Niketas Choniates, byzantinischer Hofbeamter und Historiker, * Chonai (heute Khonas, Kleinasien) um 1155, † Nikaia um 1215, jüngerer Bruder des Michael Choniates.
Leben
Im Alter von neun Jahren kam N. nach Konstantinopel, wo er von seinem Bruder Michael weiter ausgebildet wurde. Um 1180 trat er in den Staatsdienst ein, zog sich aber unter dem Tyrannen Andronikos I. (1183-1185) ins Privatleben zurück. Zu hohen Ehren kam er unter Isaak II. (1185-1195) und Alexios III. (1195-1203), ohne aber wirklichen Einfluß auf die Regierungsgeschäfte zu erlangen. Er war u. a. Gouverneur von Philippopel (1189) und zuletzt Großlogothet. Alexios V. (1204) ersetzte ihn durch seinen Günstling Philokales. Nach der Eroberung Konstantinopels im April 1204 evakuierte N. nach Selymbria, das er im Juni 1206 wieder verließ, um nach einem sechsmonatigen Aufenthalt in Konstantinopel nach Nikaia überzusiedeln. Ob er dort am Hofe Tbeodoros’ I. (1204-1222) erneut einen Posten erhielt, läßt sich nicht feststellen. N. gehört zu den hervorragendsten byzantinischen Historikern. Seine „Historike diegesis“ behandelt die Zeit vom Tode Alexios’ I. (15.08.1118) bis einschließlich der Ereignisse der ersten drei Jahre nach der Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzritter des 4. Kreuzzuges im Jahre 1204. Die erste Fassung des Werkes über die Periode bis zum 4. Kreuzzug entstand größtenteils vor 1204, die Erzählung der Eroberung der Stadt und der nachfolgenden Ereignisse bis Herbst 1207 gab N. zuerst getrennt heraus als „Fortsetzung“, vielleicht als „Anhang“ seiner „Panoplia dogmatike“, die er vermutlich im genannten Jahr einem Freund zusandte. Schon bald aber besorgte er eine Neuausgabe beider Teile seines Werkes, nicht ohne den zweiten Teil aufgrund neuer Kenntnisse überarbeitet zu haben. Gegen Ende seines Lebens redigierte er dann noch einmal das Ganze neu, nun aber nicht nur, um Fehlendes zu ergänzen, sondern vor allem, um an vielen Personen und Vorgängen schonungslos Kritik zu üben. Die „Historike diegesis“ ist das Werk eines nicht immer objektiven, aber doch wahrheitsliebenden Autors, der über erstklassige Informationen und über ein außergewöhnliches literarisches Talent verfügte. Für die Geschichte Südosteuropas, besonders für die Beziehungen von Byzanz zu Bulgaren, Serben und Ungarn, ist sie eine unentbehrliche Quelle. Häufig befaßt N. sich mit der Rolle der Walachen und Rumänen ; seltener kommen die Russen zur Sprache. Auch N.’ Reden vor den Kaisern Isaak II., Alexios III. und Theodoros I. und die Behandlung der „Häresien“ und der dogmatischen Streitigkeiten seiner Zeit in der „Panoplia dogmatike“ sind für den Historiker von nicht geringer Bedeutung.
Literatur
Moravcsik: Bd 1, 444-450.
Grabler, Franz: Die Krone der Komnenen ... aus dem Geschichtswerk des Niketas Choniates. Graz, Wien, Köln 1958. = Byzantinische Geschichtsschreiber. 7.
Ders.: Abenteurer auf dem Kaiserthron .. . aus dem Geschichtswerk des Niketas Choniates. Graz, Wien, Köln 1958. = Byzantinische Geschichtsschreiber. 8.
Ders.: Die Kreuzfahrer erobern Kontantinopel... aus dem Geschichtswerk des Niketas Choniates. Graz, Wien, Köln 1958. = Byzantinische Geschichtsschreiber. 9.
Ders.: Kaisertaten und Menschenschicksale im Spiegel der schönen Rede. Reden und Briefe des Niketas Choniates. Graz, Wien, Köln 1966. = Byzantinische Geschichtsschreiber. 11.
Van Dieten, Jan-Louis: Zur Überlieferung und Veröffentlichung der Panoplia dogmatike des Niketas Choniates. Amsterdam 1970. = Zetemata Byzantina. 3.
Ders.: Niketas Choniates. Erläuterungen zu den Reden und Briefen nebst einer Biographie. Berlin, New York 1971. = Supplementa byzantina. 2.
Každan, A[leksandr] P[etrovič]: Kniga i pisatelj v Vizantii. Moskva 1973, 82-119.
Van Dieten, Jan-Louis: In: Nicetae Choniatae Historia. Berlin, New York 1975. = Corpus Fontium Historiae Byzantinae. XI/1. Einleitung.
Hunger, Herbert: Die hochsprachliche profane Literatur der Byzantiner. Bd 1. München 1978, 429-441.