Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Kaindl, Raimund Friedrich
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Kaindl, Raimund Friedrich

Kaindl, Raimund Friedrich, österreichischer Historiker und Publizist, * Czernowitz 31.08.1866, † Graz 14.03.1930.

Leben

 Aus der Erlebnis- und Erfahrungswelt der Bukowina entwickelte sich schon früh die Grundlinie von K.s wissenschaftlichem und politisch-kulturellem Schaffen. Bereits seine als Student der Geschichte an der Universität Czernowitz herausgegebene Studie „Zur Geschichte der Stadt Czernowitz und ihrer Umgebung“ (1888), der rasch eine „Geschichte der Bukowina“ (1888/97, 2. und 3. Auflage 1896/1903) folgte, zeigte die Richtung seiner Forschungsarbeit: ihr Gegenstand war der südosteuropäische Raum, zunächst das Gebiet der engeren Heimat, die mit ihrer Durchdringung verschiedener Kulturkreise und Völker sowie mit ihren vielfältigen Komponenten aus der moldauischen, polnischen und ungarischen Geschichte den Grund für die Vielseitigkeit K.s als Wissenschaftler legte. Seine nach Promotion (1891) und Habilitation (1893 gleichfalls in Czernowitz) veröffentlichten Arbeiten zu Themen aus der Geschichte der Bukowina, Ungarns, Polens und der Ukraine begründeten rasch K.s Ruf als Wegbereiter der modernen geschichtlichen Landeskunde. K. wurde 1903 zum ordentlichen Professor für österreichische Reichsgeschichte an der Universität Czernowitz ernannt. Im selben Jahr erschien seine „Volkskunde“, eine theoretische Begründung dieser nach Meinung K.s wichtigen Hilfswissenschaft der Geschichte, die ihn zu seinem wissenschaftlichen Hauptwerk, der „Geschichte der Deutschen in den Karpathenländern“ (Gotha 1907/11) hinführte. Das vom Volksbegriff Wilhelm Heinrich Riehls geprägte dreibändige Werk stellt eine Analyse der deutschen Volksgruppen dar, die den Akzent nicht auf ihre politische Entwicklung legte, sondern auf Sitte und Brauchtum, Religion und Kultur, auf Siedlungs-, Rechts- und Wirtschaftsgeschichte der im Karpatenbecken und seinen Vorlanden ansässig gewordenen deutschen Siedler. K. ging es mit dieser seiner Lebensarbeit, die als historische Gesamtschau bis in die Gegenwart unüberboten blieb, um eine gerechte Würdigung der geschichtlichen Leistung der deutschen Kolonisten. Die Darstellung setzt mit der hochmittelalterlichen deutschen Siedlung, die schon vor 1200 Siebenbürgen erreichte, ein und wird bis zum Beginn des 20. Jh.s geführt. Mit diesem monumentalen Werk hat sich K. einen bleibenden Platz nicht nur in der österreichischen Geschichtswissenschaft, sondern auch in der Geschichte der Südosteuropa-Forschung erworben. Doch das Hauptmotiv seiner die Karpatendeutschen als eine Einheit betrachtenden Geschichtsschreibung war ein politisches; denn im Nationalitätenkampf der Jahrhundertwende hielt K. die Erhaltung des Deutschtums der Karpatenländer nur in dem Zusammenschluß aller karpatendeutschen Volksgruppen für gesichert. Seine Absicht, durch sein Werk das Geschichtsbewußtsein und damit das Zusammengehörigkeitsgefühl dieser Gruppen zu fördern und zu festigen, kann als durchaus gelungen betrachtet werden. Auch die von K. initiierten und geleiteten vier Jahrestagungen der Karpatendeutschen (1911-1914 in Czernowitz, Ruma, Wien und Bielitz) fanden eine interessierte Aufnahme in der Donaumonarchie und in Deutschland, das sich gerade auch nach 1918 mit zunehmender Aufmerksamkeit den hier aufgeworfenen Existenzfragen der deutschen Siedlung in Südosteuropa zuwandte. Damit gewann auch K.s publizistische Tätigkeit erhöhte Bedeutung. Seit seiner Berufung nach Graz (1915) in steigendem Maße auf diese konzentriert, widmete er sich aus seiner historischen Perspektive heraus immer mehr der nationalen, „deutschen Bewegung“ in den Karpatenländern. In seinen, vornehmlich in den Zeitschriften „Die Grenzboten“ und „österreichische Rundschau“, ab 1926 in der „Schöneren Zukunft“ veröffentlichten Beiträgen vertrat K. einen politischen Standpunkt, der vor 1914 für die übernational-dynastische Idee des Habsburgerstaates und damit für seine Erhaltung eintrat. Nach 1918 propagierte K. den Vorrang einer föderativen Neuordnung des Donauraumes vor einem gleichzeitig als Notwendigkeit erkannten Anschluß Österreichs an Deutschland (vgl. sein Werk „1848/49 - 1866-1918/19. Des deutschen Volkes Weg zur Katastrophe und seine Rettung“, München 1920). Im Rahmen der damit aufgeworfenen gesamtdeutschen Frage widmete sich K. in seinen letzten Lebensjahren ganz der Bekämpfung der kleindeutschen Geschichtsauffassung. Die Aktualität der von K. in seinem Buch „Österreich, Preußen, Deutschland. Deutsche Geschichte in großdeutscher Beleuchtung“ (Wien 1926) dargebotenen Revision des deutschen Geschichtsbildes erwies ihre von Leidenschaftlichkeit geprägte Aufnahme in der Öffentlichkeit, was nicht zuletzt auf die im Reichsgedanken wurzelnde großdeutsche Idee einer mittel-südosteuropäischen Gemeinschaft deutscher und nichtdeutscher Völker zurückzuführen war.

Literatur

Kipper, Heinrich: Raimund Friedrich Kaindl, 1888-1918. Dreißig Jahre karpathendeutscher Arbeit. Lemberg 1918.
Blase, Alexander: Raimund Friedrich Kaindl. Wiesbaden 1962 (mit Bibliographie).
Klein, Anton Adalbert: Raimund Friedrich Kaindl (1866-1966). In: Zeitschrift des Historischen Vereins für Steiermark 57 (1966) 141-173.
Raimund Friedrich Kaindl. Kulturhistorische Ausstellung. Joanneum Graz. Graz 1966.

Verfasser

Gerhard Seewann (GND: 1069961280)

GND: 118714740

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118714740.html


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Empfohlene Zitierweise: Gerhard Seewann, Kaindl, Raimund Friedrich, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 319-320 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1075, abgerufen am: (Abrufdatum)

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