Stere, Constantin, rumänischer Publizist und Politiker, der bedeutendste Theoretiker eines Bauernsozialismus in Rumänien (Poporanismul, Ţărănismul), * Horodiştea (heute Gorodišče, Bessarabien) 13.06.1865, † Bucov (Muntenien) 26.06.1936, Sohn des Gutsbesitzers Gheorghe Steri und der Porfiria Theodorovna Caţaoni aus verarmter Pächterfamilie, beide griechischen Ursprungs.
Leben
St. besuchte das Realgymnasium in Kišinev, wo er schon vor 1881 mit der dortigen Lokalgruppe der „Narodnaja Volja“ in Berührung kam. Als Mitglied des Exekutivkomitees der Odessaer studentischen Jugend organisierte er in den Jahren 1882-1883 illegale Lesezirkel an den Schulen Bessarabiens. 1884 vor dem Schulabgang in Kišinev festgenommen, wurde er in Odessa 1886 zu drei Jahren Verbannung nach Westsibirien verurteilt. Eine Gefängnisrevolte im März 1889 führte zur Deportation nach Ostsibirien für drei weitere Jahre. Während der Haft lernte er Lenin, Józef Piłsudski und Władysław Stadnicki kennen. Unter dem Eindruck des Niederganges der revolutionären Bewegung im Rußland der achtziger Jahre wurde aus dem klassischen Narodnik ein von Nikolaj K. Michajlovskij beeinflußter Neukantianer (vgl. sein „incercări filozofice“ [Philosophische Versuche], 1897), der den Kampf gegen den Zarismus vom Ausland fortsetzte. Sein Programm der sozialen Emanzipation der Bauern und der nationalen Integration Bessarabiens in ein demokratisches Großrumänien lag seit der Emigration 1892 fest.
Nach dem Abschluß des Jurastudiums (1893-1897) in Jassy mit einer soziologisch orientierten Dissertation trat St. der liberalen Partei bei, der er bis 1918 angehörte. Dem mit ihrem Agrarprogramm gescheiterten Führungskreis der sozialdemokratischen Partei um Ioan Nădejde versuchte er durch eine Koalition mit der jungliberalen Frondeurgruppe unter Ionel I. C. Brătianu eine politisch relevante Plattform zu geben (1899/1900). 1901 wurde St. Professor für Verwaltungsrecht, später Rektor in Jassy und zum Abgeordneten gewählt. Während der Mitarbeit an den Gesetzesinitiativen Spiru C. Harets zur Förderung der Dorfschule und Unterstützung des bäuerlichen Genossenschaftswesens im Kabinett Dimitrie A. Sturdza (1901-1905) erkannte St. rasch den engen Spielraum reformerischer Agrarpolitik.
Den in Rußland 1905 eingetretenen Wandel nutzend, schuf St. die erste rumänischsprachige Zeitung in Bessarabien, aus deren Redaktionskreis sich der Nukleus einer nationalrumänischen Partei herausbildete (Pan Halippa, Ioan Pelivan, Alexis Nour). Die von ihm im März 1906 zusammen mit Garabet Ibrăileanu begründete sozialkritische Kulturzeitschrift „Viaţa Românească“ (Rumänisches Leben) stieß sofort auf lebhafte Resonanz. Allerdings reichte der um sie gruppierte Kreis radikaldemokratischer Intellektueller noch nicht aus, eine Bauernpartei ins Leben zu rufen, obwohl St. innerhalb der in der Krise des Bauernaufstandes von 1907 ans Ruder gekommenen liberalen Regierung vorübergehend an politischem Einfluß gewann.
Der Wiederaufschwung der sozialdemokratischen Bewegung unter Cristian Racovski und Constantin Dobrogeanu-Gherea setzte St. dem Zwang aus, seine Konzeption eines nichtkapitalistischen Entwicklungsweges auf der Grundlage kleinbäuerlich-handwerklicher Volksproduktion, genossenschaftlichen Güteraustauschs zwischen Stadt und Land und politischer Partizipation der Bauernschaft theoretisch zu formulieren („Social-democratism sau poporanism?“, 1907/08). Auf die Gegenargumente von marxistischer Seite (Dobrogeanu-Gherea und sein „Neoiobăgia“ [Neuleibeigenschaft], 1910) erfolgte keine Antwort.
1912 vermittelte St. erfolgreich in einem Konflikt zwischen Octavian Goga und Alexandru Vaida-Voievod innerhalb der Siebenbürgischen Nationalpartei. Im Februar 1914 machte sich das Kabinett Ionel I. C. Brătianu St.s Programm nach Enteignung des Großgrundbesitzes und Einführung des allgemeinen Wahlrechtes zu eigen, doch geriet St. bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges erneut in die Isolation, da er den Anschluß Bessarabiens nur durch Kriegseintritt an der Seite der Mittelmächte für realisierbar hielt und später eine Personalunion mit Deutschland forderte („Marele războiu şi politica României“ [Der große Krieg und die Politik Rumäniens], 1918).
St.s Rolle als Präsident des „Sfatul Ţării“ (Der Landesrat) bei der Abstimmung über die Vereinigung der Moldauischen Republik mit dem Altreich am 9. April 1918 schützte ihn nicht vor Verhaftung und Anklage wegen Kollaboration durch Ionel I. C. Brătianu im Dezember 1918, der damit St.s Stellung als theoretischer Mentor in der neugegründeten Bauernpartei Ion Mihalaches zu neutralisieren suchte. Diese Führungsposition, wie sie in den Kämpfen mit der Regierung über die Rolle des Auslandskapitals in der rumänischen Petroleumindustrie 1921 und bei der Verabschiedung der neuen Verfassung 1922/23 offenkundig wurde, brachte ihn in Gegensatz zu der jungen Politikergeneration innerhalb der Partei, so daß Iuliu Maniu bei den Fusionsverhandlungen mit der Siebenbürgischen Nationalpartei (1922-1926) seine Entfernung fordern konnte.
St.s endgültige Ausbootung aus der nationalzaranistischen Partei als Exponent des linken Flügels gelang erst im April 1930, als sein bessarabischer Anhang (Pan Halippa) die Gefolgschaft versagte („Documentări şi lămuriri politica“ [Politische Dokumentationen und Erläuterungen], 1930). In den letzten Lebensjahren unternahm St. die Neugründung einer Bauernpartei in Bessarabien (Partidul radical-ţărănesc); sie erlangte auch nach der Vereinigung mit der Dissidentengruppe Grigore Iunians 1933 nur regionale Bedeutung. Den Schlüssel zu seinem komplexen Lebensgang hat St. in einem großen autobiographischen Roman gegeben („In preajma revoluţiei“ [Im Umkreis der Revolution], 8 Bde, 1932/36).
Politisch scheiterte St. vor allem an der ökonomischen und kulturellen Rückständigkeit der Bauernschaft, die nicht schnell genug lernte, in die komplizierten Entscheidungsprozesse einer bürgerlichen Demokratie einzugreifen. Sein theoretisches Konzept wurde von der Zerstörung der Kleinparzellenwirtschaft in der chronischen Agrarkrise der Zwischenkriegszeit überholt. Wenn St. zeitlebens ein „Feldherr ohne Armee“ war, so behält seine Selbsteinschätzung dennoch Gültigkeit, „daß die Geschichte der rumänischen Demokratie unauflöslich mit meinem Namen verbunden bleiben wird“.
Literatur
Şeicaru, Pamfil: Un singuratec: C. Stere. Madrid 1956. = Colecţia „Carpaţii“. 5.
Budak, Il’ja Grigor’evič (Hrsg.): Položenie krest’jan i obščestvenno-političeskoe dviženie v Bessarabii, 1861-1895 g. Kišinev 1964.
Volk, Stepan Stepanovič: Narodnaja Volja 1879-1882. Moskva, Leningrad 1966.
Scurtu, Ioan: Contribuţii privind mişcarea ţăranilor din România în perioada 1907-1914. In: Studii 21 (1968) 499-521.
Ornea, Zigu: Ţărănismul. Bucureşti 1969 (mit Bibliographie).
Petric, Aron: Viaţa politică în timpul primei guvernări naţional-ţărăniste 1928-1931. Teza de doctorat. Bucureşti 1969.
Mihăilescu, Ştefania (Hrsg.): Poporanismul românesc. Contribuţii bibliografice. Bucureşti 1970.
Ornea, Zigu: Poporanismul. Bucureşti 1972 (mit Bibliographie).