Gentz, Friedrich von, preußischer bzw. österreichischer Publizist, * Breslau 2.05.1764, † Wien 9.06.1832, Sohn von Johann Friedrich Gentze, ab 1777 Direktor der königlichen Münze in Berlin, und Elisabeth Ancillon aus der französischen Kolonie in Berlin.
Leben
G. absolvierte das Joachimsthaler Gymnasium und studierte anschließend bei Immanuel Kant in Königsberg. Zentrale Gedanken der Aufklärung hatte er sich bis zu seinem Lebensende bewahrt. Nach Beendigung des Studiums trat er 1785 in den preußischen Staatsdienst ein und wurde zunächst Geheimer Sekretär bei der Seehandlungssozietät, später übernahm ihn das Generaldirektorium, wo er es bis zum Kriegsrat brachte. Ein geistreicher Causeur und Gesellschafter, verkehrte er bald in den oberen diplomatischen und intellektuellen Kreisen von Berlin. Die Sterilität des Beamtenalltags ödete ihn an. Wie die meisten seiner Generation begrüßte er den Ausbruch der Französischen Revolution mit Enthusiasmus: „Wo der Silberton Freiheit erklingt, horcht jedes menschliche Ohr auf“. Es sei Zeit, schrieb er 1790 an seinen Mentor Christian Grave, „daß die Menschheit aus einem langen Schlafe erwache“. Der Fortgang der Revolution erschreckte ihn jedoch zusehends. 1791 las er das Buch von Edmund Burke, „Reflection on the Revolution in France“, und übersetzte es. G. wurde ein begeisterter Anglophiler (finanzielle Zuwendungen von England erleichterten ihm dies), ein entschiedener Gegner der Revolution und als solcher weit über Berlin hinaus bekannt. Er gab zwei kurzlebige Zeitschriften heraus, deren Seiten er zum Großteil selbst füllte. Bereits in seiner Frühzeit vertrat er die Theorie des europäischen Gleichgewichtes, die am bestehenden Status quo orientiert war. Im „höchsten Interesse Europas dürfe kein Staat dieses Gleichgewicht - alle Staaten seien gleich vor dem Recht, aber nicht gleich an Rechten! Gemeinschaft der Staaten auf Intervention, wenn einer - nach innen oder nach außen - dieses Gleichgewicht zu verändern suche. Von Interesse ist in diesem theoretischen Zusammenhang seine Stellung zur Teilung Polens. Er nennt die Teilung einen „ersten Mißbrauch der Formen des Gleichgewichts-Systems“; nachdem Polen aber geteilt ist, ist eine rechtliche und faktische Wiederherstellung unmöglich.
Aus politischen wie aus persönlichen Gründen (seine Ehe mit Minna Gilly war gescheitert) verließ G. im Sommer 1802 - enorme Spielschulden zurücklassend - Berlin. Graf Philipp Stadion hatte ihm Kontakt zum österreichischen Hof vermittelt. Auf der Reise nach Wien machte er in Dresden halt, wo er Graf Clemens Metternich kennenlernte. Als kaiserlicher Rat zur besonderen Verwendung, d. h. zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung im Sinne der österreichischen Politik, wurde er mit einem jährlichen Gehalt von 4 000 Gulden angestellt. Von Anfang an bildete er ein Zentrum des Widerstandes gegen Napoleon. Unentwegt verfaßte er Denkschriften und Briefe, die die Politik der Staatskanzlei allerdings kaum beeinflußten. Eine längere Reise nach England brachte ihm die Bekanntschaft mit allen führenden Politikern des Inselreiches und stockte seine finanziellen Ressourcen auf. Nach Österreich zurückgekehrt, wurde er nur zu gelegentlichen Tätigkeiten, vor allem in den Kriegszeiten, herangezogen. So verfaßte er die Kriegsmanifeste von 1809 und 1813. Die übrige Zeit verbrachte er meist in Prag und in den böhmischen Bädern. 1810 berief ihn Metternich nach Wien, damit er die publizistische Verteidigung der Reorganisation der Finanzen übernehme.
Den Höhepunkt seines politischen Einflusses erreichte G. auf dem Wiener Kongreß. Als „Sekretär Europas“ führte er das Protokoll und war einer der bestinformierten Männer. Die gleiche Funktion übte er bei den Monarchenkongressen in Aachen, Troppau, Laibach und Verona und bei den Ministerkonferenzen in Karlsbad und Wien aus. Als erbitterter Gegner der Burschenschaften - Teutodemagogen nannte er sie - verfaßte er den Entwurf für die Karlsbader Beschlüsse. Den gefürchteten Nationalismus und dessen Basis, die Volkssouveränität, suchte er durch eine strenge Zensur (an der er selbst mitwirkte) einzudämmen. Die sozialen Probleme der Frühindustrialisierung nahm er indessen kaum zur Kenntnis. Zu Robert Owen sagte er: „Wir wünschen nicht, die Masse wohlhabend und unabhängig zu sehen. Wie könnten wir sie alsdann regieren?“ G.s Stellung in Wien basierte lediglich auf seiner Freundschaft mit Metternich. Obwohl er 1813 Hofrat geworden war, stand er offiziell außerhalb der Staatskanzlei. Der sittenstrenge Kaiser Franz konnte den Protestanten G. und dessen „liederliches Leben“ nicht leiden.
Metternich übertrug G. die politische Korrespondenz mit dem Woiwoden der Walachei und im Laufe der Zeit die ganze Bearbeitung der griechisch-türkischen Angelegenheiten. G. bereitete sich - wie sein Arbeitsjournal zeigt - durch eine weitgreifende Lektüre darauf vor. Die zahlreichen Briefe seines Freundes Anton Prokesch-Osten, der damals in der Türkei lebte, vermittelten ihm einen unmittelbaren Eindruck. Wie so oft bei G. mischten sich bei der Beurteilung des griechischen Aufstandes persönlich pekuniäre Interessen mit allgemein politischen Überlegungen. Er fürchtete die Russen am Bosporus und verteidigte die Legitimität der türkischen Monarchie mit der Begründung: „Das Ende der türkischen Monarchie könnte die österreichische nur um kurze Zeit überleben.“ Im entschiedenen Gegensatz zur modischen Begeisterung für die Griechen hielt G. sie „für die unwürdigsten Rebellen, die je die Sonne beschienen hat“. Die Niederlage der Türkei verstärkte seinen allgemeinen Pessimismus. Immer mehr wurde er sich bewußt, daß der „Zeitgeist zuletzt mächtiger bleiben würde“. Er zweifelte immer stärker an der Wirksamkeit des Systems, das Metternich und er so lange Jahre aufrechtzuerhalten suchten. In einem Brief an seine Jugendfreundin Amalie von Helvig formulierte G. 1827 sein politisches (konservatives) Testament: „Die Weltgeschichte ist ein ewiger Übergang vom Alten zum Neuen ... Soll aber dieser Kreislauf nicht zum schnellen Untergange alles Bestehenden, mithin auch alles Rechten und Guten führen, so muß es notwendig neben der großen, zuletzt immer überwiegenden Anzahl derer, welche für das Neue arbeiten, auch eine kleinere geben, die mit Maß und Ziel das Alte behaupten, und den Strom der Zeit, wenn sie ihn auch nicht aufhalten kann, noch will, in einem geregelten Bett zu erhalten sucht."
Literatur
Alexandresco, Nicolas G.: La Correspondance du chevalier Frédéric de Gentz avec le prince de Valachie, Jean Caradja, et la question d’Orient. Paris 1895.
Kircheisen, Friedrich M.: Die Schriften von und über Friedrich von Gentz. Eine bibliographische Übersicht. In: Mitt. Inst. österr. Gesch.-Forsch. 27 (1906) 91-146.
Wittichen, Friedrich Karl: Zur Gentz-Bibliographie. In: ebd., 682-694.
Sweet, Paul: Friedrich von Gentz. Defender of the Old Order. Madison (Wisconsin) 1941.
Mann, Golo: Friedrich von Gentz. Zürich, Wien 1947.
Rumpel, Hubert: Friedrich von Gentz. Eine Biographie. Teil I: 1764-1802. Erlangen 1958.
Baxa, Jakob: Friedrich von Gentz. Wien 1965.
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