Ferdinand I., Fürst von Bulgarien seit 1887, König (Zar) 1908-1918, * Wien 26.02.1861, † Coburg 14.08.1948, aus dem Hause Sachsen-Coburg-Gotha-Kohary, Sohn des österreichischen Generals August von Coburg und der Herzogin Clementine von Orléans, der Tochter des letzten französischen Königs Louis Philippe.
Leben
F. spielte in der europäischen Politik der Epoche, die dem Ersten Weltkrieg vorausging, eine bedeutende Rolle. Seine ehrgeizige Politik und seine persönliche Geltungssucht trugen nicht wenig zur Komplizierung der politischen Verhältnisse auf der Balkanhalbinsel und in Europa bei, die den Ersten Weltkrieg auslösten.
F. verbrachte in Wien eine Jugend, in der er vornehmlich seinen vielfältigen geistigen und wissenschaftlichen Neigungen leben konnte. (Ornithologie, Botanik, Entomologie; Geographie und Geschichte; Musik-Interesse und eine etwas mystisch gestimmte Religiosität - beides verband sich in seiner lebenslangen schwärmerischen Verehrung der Musik Wagners.) Als Glied des mit allen Herrscherhäusern Europas verschwägerten Hauses Coburg und als Sproß der französischen Königsfamilie erfüllte ihn ein dynastischer Stolz, der sich weniger im Drang zu realer politischer Betätigung als in einem hohen Sendungsbewußtsein ausdrückte. Früh trat in seinem Wesen die Neigung zu zeremonieller Repräsentation hervor, ebenso aber eine sehr moderne Intellektualität und umfassende Weltkenntis, die aber durch persönliche Eitelkeiten und Empfindlichkeiten getrübt wurde. So war er ein echtes Kind des „fin de siècle“. Seine politische Karriere begann am 15. Dezember 1886, als der 26jährige Prinz - man weiß nicht, ob aus eigenem Antrieb oder auf fremdes Anraten hin - seine Kandidatur auf den vakanten bulgarischen Fürstenthron anmeldete. Für diesen Thron fand sich damals in Europa kein ernsthafter Bewerber, da Bulgarien ein von Umsturz und russischer Annektion bedrohtes Land im Spannungsfeld englischer, russischer und österreichischer Orientinteressen war. Sein erster Fürst Alexander von Battenberg hatte auf russisches Betreiben hin im Sommer 1886 das Land verlassen müssen.
F., in Unkenntnis der politischen Schwierigkeiten, im Vertrauen auf seinen dynastischen Einfluß bei den Herrschern Europas, wagte alles und ließ sich im Juli 1887 auf Betreiben des bulgarischen Regenten Stambolov zum Fürsten wählen und begab sich im August 1887 gegen den Haß des Zaren Alexander III. (dem er als klerikal-katholischer österreichischer Kandidat galt), gegen den schärfsten Widerstand Bismarcks (der die Verwicklung des Deutschen Reiches in die Orientkrise befürchtete) und unter unausgesprochener Duldung Österreichs und Englands (die in ihm einen unselbständigen, aber nützlichen Platzhalter einer Orientierung Bulgariens nach Österreich und England gefunden zu haben glaubten), nach Bulgarien. Die Tat des unerfahrenen Prinzen wurde so zum Anlaß gewaltiger Kriegsdrohungen und -Vorbereitungen der Großmächte; der Krieg wurde damals - zu Beginn des Jahres 1888 - nur durch Bismarck verhindert, weil er kraft seiner persönlichen Autorität und mit Hilfe der Finessen seines Bündnissystems die Großmächte Rußland und Österreich gegeneinander ausspielen konnte. Fürst F. mußte sich unterdessen ständiger russischer Umsturz- und Attentatsversuche erwehren und war politisch vollständig abhängig vom bulgarischen Ministerpräsidenten Stefan Stambolov, der ein patriarchalisch-autoritäres Regime ausübte. Allmählich konsolidierte sich die Lage Bulgariens und die Stellung des Fürsten, dem jedoch - wegen der Uneinigkeit der Großmächte - die Anerkennung als Fürst (nach dem nominell noch gültigen Berliner Vertrag von 1878) vorenthalten blieb, was von ihm als tiefe, nie mehr ganz verwundene Demütigung empfunden wurde. Dieser Zustand dauerte bis 1894, als sich F.s Stellung so gefestigt hatte, daß er sich seines „bulgarischen Bismarcks“ entledigen und selbst die Herrschaft übernehmen konnte. Diese übte er als sog. „persönliches Regiment“ (ličen režime) unter häufig wechselnden Regierungen bis 1918 dadurch aus, daß er die sich heftig befehdenden Parteiführer skrupellos gegeneinander ausspielte; die innenpolitische Szenerie Bulgariens mit ihren politischen Morden (Stambolov 1895) bot daher ein sehr unerfreuliches Bild. Trotzdem entwickelte sich Bulgarien in dieser Zeit wirtschaftlich und militärisch zur ersten „Macht“ unter den Balkanstaaten. F.s eigentliches Tätigkeitsfeld war die Außenpolitik; ihre entscheidenden Stationen sind diese: Nach dem Sturze Stambolovs versöhnte sich F. mit Rußland und erreichte 1896 seine internationale Anerkennung; gleichzeitig ging er vom Dreibund zum russisch-französischen Bündnis über, blieb jedoch mit seiner Europa oft irritierenden „Schaukelpolitik“ soweit unabhängig, daß Rußland Serbien zu seinem eigentlichen Stützpunkt auf dem Balkan machte.
Als 1908 die jungtürkische Revolution ausbrach, proklamierte F. sein noch immer dem Osmanischen Reiche tributpflichtiges Land zum unabhängigen Königreich und sich zum König desselben mit dem bulgarischen Titel „Car“. Damit dokumentierte er seine geheimen Wünsche auf den Besitz Konstantinopels, mit denen die alten bulgarischen Großmachtträume des Zaren Simeon zusammenflossen. Sein langgehegter Wunsch war, einen Balkanbund unter seiner Führung zu schaffen, der aber schließlich unter Rußlands Führung zustande kam. Im Ersten Balkankrieg 1912/13 führten die überspannten Pläne F.s und seiner Generale zum Sturm auf Istanbul, während das von Bulgarien beanspruchte Mazedonien an Serbien fiel. Darüber erbost, überfielen die Bulgaren 1913 (im Zweiten Balkankrieg) die Serben in Mazedonien; König F. besaß nicht den Mut, dieses chauvinistische Militärabenteuer zu verhindern, und Bulgarien wurde von seinen ehemaligen Verbündeten und der Türkei um alle Früchte des Sieges von 1912 gebracht. Des Königs Autorität - Popularität hatte er nie besessen - konnte sich von diesem Schlag nie mehr erholen. Als 1914 der Weltkrieg ausbrach, wartete Bulgarien ab und schloß sich 1915 den Mittelmächten an, die das darniederliegende Land mit einer ihm gewährten Kriegsanleihe buchstäblich „kauften“; denn nur die Mittelmächte konnten ihm zum Besitz der an Serbien verlorenen Gebiete verhelfen. Drei Jahre währte die Erfüllung großbulgarischer Träume, dann brach die bulgarische Front in Mazedonien zusammen. In der allgemeinen Auflösung dankte F. zu Gunsten seines Sohnes Boris (III.) am 3. Oktober 1918 ab und erhielt in Coburg Exil. Er hat Bulgarien nie mehr betreten, sich fortan jeder politischen Betätigung enthalten und führte das Leben eines weltmännischen Gelehrten. Hochbetagt starb er dort im Jahre 1948.
Literatur
Jotzoff, Dmitri: Zar Ferdinand von Bulgarien. Sein Lebenswerk im Orient. Berlin 1927.
Madol, Hans Roger: Ferdinand von Bulgarien. Der Traum von Byzanz. Berlin 1931 (mit Bibliographie).
Knodt, Joseph: Ferdinand der Bulgare. Die Balkanmission eines Prinzen aus dem Hause Sachsen-Coburg und Gotha-Kohary 1887-1918. Bielefeld 1947.
von Königslöw, Joachim: Ferdinand von Bulgarien. Vom Beginn der Thronkandidatur bis zur Anerkennung durch die Großmächte. München 1970 (mit Bibliographie).
Empfohlene Zitierweise: Joachim von Königslöw, Ferdinand I., König von Bulgarien, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 499-501 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=809, abgerufen am: 23.11.2024
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