften beschäftigte. 1897 promovierte er in Leipzig zum „Doctor jur“. Nach Bulgarien zurückgekehrt, nahm F. zunächst für kurze Zeit eine Stelle als Lehrer am 1. Sofioter Knabengymnasium an. Von dort holte ihn am 1. Oktober 1897 die Universität Sofia als außerordentlichen Dozenten für bürgerliches Recht. 1899 habilitierte er, wurde ordentlicher Dozent und begab sich im gleichen Jahr zu weiteren Studien nach Bologna und Turin. Die damals um Fachliteratur noch verlegene bulgarische Rechtswissenschaft bereicherte F. um mehrere Standardwerke; 1902 erschien sein „Sistema na bŭlgarskoto veštno pravo“ (System des bulgarischen Presserechts). Am 1. Januar wurde er Professor für bürgerliches Recht, kurz darauf Dekan der juristischen Fakultät und 1906 ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften.
1908 ließ sich F. als Rechtsanwalt nieder, was eine Unterbrechung seiner akademischen Karriere bedeutete; er blieb jedoch Privathonorardozent und veröffentlichte 1910 den „Komentar na tŭrgovskija zakon“ (Kommentar zum Handelsgesetz). Politisch schloß F. sich der Radikalen Partei an, für die er als Abgeordneter ins Parlament einzog. Seine großen Reden über die demokratischen Grundsätze des bulgarischen Staatsaufbaus gewannen ihm viele Anhänger unter der jungen Intelligenz des Landes. Im Ersten Weltkrieg stand er in Opposition zur Regierung Radoslavov und zum Bündnis Bulgariens mit Deutschland. Gegen Kriegsende und nach dem Rücktritt Radoslavovs wurde F. als Justizminister in die Regierung Aleksandŭr Malinov berufen. Er bekleidete dieses Amt vom 21. Juni bis 28. November 1918. Die Regierung Malinov Unterzeichnete die bulgarische Kapitulation und wurde 1922 dafür von der Regierung der Agrarunion unter Stambolijski inhaftiert. Auch F. wurde eingesperrt und schrieb in der Haft den ersten Teil seines „Bŭlgarsko graždansko pravo“ (Bulgarisches bürgerliches Recht), der zweite Teil erschien 1929. Nach dem Staatstreich von 1923 kam er wieder frei. 1928 schloß er sich der Demokratischen Partei an, legte im gleichen Jahr jedoch sein Parlamentsmandat nieder und widmete sich wieder stärker wissenschaftlichen Arbeiten. Am 1.Mai 1935 gründete er die Fachzeitschrift „Pravna misŭl“ (Rechtsdenken), die die besten bulgarischen Juristen zu ihren Mitarbeitern zählte. 1938 brachte die Zeitschrift ein Sonderheft über F. heraus, in dem er anläßlich seines 40jährigen Berufsjubiläums geehrt wurde.
Neben der wissenschaftlichen Tätigkeit war F. sehr mit den Belangen der bulgarischen Anwaltschaft befaßt. Seit 1920 war er Mitglied des Obersten Rates der bulgarischen Rechtsanwälte, von denen ohnehin nahezu alle seine Schüler gewesen waren. 1925 erkämpfte er mit einer berühmten Rede vor dem Parlament ein neues und besseres Anwaltsgesetz. 1930 wurde er Vorsitzender des Obersten Rates, 1931 Vorsitzender des Verbandes der Rechtsanwälte. 1933 nahm er auf der Versammlung der Rechtswissenschaftler der slawischen Länder (ohne Sowjetunion) im slowakischen Bratislava teil. Erstmals seit dem Weltkrieg trafen hier wieder Bulgaren mit Jugoslawen zusammen, und F. sprach sich in mehreren, mit starkem Beifall bedachten Reden für eine Verständigung beider Völker aus.
Die antijüdischen Maßnahmen in Bulgarien im Zweiten Weltkrieg überstand F. unbeschadet. Noch vor Kriegsende (9.09.1944) wurde er am 2. Juli 1944 erneut zum Vorsitzenden des Obersten Rates gewählt.
Literatur
Schickert, Klaus: Josef Fadenhecht und der nationale Zusammenbruch Bulgariens. In: Auswärtiges Amt, Bonn, Politisches Archiv, Akten Bulgarien betreffend; Aufzeichnungen v. November 1944, lfd. Nr. 079-093, K 208560 - K 208574.
Oschlies, Wolf: Bulgariens Juden in Vergangenheit und Gegenwart. Köln 1972. = Ber. Bundesinst. ostwiss. u. internat. Stud. 16.
Empfohlene Zitierweise: Wolf Oschlies, Fadendhecht, Josif Maksimov, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 486-488 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=799, abgerufen am: 23.11.2024
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