Goar, Jacques, französischer Dominikanermönch, Liturgiker und Hellenist, * Paris 1601, † Amiens 23.09.1653.
Leben
Als Sohn „ehrbarer und frommer“ Eltern kam G. - nach dem Eintritt in den Dominikanerkonvent Mariä Verkündigung (Faubourg Saint-Honoré) 1619 und der Profeß 1620 - sogleich nach Beendigung seiner Studien im Jahre 1625 als Lektor der Philosophie und später der Theologie in den Konvent nach Toulouse. Dort vertiefte er sich über der Lektüre der Kirchenväter so sehr ins Griechische, daß er sich dieser Sprache ganz zu widmen gedachte. Um seinem Ziel näher zu kommen, erhielt er vom Ordensgeneral Nicolas Rudolfi die Erlaubnis zu einem längeren Aufenthalt in Griechenland, allerdings mit Titel und Funktion eines apostolischen Missionars ausgestattet. So gelangte G. 1631 über Rom nach Chios. Die Insel hatte seit Anfang des 13. Jh.s ein lateinisches Bistum, dessen Suffragane dem Erzbischof von Naxos unterstanden. Die Zahl der Katholiken war nach der Eroberung der Insel durch die Türken 1566 freilich stark zurückgegangen. So muß man sich G.s Missionsauftrag wohl nach zwei Richtungen tendierend vorstellen (Festigung der griechischen Katholiken im Glauben und Werbung unter den griechischen „Schismatikern“ durch Gespräche).
In dem bescheidenen Konvent St. Sebastian der Stadt Chios, zu dessen Prior man G. zusätzlich ernannt hatte, gewannen G.s wissenschaftliche Pläne feste Umrisse. Es gelang ihm in kürzester Zeit, ein so gutes Verhältnis zu den griechischen Mönchen herzustellen, daß er nicht nur Zutritt in ihre Kirchen erlangte, sondern sich auch eine vorzügliche Kenntnis des orthodoxen Gottesdienstes und der orthodoxen Kirchenbücher aneignen konnte. So wurde G. zum Liturgiker und begann mit dem Sammeln handschriftlicher und gedruckter Texte.
Als G. Ende März 1637, wiederum auf Weisung Rudolfis, als Prior des Konvents San Sisto nach Rom geholt wurde, konnte er mit Hilfe der bekanntesten Hellenisten seiner Zeit (Leon Allatius, Basilios Falasca, Giorgio Coresio, Pantaleon Ligaridio) in den römischen Bibliotheken noch zahlreiche griechische Handschriften zur Vervollständigung seiner Exzerpte heranziehen. Erst 1642 rief man ihn als Novizenmeister in den Konvent seiner Vaterstadt zurück. Er weilte aber im November des folgenden Jahres in Ordensangelegenheiten wiederum in Rom, wo er bis Juli 1644 in den Bibliotheken arbeitete. In den folgenden acht Jahren hatte G. endlich Zeit, seine liturgischen und historischen Werke zu veröffentlichen. So erschienen 1647 das aus Frühdrucken und Handschriften beruhende „Euchologion sive Rituale Graecorum“ (1676 mit neuem Titel, 2. verbesserte und vermehrte Auflage Venedig 1730, Neudruck Graz 1960) sowie einige Ausgaben byzantinischer Chronisten (1647 Georgii Cedreni compendium historiarum, 1648 die Chronographie des Hermatolos, 1652 Georgii monachi et Tarasii patriarchae Chronographia, 1655 die Chronik des Theophanes). Diese fruchtbare Schaffensperiode wurde erst im April 1653 durch G.s Ernennung zum Generalvikar der „Kongregation des hl. Ludwig“ in Amiens unterbrochen, wo er kurz nach Antritt seines Amtes verstarb.
G. ist zu einem großen Vorläufer und Mitbegründer der Byzantinistik geworden; seinen bis auf den heutigen Tag währenden Ruhm hat er sich jedoch als Liturgiker durch sein „Euchologion“ gesichert. Es eröffnete bei Erscheinen die im Westen völlig unbekannte Welt des griechischen Gottesdienstes. Den ins Lateinische übersetzten Texten des umfangreichen Werkes sind wertvolle Erläuterungen beigegeben. Es diente als Fundament für alle weiteren Ausgaben verwandter liturgischer Texte und bildet nach wie vor ein unersetzliches Standardwerk. Nicht zuletzt ist das „Euchologion“ aber ein Dokument für die gleiche Gebetshaltung beider Kirchen. (Ein Inhaltsverzeichnis ist im Dictionnaire d’archéologie chrétienne et de liturgie, Bd 6, Paris 1924, enthalten.)
Literatur
Quetif, Jacobus et Jacobus Echard: Scriptores ordinis praedicatorum. Bd 2. Luteciae Parisiorum 1721, 574-575.
Touron, Antoine: Histoire des hommes illustres de l’ordre de saint Dominique. Bd 5. Paris 1749, 357-363.
Harter, Hugo von: Nomenclator literarius. Bd 3. Oeniponte 1907, 1210-1211.
Coulon, R.: Dictionnaire de théologie catholique. Bd 6. (Paris 1920), 1467-1469.
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