Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Šafárik, Pavel Jozef
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Šafárik, Pavel Jozef

Šafárik, Pavel Jozef, slowakischer Dichter, Philologe und Historiker, * Kobeliarovo (Feketepatak, Komitat Gömör) 13.05.1795, † Prag 26.06.1861.

Leben

Einer alten evangelischen Pastorenfamilie entstammend, besuchte Š. (auch Sáfáry, Schaffarik, Saffank und Šafařík geschrieben) in den Jahren 18051810 das Gymnasium in Rosenau (Rožňava) und Dobschau (Dobšiná). Philosophisch-theologische und juristische Ausbildung bekam er auf dem Lyzeum in Käsmark (Kežmarok), das er 1815 „in omnibus aeque ac moribus eminens“ absolvierte. Anschließend studierte er Philologie und Geschichte an der Universität Jena (1815-1817), wo er bei Jakob Friedrich Fries mit dem Herderschen Ideengut („Slavenkapitel“) vertraut und durch die pangermanistische Bewegung der freiheitlich-patriotischen Jugend in seiner geistigen Entwicklung entscheidend beeinflußt wurde. Bereits 1814 in Käsmark hatte Š. die Gedichtsammlung „Tatranská Můza s lirau Slowanskau“ (Die Muse der Tatra mit der slawischen Lyra) veröffentlicht, die sein unter dem Einfluß von Josef Jungmann erwachtes Nationalbewußtsein bezeugte und zum Wegweiser neuer Entwicklung in der slowakischen Dichtung wurde. (Š. hat das Sonett in der slowakischen Literatur eingeführt.) In Jena hat Š. an Übersetzungen aus Werken von Aristophanes und Friedrich Schiller gearbeitet und sich dem Problem der Prosodie im Tschechischen gewidmet. Seine Ausführungen dazu veröffentlichte er im mit František Palacký verfaßten Werk „Počátkowé Českého básnictwi obwzlásstě prozodye“ (Die Ursprünge tschechischer Dichtung, insbesondere der Prosodie, Preßburg, Prag 1818). Nach zweijährigem Aufenthalt als Privatlehrer in Preßburg wurde Š. 1819 zum Direktor des neuerrichteten serbischen Gymnasiums in Neusatz (Novi Sad) berufen, wo er bis 1833 wirkte. Er pflegte regen Briefwechsel mit deutschen, slowenischen, tschechischen, polnischen und russischen Gelehrten und widmete sich seiner wissenschaftlichen Forschung. Bereits 1823 veröffentliche Ján Kollar in Pest Š.s Sammelwerk „Písně swětské lidu Slawenského w Uhrách“ (Weltliche Lieder des slowakischen Volkes in Ungarn). Bald beendigte Š. auch sein in Jena begonnenes Werk „Geschichte der slawischen Sprache und Literatur nach allen Mundarten“ (Ofen 1826). Zum ersten Male wird darin die Literatur aller slawischen Völker einheitlich und systematisch dargestellt. Das Werk verschaffte Š. einen verdienten Ruf in den wissenschaftlichen Kreisen und wurde jahrzehntelang als Grundlage weiterer Forschung und als erstes Handbuch der Slawistik gebraucht. (Weitere Ausgaben: Leipzig 1837 und 1852; englische Übersetzungen: Andower 1834 und New York 1850; slowakische Übersetzung: Preßburg 1963). Obwohl beruflich (1825 wurde er durch einen Regierungserlaß gezwungen, das Amt des Gymnasialdirektors niederzulegen) und auch privat (ab 1822 verheiratet mit Julia Zsedényi-Ambrózy) schwer geprüft, widmete sich Š. unermüdlich seiner Forschung. In Neusatz verfaßte er „Über die Abkunft der Slawen nach Lorenz Surowiecki“ (Ofen 1828) und „Serbische Lesekörner oder historischkritische Beleuchtung der serbischen Mundart. Ein Beitrag zur slawischen Sprachkunde“ (Pest 1833). Gesundheitlich leidend, politisch verdächtigt, kulturell und gesellschaftlich isoliert, sehnte sich Š. nach einem günstigeren Wirkungsort. Die ihm angebotene Professur in Käsmark und Preßburg nahm er aber nicht an. František Palacký bot ihm eine angemessene Existenz in Prag an, falls er sich verpflichte, tschechisch zu schreiben. Š. nahm das Angebot an und kam 1833 nach Prag, wo er als Gerichtsdolmetscher, Schriftleiter (1834-1843), Zensor (1837-1847) und Kustos der Universitätsbibliothek (1841-1860) ein klägliches Leben „ohne Dank und Ruhm“ führte. Im Revolutionsjahr 1848 wurde er zum außerordentlichen Professor für Vergleichende Slawische Philologie ernannt, übernahm aber das Amt nicht. Enttäuscht und verbittert, von ständigen Kopfschmerzen gequält, unternahm Š. 1860 einen Selbstmordversuch. Er wurde aber gerettet und pensioniert und starb ein Jahr darauf eines natürlichen Todes. - Seine wissenschaftliche Arbeit hat Š. auch in Prag erfolgreich fortgesetzt. Dort erschienen 1837 die zwei Bände seines Werkes „Slowanské starožitnosti“ (Slawische Altertümer), das dem Verfasser in den wissenschaftlichen Kreisen nebst den verdienten Anerkennungen auch die (abgelehnten) Universitätsberufungen nach Moskau, Berlin und Breslau einbrachte. In verschiedene Sprachen übersetzt (russisch: Moskau 1837/38, 1848; polnisch: Posen 1842/43; deutsch: Leipzig 1843/44; französisch: Paris 1848/54), gehört dieses grundlegende Werk (mit dem darauf aufgebauten Handbuch von Lubor Niederle) zu den klassischen Texten slawischer Archäologie. Als Integrierung seines wissenschaftlichen Bildes des Slawentums verfaßte S. sein drittes Hauptwerk „Slowanský národopis“ (Slawische Ethnographie, Prag 1842), das wieder als ein Novum in der slawistischen Literatur erschien. Es enthält ausführliche statistische, geographische und ethnographische Angaben über die einzelnen slawischen Völker, deren imposante Verbreitung auch durch eine dem Werke anhängende, von Š. bearbeitete geographische Karte veranschaulicht wurde. Vor allem durch dieses sehr verbreitete Werk hat Š. einen gewaltigen Einfluß auf die kulturell-politischen nationalen Bewegungen aller slawischen Völker ausgeübt. Š. bleibt einer der Begründer der wissenschaftlichen Slawistik und einer der größten slowakischen Gelehrten aller Zeiten. Eine historische Tragik des Slowaken Š. liegt aber darin, daß er, seiner eigenen Heimat entfernt und entfremdet, durch seine schwankenden Ausführungen gerade über die Slowaken und ihre Sprache den Gegnern der Nationswerdung seines Volkes pseudowissenschaftliche Argumente lieferte und dadurch die geschichtliche Entwicklung der slowakischen Nation bis in die Gegenwart hin spürbar belastete.

Literatur

Murko, Matthias: Paul Josef Schaffarik, der romantische Altertumsforscher, Philologe und Linguist, der bedeutendste Vertreter des wissenschaftlichen Panslavismus. In: Ders.: Deutsche Einflüsse auf die Anfänge der slavischen Romantik. I. Die böhmische Romantik. Graz 1897.
Škultéty, Jozef: Pavel J. Šafárik. Bratislava 1922.
Paul, Karel: Pavel Josef Šafařík. Život a dílo. Praha 1961.
Mráz, Andrej, Viktor Kochol, Cyril Kraus [u. a.]: Pavel Jozef Šafárik. Bratislava 1961.
Korespondence Pavla Josefa Šafaříka s Františkem Palackým. Praha 1961.
Rosenbaum, Karol: Pavel Jozef Šafárik. Bratislava 1961.
Kirschbaum, Joseph M.: Pavel Jozef Šafárik and his contribution to Slavic Studies. Winnipeg/Cleveland 1962.
Sborník Šafárikovský. Bratislava 1962.
P. J. Šafarik (1795-1861). Zbornik članaka povodom 100-godišnjice smrti. Novi Sad 1963.
Novotný, Jan: Pavel Josef Šafařík. Praha 1971.


GND: 118794027

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Empfohlene Zitierweise: Milan Stanislav Ďurica, Šafárik, Pavel Jozef, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 4. Hgg. Mathias Bernath / Karl Nehring. München 1981, S. 71-73 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1617, abgerufen am: (Abrufdatum)

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