|
|
|
Novaković, Stojan, serbischer Philologe, Historiker und Politiker, * Šabac 13.11.1842, † Niš 03.03.1915.
Leben
Nach dem Besuch des Gymnasiums in Šabac und des Lyzeums in Belgrad war N. 1863-1865 als Beamter im Finanzministerium, anschließend als Gymnasiallehrer, 1872/73 als Bibliothekar und Museumskustos tätig, wechselte 1873 zwischen dem Ministerium für Volksbildung und der Nationalbibliothek und wurde 1875 als Professor an die Belgrader Hochschule berufen. Mit Milutin Garašanin, Milan Piroćanac und Čedomilj Mijatović gehörte N. zu den Begründern der jungkonservativen Napredna Stranka (Fortschrittspartei), die sich wie die Radikale Partei 1881 organisierte. Im Unterschied zu den Altkonservativen machten sich N. und seine Anhänger die liberalen Forderungen nach Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit, Unabhängigkeit der Justiz und Ministerverantwortlichkeit zu eigen. Sie plädierten jedoch dafür, auf dem Wege zum parlamentarischen Regierungssystem westeuropäischen Musters anstelle der von den Liberalen und Radikalen geforderten staatsbürgerlichen Gleichheit - wegen der vermeintlichen Unfähigkeit der ungebildeten Bauernmassen zur politischen Mitsprache - die starke Stellung des Monarchen zu erhalten, ein Oberhaus zu schaffen und den Beamten und Intellektuellen maßgeblichen Einfluß im Staate zu sichern sowie durch Förderung von Handel, Gewerbe, Industrie und Volksbildung die Rückständigkeit des Landes zu überwinden; anders als die Radikale Partei unter Nikola Pašić, die für die lokale und regionale Selbstverwaltung eintrat, sahen sie im Zentralismus ein Gegengewicht gegen die Machtstellung der dörflichen Oberschichten. Als Minister für Volksbildung (1880-1883) erwarb sich N. große Verdienste um die Organisation von Schulen, Bibliotheken und Museen. Im Februar 1884 wurde er Innenminister im Kabinett des Milutin Garašanin, trat aber im Mai 1885 wegen seines Gegensatzes zu Milan Obrenović in der Frage der Verfassung und des königlichen Einflusses auf die Regierungsgeschäfte zurück. Nach der Vereinigung Ostrumeliens mit Bulgarien (18./06.09.1885) riet er vom Krieg gegen den östlichen Nachbarn ab und empfahl dem König, die Überlegenheit Serbiens über Bulgarien stattdessen durch eine moderne Verfassung auf liberaler Grundlage zu demonstrieren. 1885-1892 war N. Gesandter in Istanbul, 1893 Außenminister. Nach einem Wahlsieg, den die Progressisten der Wahlbeeinflussung durch die Verwaltung verdankten, wollte N. als Regierungschef und Außenminister (25.06.1895 - 17.12.1896) anstelle der von König Alexander Obrenović aufgehobenen Verfassung von 1888, deren Wiedereinführung die Radikale Partei förderte, eine Revision der Konstitution von 1869 erreichen, der Denaturierung der Politik durch Intrigen in der Königsfamilie ein Ende setzen und die Staatsfinanzen durch die Ratifikation des Karlsbader Arrangements ordnen. Von der „austrophilen“ Orientierung seiner Partei und des Hofes rückte N. zugunsten engerer Beziehungen mit Rußland ab und stellte damit einen Fundamentalkonsens der Parteien in der Außenpolitik her. Doch scheiterte N. letztlich am Doppelspiel des Königs, der einen Ausgleich mit den Radikalen suchte. 1899 war N. Gesandter in Paris und 1900-1904 Gesandter in St. Petersburg. 1906 erlebte die von Milutin Garašanin 1896 aufgelöste Fortschrittspartei auf seine Initiative und unter seiner Führung einen neuen Aufschwung. Als die politischen Kräfte Serbiens in der internationalen Krise, die Österreich-Ungarn durch die Annexion Bosniens und der Herzegowina 1908 auslöste, ein Allparteienkabinett bilden wollten, trat N. als Führer dieser kleinsten Partei an die Spitze der Regierung (11.02. - 21.10. 1909), da die Unabhängigen Radikalen Nikola Pašić nicht als Ministerpräsidenten akzeptierten. 1912/13 war N. an der Spitze der serbischen Delegation, die nach den Balkankriegen in London mit den Türken den Frieden aushandelten. N. war als Philologe Schüler des Djura Daničić, eines engen Mitarbeiters von Vuk Stefanović Karadžić, und trug durch zahlreiche Werke, u. a. eine serbische Grammatik (Srpska gramatika, 1879), eine Literaturgeschichte (Istorija srpske književnosti, 1867, 18712) und seine berühmte Bibliographie (Srpska bibliografija za noviju književnost, 1741 -1861, 1869) zur Erforschung der serbischen Sprache und Literatur bei. In seiner über 400 Titel umfassenden Publikationsliste (s. God. SKA 24 (1910) 316-409) nehmen historische Arbeiten einen hervorragenden Platz ein. So gab er u. a. das Gesetzbuch Stefan Dušans (Zakonik Stefana Dušana, cara srpskog 1349-1354, 1870, 1898²) und serbische Quellen des Mittelalters und der Neuzeit heraus (Zakonski spomenici srpskih država srednjeg veka, 1912; Srpski spomenici XV-XVIII veka, 1875), veröffentlichte grundlegende Studien zur historischen Geographie und Regionalgeschichte und zur Geschichte des serbisch-türkischen Verhältnisses (besonders wichtig: Srbi i Turci XIV i XV veka, 1893, I9603) sowie Arbeiten zur Geschichte des serbischen Aufstandes 1804 ff. (insbesondere: Vaskrs države srpske, 1904; eine deutsche Übersetzung unter dem Titel: Die Wiedergeburt des serbischen Staates, 1804-1813, erschien 1912 in der von dem Leiter des Bosnisch-herzegowinischen Instituts für Balkanforschung in Sarajevo, Carl Patsch, herausgegebenen Reihe „Zur Kunde der Balkanhalbinsel. Quellen und Forschungen“). Aufschluß über seine eigene Politik gibt ein Rechenschaftsbericht „Dvadeset godina ustavne politike u Srbiji 1883-1903 (20 Jahre Verfassungspolitik in Serbien 1883-1903, 1912). Bereits 1865 Mitglied der Serbischen wissenschaftlichen Gesellschaft (Srpsko učeno društvo), wurde N. 1870 Mitglied der Südslawischen Akademie der Wissenschaften und Künste in Zagreb und 1887 Mitglied der neugegründeten Serbischen Akademie.
Literatur
Spomenica Stojana Novakovića. Beograd 1921. = Srpska Književna Zadruga. 157.
Čubrilović, Vasa: Društveni elementi u delima Stojana Novakovića. Beograd 1959. = SANU. Posebna izdanja. 328.
Samardžić Radovan: Stojan Novaković. In: Letop. Matice srpske 142 (1966) 397, 349-376; 445-469.
Spomenica posvećena 50-godišnjici smrti Stojana Novakovića. Beograd 1967. = SANU. Posebna izdanja. 406.
|
|
|
|
|