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Kemal Reis (eigentlich Kemaleddin), osmanischer Korsar und Flottenführer, * Gallipoli um 1453, † um 1511; seine Vorfahren kamen aus Karamanien oder dem Raum Smyrna.
Leben
K. war nicht, wie lange auf Grund eines Mißverständnisses von Hammer-Purgstall angenommen wurde, Renegat, sondern echter Türke. Er nahm als junger Seesoldat an der Eroberung Euböas teil und scheint dann als Kapitän eines Korsarenschiffes tätig gewesen zu sein. Auch führte er zuweilen halbreguläre Marinelevends. Seine halbamtliche Korsarentätigkeit dürfte bis etwa 1494/95 gedauert haben, als er in die offizielle osmanische Marine übernommen wurde. Dennoch setzte er seine Korsarentätigkeit noch mehrere Jahre lang fort. Seine seemännische Befähigung zeigte K. bei der Vorbereitung der Eroberung Lepantos (1499) und der venezianischen Peloponnes-Städte Modon und Koron (1500), wo er dem zaudernden Flottenchef Davud Pascha entgegentrat, aber mit seinen Ratschlägen offenbar nicht durchdrang. So brachte die Seeschlacht vor der Insel Proti fälschlich oft als Seeschlacht von Sapienza bezeichnet - der osmanischen Flotte große Verluste ein. 1501 veranstaltete K. einen größeren Raid, der bislang immer als Korsarenfahrt angesehen wurde, wahrscheinlich aber eine Repressalie gegen Spanien war, weil dieses nach der Eroberung Granadas den Moriskos die Auswanderung nur nach Nordafrika, nicht aber ins Osmanische Reich, gestattete. Bei dieser Fahrt gerieten der Genueser Giannantonio Menavino, Verfasser einer ausführlichen Beschreibung seiner Erlebnisse sowie des Osmanischen Reiches (Cinque Libri della Legge, Religione et Vita de’ Turchi et della loro corte et d’alcune guerre del Gran Turco, Venedig 1548) und der rätselhafte "Herzog von Catanzaro“ in seine Gefangenschaft. Die späteren Unternehmungen des K. bis zu seinem Tode um 1511 sind vorläufig unklar, da sowohl die morgenländischen wie die abendländischen Quellen keine genaueren Feststellungen erlauben. Auch sonst ist in seinem Leben vieles unklar. Dies gilt vor allem von seinem angeblichen Raid gegen Malaga (1487), den der Sultan Bayezid II. auf einen granadischen Plilferuf hin K. anbefohlen haben soll. Möglicherweise handelte es sich hier um einen Vorstoß gegen das spanische Malta, doch begegnet auch diese Theorie gewissen Schwierigkeiten. Sicher ist, daß K. einer der gefürchtetsten Korsaren seiner Zeit, aber auch ein weit über dem Durchschnitt stehender Nautiker war. Sein Wirken im Rahmen der Umstrukturierung der osmanischen Flotte vom reinen Transportmittel zum selbständig agierenden Heeresteil unter Bayezid II. kann schwerlich unterschätzt werden. Seine Tätigkeit im Grenzraum zwischen offizieller Marine und Korsarentum beschwor gelegentlich diplomatische Schwierigkeiten herauf, wurde aber vom Sultan manchmal als taktisch-politisches Mittel eingesetzt. Der Neffe von K. und zugleich sein hervorragendster Schüler war der osmanische Flottenführer Pîrî Reis, dessen Seeatlas (Bahrîye) auch die vorläufig beste Quelle für die Teilrekonstruktion von K.’ Fahrten ist. Die Bedeutung von K. für Südosteuropa ist mehr indirekter Art, doch war die Auswirkung seiner Tätigkeit für Venedig und damit für dessen Besitzungen in Südosteuropa beträchtlich.
Literatur
Burski, Hans-Albrecht von: Kemâl-Re’îs. Ein Beitrag zur Geschichte der türkischen Flotte. Bonn 1928.
Mordtmann, Johannes H.: Zur Lebensgeschichte von Kemâl-Re’îs. In: Mitt. Sem. Orient. Sprachen 32 (1929) 39-49.
Kißling, Hans Joachim: Kemâl-Re’îs und der „Herzog von Catanzaro“. In: Festschrift Werner Caskel. Leiden 1968, 202-211.
Ders.: Zur Tätigkeit des Kemâl-Re’îs im Westmittelmeer. In: Wiener Z. Kde Morgenlandes 62 (1969) 153-171 (mit Bibliographie).
Ders.: Betrachtungen über die Flottenpolitik Sultan Bâyezîd’s II. (1481-1512). In: Saeculum 20 (1969) 35-43.
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