Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Kolowrat-Liebsteinsky, Franz Anton Graf
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Kolowrat-Liebsteinsky, Franz Anton Graf

Kolowrat-Liebsteinsky, Franz Anton Graf, österreichischer Staatsmann, * Prag 31.1.1778, † Wien 4.04.1861, Neffe von Leopold Graf Kolowrat-Krakowski.

Leben

 Am 29. September 1826 berief Kaiser Franz I. K. aus der von ihm bereits seit 16 Jahren erfolgreich geleiteten böhmischen Landesverwaltung nach Wien und ernannte ihn zum Staats- und Konferenzminister. K. wurde die Führung der politischen Sektion des Staatsrates und am 18. Januar 1827 auch der Finanzsektion anvertraut. Durch sein Geschick, die Finanzen der Monarchie in eine bis dahin selten erreichte Ordnung mit beinahe ausgeglichenen Jahresbudgets zu bringen, errang der ehrgeizige K. bei Kaiser Franz eine Vertrauensstellung, die der Position eines Ministerpräsidenten entsprach. Mit Ausnahme der außen- und militärpolitischen Angelegenheiten liefen sämtliche Regierungsgeschäfte über K.s „Ministerial-Department“. Neben seinen allgemein anerkannten Fähigkeiten als Verwaltungsfachmann liegt seine historische Bedeutung vor allem in seiner tiefgehenden und die politische Entwicklung des Kaiserstaates bestimmenden Gegnerschaft zum Staatskanzler Metternich.  Dieser, das öffentliche Leben spätestens nach dem Tod Kaiser Franz (1835) lähmende Antagonismus, lag weniger in den grundsätzlichen politischen Anschauungen begründet als in der Wahl der politischen Methoden, den Gang der Dinge zu beeinflussen. K. war im Gegensatz zu Metternich, dem ganz auf die strenge Bewahrung des Status quo Bedachten, ein Fürsprecher von Konzessionen an den wohlhabenden Mittelstand und für die Förderung der Industrie, um die sichere Revolution abzuwenden, ein Standpunkt, der dem überzeugten Josephiner den Ruf eines „Liberalen“ einbrachte. Unterstützt von den Erzherzogen Johann und Karl, die K. für fähiger hielten als Metternich, die innere Ordnung in Österreich aufrecht zu erhalten, sicherte sich K. als permanentes Mitglied der 1836 als oberstes Regierungskollegium eingerichteten Staatskonferenz auch für die Jahre bis 1848 seinen Platz als eigentliche Entscheidungsinstanz sämtlicher innerer Staatsangelegenheiten.
 Als Mitbegründer und Protektor des böhmischen Nationalmuseums, war K. ein eifriger Förderer der tschechischen Kultur sowie der slawischen Völker und ihrer Belange in der Monarchie, insbesondere der Südslawen, die K. gegen die Magyaren auszuspielen trachtete. Aus diesem Grunde ganz für den Illyrismus Ljudevit Gajs eingenommen, verschaffte K. diesem die Lizenz für die Tageszeitung „Novine Hrvatska“ sowie - eine im Vormärz unerhörte politische Konzession - eine Lizenz für eine Druckerei, die die Ausbreitung der von K. auch weiterhin begünstigten illyrischen Bewegung ermöglichte. Als überzeugter Zentralist war K. überhaupt ein scharfer Gegner der ungarischen Verfassung, die er als Hindernis für eine wirkungsvolle Regierung und als einen gefährlichen Schild der Disloyalität betrachtete. Die Verurteilung Lajos Kossuths und Baron Miklós Wesselényis im Mai 1837 geht auf die Einflußnahme K.s zurück. Als K. nach Jahren verhängnisvoller und mitverschuldeter Immobilität der Regierungsgewalt im Jahre 1848 den persönlichen Triumph des Sturzes Metternichs und dessen von ihm stets erbittert bekämpften Systems erlebte, lag es nicht mehr in seinen Kräften, aber auch nicht in seinem grundkonservativen, den revolutionären Strömungen ablehnend gegenüberstehenden Sinne, die mit seiner Ernennung zum Leiter des ersten konstitutionellen Ministeriums (20.03.1848) verknüpften Möglichkeiten wahrzunehmen. Immerhin gelang ihm am 23. März 1848 noch die Verwirklichung eines von ihm 1841 zunächst erfolglos vertretenen Planes: die Ernennung einer starken militärischen Persönlichkeit zum kroatischen Banus in der Person des Generals Jelačić.  Bereits am 17. April 1848 trat K. nicht nur aus gesundheitlichen Gründen von seinem neuen Amte zurück. Mit ihm schied der letzte aktive Repräsentant eines von der Revolution hinweggefegten Regierungssystems aus dem öffentlichen Leben, auf das K. bis zu seinem Tode keinerlei Einfluß mehr genommen hat.

Literatur

Fournier, August: Graf Kolowrat und die österreichische Staatskonferenz von 1836. In: Ders.: Historische Studien und Skizzen. 3. Reihe. Wien, Leipzig 1912, 263-286.
Walter, Friedrich: Die Geschichte der österreichischen Zentralverwaltung in der Zeit Franz’ II. (I.) und Ferdinands I. 1792-1848. Wien 1956. = Die österreichische Zentralverwaltung. Hrsg. Heinrich Kretschmayr. II. Abt. Bd 1/2. T. 2.
Srbik, Heinrich von: Metternich. München 1957(3).
Macartney, G. Seewann Carlile Aylmer: The Habsburg Empire 1790-1918. London 1968.

Verfasser

Gerhard Seewann (GND: 1069961280)


GND: 116330422

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Empfohlene Zitierweise: Gerhard Seewann, Kolowrat-Liebsteinsky, Franz Anton Graf, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 445-446 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1157, abgerufen am: (Abrufdatum)

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