Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Roth, Stephan Ludwig
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Roth, Stephan Ludwig

Roth, Stephan Ludwig, siebenbürgisch-sächsischer Pädagoge und Pfarrer, Nationalitätenpolitiker und Publizist, * Mediasch 24.11.1796, † (hingerichtet) Klausenburg 11.05.1849, Sohn des evangelischen Geistlichen Stephan Gottlieb R. und der Elisabeth R., geb. Gunesch.

Leben

 R. entstammte einem im siebenbürgischen Weinland um Mediasch ansässigen evangelischen Pfarrergeschlecht der Siebenbürger Sachsen. Seine eigentliche Dorfheimat war Kleinschelken (Şeica Mică), wo der Vater 44 Jahre lang als Pfarrer wirkte. Das Gymnasium besuchte er bis zur 3. Klasse im nahegelegenen Mediasch, die restlichen Jahre - bis Juli 1816 - in Hermannstadt, wo hervorragende Lehrer dem lernbegierigen Jüngling erstaunliche Kenntnisse aus dem Gebiete der Geisteswissenschaften vermittelten. Im Mai 1817 trat R. eine „Bildungsreise“, die er auch ausführlich beschrieb, durch weite Teile Mitteleuropas an, um schließlich am 27. November 1817 an der Universität Tübingen das Studium der Theologie und Philosophie zu beginnen. Aber schon im Herbst 1818 unterbrach er das ihn nicht befriedigende Universitätsstudium und begab sich nach Iferten in der Schweiz, wo er von den revolutionären pädagogischen Methoden des 72jährigen Johann Heinrich Pestalozzi zutiefst ergriffen wurde. Zwischen den beiden Männern entwickelte sich ein fruchtbares Meister-Schüler-Verhältnis. R. wurde praktischer Mitarbeiter im damals schon weltberühmten Erziehungsinstitut Pestalozzis und sehr bald auch mit der Aufgabe betraut,  die „Methode“ theoretisch besonders für die Verwendung im Sprachunterricht darzustellen. Vielversprechende Angebote, seine Kenntnisse und Fähigkeiten in westeuropäischen Ländern nutzbringend anzuwenden, lehnte er ab. Seine Absicht stand von vornherein fest, sich kulturellen Aufgaben seiner siebenbürgischen Heimat im weitesten Sinne zu widmen. 1820 nach Siebenbürgen zurückgekehrt, versuchte er sogleich das rückständige sächsische Schulwesen zu reformieren. Er tat es durch Vorsprachen bei den schulerhaltenden Behörden, durch einen ausgebreiteten Briefwechsel, durch Vorträge und einen gedruckten Aufruf an die Nation. Seine Lieblingsgedanken legte er in der Schrift nieder „An den Edelsinn und Menschenfreundlichkeit der sächsischen Nation in Siebenbürgen, eine Bitte und ein Vorschlag für die Errichtung einer Anstalt zur Erziehung und Bildung armer Kinder für den heiligen Beruf eines Schullehrers auf dem Lande“ (Hermannstadt 1821). Seine sozialpädagogischen Anregungen stießen jedoch auf Widerstand, und R. sah sich ab 1822 als Gymnasiallehrer, ab 1831 als Gymnasialrektor in Mediasch gezwungen, sehr viel bescheidenere pädagogische Neuerungen z. B. auf dem Gebiete des Turnens, des Singens und einer strafferen Handhabung der Schuldisziplin einzuführen. Auch damit aber erregte er Mißfallen und mußte sich, nach einem heftigen Streit mit der Mediascher Bürgerschaft und seiner Verdrängung aus der Schule (April 1834), mit dem Stadtpredigeramt abfinden, das er von Dezember 1834 bis Dezember 1836 ausübte. Im Januar 1837 erfolgte seine Erwählung zum Pfarrer von Nimesch (Nemşa) und Meschen (Moşna) bei Mediasch. Wider Erwarten begann jetzt für R. als Landpfarrer in diesen zwei Winzerdörfern eine Epoche intensiver schriftstellerischer, volkswirtschaftlicher, politischer, ja sogar theologischer Aktivität. In der Ruhe des Landlebens ergriff und bewegte ihn die geistige Unruhe des Vormärz aufs heftigste. Er verfaßte in rascher Aufeinanderfolge gesellschaftskritische, kulturhistorische, volks- und landwirtschaftliche Schriften und Aufsätze mit einer Fülle von fortschrittlichen Anregungen und Reform Vorschlägen. In meisterhafter, volkstümlicher Sprache gehalten, machten sie ihn alsbald bekannt und trugen ihm später den Namen des „totalen Publizisten“ seiner Zeit ein. Zu seinen Hauptschriften zählen: „Die Zünfte“ (1841), „Der Sprachkampf in Siebenbürgen“ (1842), „Untersuchungen und Wohlmeinungen über Ackerbau und Nomadenleben“ (1842), „Wünsche und Ratschläge, eine Bittschrift fürs Landvolk“ (1843) sowie „Der Geldmangel und die Verarmung in Siebenbürgen, besonders unter den Sachsen“ (1843). Als seherisch veranlagter und seinen Zeitgenossen stets weit vorauseilender Schriftsteller erweckte R. bei den einen Begeisterung, bei den anderen Ablehnung. Er forderte Abschaffung der Leibeigenschaft und Gleichberechtigung für alle Nationen Siebenbürgens, besonders für die damals noch rechtlose rumänische Bevölkerung. Aus diesem Verständnis für die Belange des rumänischen Volkes heraus besuchte R. auch die Volksversammlung zu Blasendorf (Blaj) am 15. (3.) Mai 1848 und ließ sich am 21. Oktober in den „Pazifikationsausschuß“ ernennen, wo er eng mit den Rumänen zusammenarbeitete. R. trat hier für die organisch gewachsenen, demokratisch organisierten Volkstümer ein und für das übervölkische Ordnungsprinzip Alt-Österreichs. Das brachte ihn in Gegensatz zu den auf die Errichtung eines ungarischen Nationalstaates mit Einschluß Siebenbürgens und Kroatiens gerichteten Bestrebungen der österreich-feindlichen linksradikalen Anhänger Kossuths. Dieser ließ in den kriegerischen Wirren der Jahre 1848/49 R. ergreifen und durch ein ungarisches Standgericht am 11. Mai 1849 in Klausenburg zum Tode durch Pulver und Blei verurteilen. Das heldenhafte Sterben R.s in der Zitadelle von Klausenburg beeindruckte die siebenbürgische Öffentlichkeit, auch die nicht-sächsische, außerordentlich und verlieh dem geistigen Vermächtnis R.s erhöhte Bedeutung, die in dem reichen über ihn zustandegekommenen Schrifttum Ausdruck gefunden hat.

Literatur

Obert, Franz: Stephan Ludwig Roth. Sein Leben und seine Schriften. 2 Bde. Wien 1896.
Roth, Stephan Ludwig: Gesammelte Schriften und Briefe. Aus dem Nachlaß hrsg. von Otto Folberth. 7 Bde. Kronstadt, Hermannstadt, Berlin 1927/64 (Bd 1-6. Berlin 1970(2)).
Folberth, Otto: Der Prozeß Stephan Ludwig Roth. Ein Kapitel Nationalitätengeschichte Südosteuropas im 19. Jahrhundert. Graz, Köln 1959.
Göllner, Carl: Stephan Ludwig Roth. Leben und Werk. [Zweisprachige Ausgabe: rumänisch-deutsch], Bucureşti 1966.
Wellmann, Martin: Kirche und Pfarramt bei Stephan Ludwig Roth im Spannungsfeld von Politik und Sozialpädagogik. Köln, Wien 1970. = Studia Transylvanica. 2.
Roth, Stephan Ludwig: Schriften, Briefe, Zeugnisse. Vorwort u. Auswahl Michael Kroner. Bukarest 1971.
Folberth, Otto [u. a.]: Stephan Ludwig Roth - Bibliographie. In: Beiträge zur siebenbürgischen Kulturgeschichte. Hrsg. Paul Philippi. Köln, Wien 1974, 110-196. = Siebenbürgisches Archiv. III/10.
Kroner, Michael: Stephan Ludwig Roth. Ein Leben für Fortschritt und Völkerverständigung. Cluj-Napoca 1977.

Verfasser

Otto Folberth (GND: 116646683)


GND: 118603167

Weiterführende Informationen: https://prometheus.lmu.de/gnd/118603167

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Empfohlene Zitierweise: Otto Folberth, Roth, Stephan Ludwig, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 4. Hgg. Mathias Bernath / Karl Nehring. München 1981, S. 58-60 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1608, abgerufen am: (Abrufdatum)

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