Szilágyi, Sándor, ungarischer Publizist, Historiker, Verleger und Wissenschaftspolitiker, * Klausenburg (Kolozsvár, Cluj) 30.08.1827, † Budapest 12.01.1899.
Leben
Nach seinem Studium an der Rechtsakademie in Klausenburg schloß sich Sz. 1848 den Honvédtruppen an. 1850 veröffentlichte er in Pest seine Studien zur Geschichte der Revolution und des Freiheitskampfes 1848/49 (A magyar forradalom története 1848- és 49-ben). Ab 1853 unterrichtete er als Gymnasiallehrer in Nagykörös, ab 1867 war er als Ministerialsekretär und ab 1878 als Direktor der Universitätsbibliothek in Budapest tätig. Sein großangelegtes geschichtswissenschaftliches Lebenswerk umfaßt die Geschichte Ungarns und Siebenbürgens im 16. und 17. Jh. Zusammen mit Károly Szabó veröffentlichte er die ersten Bände einer Serie von Quelleneditionen der historischen Dokumente des Bürgertums und der Leibeigenschaft von Mezőváros (1856). Gemeinsam mit Áron Szilády gab er die Quellen zu den politisch-wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen während der türkischen Eroberung heraus (Okmánytár a hódoltság történetéhez Magyarországon, 2 Bde, Pest 1863; Török-magyarorkori államokmánytár, 7 Bde, Pest 1868/72). Grundlegende Bedeutung erlangte die Reihe mit Quellen über die Reichstage in Siebenbürgen in den Jahren 1540 bis 1699 (Erdélyi Országgyűlési Emlékek, 21 Bde, Budapest 1876/98). Außerdem faßte Sz. in zwei Bänden die Geschichte der politischen und kulturellen Entwicklung in Siebenbürgen zusammen (Erdélyország története, Pest 1866) und erstellte mehrere Biographien über siebenbürgische Herrscher des 17. Jh.s (Gábor Báthory, 1867; György II. Rákóczi, 1891; György I. Rákóczi, 1893). Dank seiner Forschungsarbeiten in verschiedenen europäischen Archiven gewann er einen klaren Einblick in die diplomatischen Beziehungen, die Siebenbürgen mit Istanbul, der Walachei, Polen und Schweden unterhielt. Seine Studien, deren Thematik die Probleme der Leibeigenschaft, der Steuerzahlung, des Bergbaus, des Schulwesens sowie der religiösen Verhältnisse umfaßt, sind von jener besonderen Richtung des Positivismus gekennzeichnet, wie sie sich in Ungarn herausgebildet hatte. Hierbei wurde seine realistische volkstümlich-bürgerliche Haltung später von einer protestantischen und adelig-patriotischen Auffassung, dem Historismus, durchdrungen; dennoch war Sz. durchaus kein Freund theoretischer Diskussionen.
Als bedeutendster Wissenschaftspolitiker und Organisator der ungarischen Geschichtswissenschaft im 19. Jh. gelang es Sz., die Geschichtsschreiber sämtlicher kontroverser Richtungen für ein gemeinsames Unternehmen zu gewinnen. Das so entstandene Werk ,,A magyar nemzet története“ (Geschichte der ungarischen Nation, 10 Bde, Budapest 1896) erschien unter seiner Redaktion zur Millenniumsfeier des ungarischen Staates. Es repräsentiert die verschiedenen Richtungen der Geschichtsschreibung zu Ende des vergangenen Jh.s.
Sz. war Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (ab 1858) sowie Redakteur bzw. Herausgeber der Zeitschriften „Századok“ Jahrhunderte, 1875-1899), „Történelmi Tár“ (Historische Gesellschaft, 1878-1899) und der Reihe „Magyar Történelmi Életrajzok“ (Ungarische historische Biographie, 1889-1890).
Literatur
Mann, Miklós: Adatok a Századok történetéhez Szilágyi Sándor szerkesztői korszakából (1875 bis 1899). In: Századok 102 (1968) 205-239.
R. Várkonyi, Ágnes: A pozitivista történetszemlélet a magyar történetírásban. Budapest 1973.