Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Toptani, Esad Pascha
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Toptani, Esad Pascha

Toptani, Esad Pascha, albanischer Politiker, * Tirana 1863, † Paris 13.06.1920, Sohn des Ali Bey T. und der Vasfije Alizoti; die Toptani zählten zu den angesehensten Adelsfamilien Albaniens und leiteten ihre Herkunft von dem Geschlecht der Thopia ab.

Leben

T. verdankte seine selbst für albanische Verhältnisse ungewöhnliche Karriere seinem übel beleumundeten Bruder Gani Bey, der Flügeladjutant Sultan Abdülhamids II. war und angeblich in dessen Auftrag politische Morde in der osmanischen Hauptstadt organisierte und 1902 selbst ermordet wurde. Den reichen Familienbesitz in Tirana und Umgebung übernahm T., der gleichzeitig Gendarmeriekommandant von Janina wurde. 1908 schloß er sich den Jungtürken an und zog als Deputierter von Durazzo in das türkische Parlament. Eine etwas zweifelhafte Rolle spielte T. während des 1. Balkankrieges 1912/13: Mit seinem Wissen, wenn nicht gar in seinem Auftrag wurde der Kommandant des von den Montenegrinern belagerten Skutari, Hasan Riza Pascha, am 3. Januar 1913 ermordet. Die Hintergründe für diesen Anschlag sind unklar - entweder stand T. damals bereits im Bunde mit Montenegro und Serbien, oder er wollte selbst Befehlshaber der zäh verteidigten letzten osmanischen Festung in Europa werden. Letzteres erreichte er jedenfalls sofort; ob die am 22. April 1913 erfolgte Übergabe der Festung, in der Hungersnot herrschte (zu vorteilhaften Bedingungen - freier Abzug der Truppen mit Waffen und Ausrüstung), mit den Montenegrinern vorher abgesprochen war und als Verrat zu werten ist, wie T.s Gegner behaupten, ist nicht zu beweisen. T. begab sich über Alessio, wo er von der serbischen Garnison mit militärischen Ehren empfangen wurde, nach Tirana; dort entließ er auf Befehl der osmanischen Regierung formell die albanischen Landwehr- (Redif-)Truppen, ca. 9000 Mann, die inoffiziell aber weiterhin unter seiner Kontrolle blieben und die Grundlage für seine ständig steigende Macht in Mittelalbanien darstellten. Der am 28. November 1912 in Valona gebildeten Provisorischen Regierung unter Ismail Kemal Bey Vlora stand T. von Anfang an mißtrauisch gegenüber, da er selbst die Leitung des neuentstandenen albanischen Staates beanspruchte. Nur widerwillig ließ er sich im Juli 1913 von Mitgliedern der Familie Vlora überreden, einen Posten in der Provisorischen Regierung anzunehmen (Innenministerium). In diesem Regierungsamt wurde er jedoch niemals aktiv, und bereits am 15. Oktober trat er aus dem Kabinett Vlora aus, und bildete in Durazzo eine eigene Regierung für Mittelalbanien, deren Vorsitz er selbst übernahm. Als die Provisorische Regierung am 22. Januar 1914 zugunsten der Internationalen Kontrollkommission zurücktrat, weigerte sich T., ein Gleiches zu tun. Erst am 3. Februar erklärte er seine Bereitschaft zurückzutreten, und zwar unter der Bedingung, daß die Kontrollkommission durch einen von ihm ernannten Senat regiere. Gleichzeitig bestand er darauf, die Leitung der albanischen Delegation zu übernehmen, die dem von den Großmächten designierten Prinzen Wilhelm von Wied die Krone Albaniens anbieten sollte. Am 12. Februar 1914 reiste diese Delegation nach Deutschland ab, und am 21. Februar wurde sie in Neuwied empfangen. Im ersten unter Wied gebildeten Kabinett übernahm T. die Ministerien für Inneres und Krieg, an seiner Loyalität gegenüber dem Fürsten wurde aber bald gezweifelt, denn er bemühte sich nicht ernsthaft, die nordepirotische Selbständigkeitsbewegung unter Georgios Zographos wirksam zu bekämpfen - angeblich soll er Subsidien aus Griechenland bekommen haben. Gleichzeitig dürfte er den im Mai 1914 in Mittelalbanien ausgebrochenen Bauernaufstand unter Haxhi Qamili, der einen Wiederanschluß Albaniens an das Osmanische Reich anstrebte, wenn auch nicht angezettelt, aber doch unterstützt haben. Da T. eine ernsthafte Gefahr für die Herrschaft Wieds bedeutete, beschloß man, sich seiner zu entledigen. Am 19. Mai 1914 wurde sein Haus in Durazzo von der in Albanien tätigen holländischen Gendarmerie und albanischen Freiwilligen angegriffen und T. nach kurzem Kampf festgenommen und auf den österreichischen Kreuzer „Szigetvar“, danach auf den italienischen Dampfer „Benghasi“ gebracht; auf letzterem fuhr er nach Brindisi, nachdem er sich schriftlich verpflichtet hatte, ohne die Erlaubnis Wieds nicht mehr nach Albanien zurückzukehren. Er ging nach Rom ins Exil, wo er enge Kontakte nicht nur zur italienischen, sondern auch zur serbischen, montenegrinischen und griechischen Regierung unterhielt; gegenüber letzterer erklärte er sein Desinteresse an Südalbanien. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges begab sich T. nach Serbien, wo er sich Anfang September 1914 in Niš mit dem serbischen Ministerpräsidenten Nikola Pasic traf. Mit serbischer finanzieller Unterstützung sammelte er ca. 5000 Mann, mit denen er am 20. September in Debar einzog. Wenig später überschritt er die albanische Grenze und besetzte am 3. Oktober ohne Kampf Durazzo. Am 5. Oktober berief er dort einen „Senat“ ein, durch den er sich am 12. Oktober zum Präsidenten und Oberkommandierenden ernennen ließ. Am 23. November kam es bereits zu Demonstrationen gegen ihn, die von den gleichen Leuten getragen waren, die ihn bisher unterstützt hatten, nämlich den muslimischen Aufständischen. Als er deren Anführer verhaften ließ, wandte sich der Aufstand gegen ihn. Die Aufständischen besetzten Tirana und verhafteten T.s Anhänger. In Durazzo konnte er sich allerdings dank italienischer Unterstützung halten. Als sich Mitte 1915 die geschlagene serbische Armee quer durch das neutrale Albanien an die adriatische Küste zurückzog, erklärte T. Österreich-Ungarn formell den Krieg, um seine Stellung bei der Entente zu festigen. Er profitierte zudem von den alliierten Hilfslieferungen an die Serben, indem er diese versteuern ließ. Vor der Besetzung Nord- und Mittelalbaniens durch die k.u.k. Truppen (Frühjahr 1916) begab sich T. nach Saloniki und von dort nach Frankreich. Ende 1916 fuhr er nach London, wo er sich als den nationalen Repräsentanten Albaniens ausgab, ohne damit allzu großen Erfolg zu haben. Er kehrte nach Paris zurück und versuchte 1920 durch seine Mittelsmänner Osman Bali und Halid Lleshi eine Revolte in Albanien zu entfachen, die seine Rückkehr vorbereiten sollte. Der Aufstandsversuch wurde jedoch durch Bajram Curri und seine Leute niedergeschlagen. Noch Anfang Juni 1920 soll er mit der jugoslawischen Regierung verhandelt haben, mit deren Unterstützung er Gouverneur von Albanien auf Lebenszeit werden wollte; danach sollten die Hoheitsrechte auf das SHS-Königreich übergehen. Ob das Attentat auf T., das am 13. Juni 1920 in Paris vor dem Hotel „Continental“ verübt wurde, damit in Zusammenhang steht, ist nicht bekannt. Der Täter, der Student Avni Rustemi, wurde vom Schwurgericht des Seine-Departements in einem sensationellen Urteil freigesprochen, weil er ohne Vorsatz gehandelt habe.
T. wird in der albanischen Historiographie als der Landesverräter und Übeltäter par excellence hingestellt. Ganz zutreffend ist das nicht. Sicher war er ein Mann von großem persönlichen Ehrgeiz, der auch in der Wahl seiner Mittel keine Skrupel kannte. Aber Männer dieser Art waren nicht selten im damaligen Albanien - Preng Bibe Doda z.B. ist durchaus mit ihm auf eine Stufe zu stellen. Und mit ausländischen Regierungen verhandelten insgeheim auch so angesehene Patrioten wie Ismail Kemal Bey Vlora.

Literatur

Neue Zürcher Zeitung 11.-15. Juni, 29.-30. November 1920.
Swire, J.: Albania - The Rise of a Kingdom. London 1929.
Goslinga, Gorrit T. A.: The Dutch in Albania. In: Shêjzat 15 (1971) 117-130, 224-238; 16 (1972) 14-51.
Vlora, Ekrem Bey: Lebenserinnerungen. 2 Bde. München 1968/73.

Verfasser

Peter Bartl (GND: 133417492)


GND: 120340992

Weiterführende Informationen: https://prometheus.lmu.de/gnd/120340992

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Empfohlene Zitierweise: Peter Bartl, Toptani, Esad Pascha, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 4. Hgg. Mathias Bernath / Karl Nehring. München 1981, S. 340-342 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1797, abgerufen am: (Abrufdatum)

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