Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Gökalp, Mehmed Ziya
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Gökalp, Mehmed Ziya

Gökalp, Mehmed Ziya, türkischer Dichter und Publizist, * Diyarbakir (Osttürkei) 23.03.1876, † Istanbul 25.10. 1924, wohl kurdischer Abstammung.

Leben

G. erhielt in Diyarbakır die klassische orientalische Ausbildung, lernte aber gleichzeitig französisch und kam in Berührung mit verbannten jungtürkischen Intellektuellen. Verzweiflung an den Lehren der Religion und Philosophie sowie familiäre Probleme verleiteten ihn zu einem Selbstmordversuch. Sein Bruder Nihat verhalf ihm 1896 zu einer Reise nach Istanbul, wo ihm indessen aufgrund seiner geringen Mittel nur der Besuch der veterinärmedizinischen Hochschule offenstand. Er wurde Mitglied des geheimen jungtürkischen Komitees „Einheit und Fortschritt“ und begann seine revolutionäre Aktivität, die 1897 seine Verhaftung und Verurteilung zu einem Jahr Gefängnis und nachfolgender Verbannung in seine Heimatstadt zur Folge hatte. Eine Eheschließung mit seiner Kusine Vecihe machte ihn finanziell unabhängig; von zwei kurzen Ausnahmen abgesehen konnte er sich in den folgenden Jahren ganz dem Studium der westlichen und vor allem französischen Philosophie und Soziologie widmen, während die oppositionellen Kräfte der Provinz sich um ihn sammelten. Sofort nach der jungtürkischen Revolution 1908 nahm er seine literarische Tätigkeit auf, hielt sich kurz in Istanbul auf und wurde zunächst zum Inspektor der Grundschulen in Diyarbakır ernannt. Im Herbst 1909 nahm er an dem jungtürkischen Kongreß in Saloniki als Vertreter seiner Heimatstadt teil und wurde in das Zentralkomitee (Merkez-i Umumî) der Bewegung gewählt. Bis 1912 lebte er in der kosmopolitischen Atmosphäre von Saloniki in engem Kontakt mit den Führern der Revolution, arbeitete als Lehrer und schrieb Gedichte und Aufsätze in verschiedenen Zeitungen. Allmählich wandelten sich seine politischen Vorstellungen von der Idee eines osmanischen Vielvölkerstaates zu einem türkischen Nationalismus, dessen führender geistiger Repräsentant er wurde. Als Folge der Balkankriege mußte er zusammen mit seiner Partei nach Istanbul übersiedeln. Er wandte sich noch stärker der Soziologie zu, wobei Emile Dürkheim (1858-1917) sein wichtigster Lehrer wurde, und veröffentlichte in der Zeitschrift „Türk Yurdu“ (Türkische Heimat) u. a. 1913/14 seine berühmten Artikel, die 1918 als Buch unter dem Titel „Türkleşmek, Islâmlaşmak, Muasırlaşmak“ (Türkisierung, Islamisierung, Modernisierung) erschienen. „Wir gehören zur türkischen Nation, zur islamischen Religionsgemeinschaft und zur europäischen Zivilisation.“ Daneben verfaßte er einen Bericht über Erziehungsfragen und beteiligte sich an der Reorganisation der Bibliotheken und der Universität, wo er seit 1915 als Professor für Soziologie lehrte; er faßte den Islam als rein ethische Religion ohne gesetzliche und soziale Vorschriften auf und trat deshalb für die Trennung von Religion und Staat in der Türkei und die Reform der religiösen Stiftungen (evkaf) und des Eherechts ein.
Beim Zusammenbruch des jungtürkischen Regimes 1918 blieb G. in Istanbul, wurde Anfang 1919 von der neuen osmanischen Regierung verhaftet, wegen seiner antiarmenischen Agitation während des Krieges zur Verbannung verurteilt und von der britischen Besatzungsmacht nach Malta deportiert. Erst nach dem Sieg Kemal Paschas 1921 durfte er in sein Heimatland zurückkehren, fand aber zunächst keinen Anschluß bei den neuen Nationalisten. In Diyarbakır gab er u. a. eine weitgehend von ihm selbst gefüllte Zeitschrift „Küçük Mecmua“ (Kleines Magazin) heraus und trat dabei energisch für Mustafa Kemal, den „Vater des Volkes“ und „Retter der Nation“, ein. Ende 1922 wurde er in Ankara Direktor des Ausschusses für selbstverfaßte Werke und Übersetzungen (Telif ve Tercüme Heyeti) beim Kultusministerium und 1923 Abgeordneter von Diyarbakır. Aus diesen Jahren stammt die Zusammenfassung seiner Lehren unter dem Titel „Türkçülüğün esasları“ (Die Grundlagen des türkischen Nationalismus). Er starb nach längerer Krankheit in Istanbul, wohin er sich zur Behandlung begeben hatte.

Literatur

Heyd, Uriel: Foundations of Turkish Nationalism. The Life and Teachings of Ziya Gökalp. London 1950.
Berkes, Niyazi (Hrsg., Übers.): Ziya Gökalp: Turkish Nationalism and Western Civilization. Selected Essays. London 1959.
Devereux, Robert (Hrsg., Übers.): Ziya Gökalp: The Principles of Turkism. Leiden 1968.

GND: 118808516

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118808516.html


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Empfohlene Zitierweise: Hans-Jürgen Kornrumpf, Gökalp, Mehmed Ziya, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 65-66 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=890, abgerufen am: (Abrufdatum)

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