Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Vazov, Ivan Minčov
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Vazov, Ivan Minčov

Vazov, Ivan Minčov, bulgarischer Dichter, * Sopot (heute Vazovgrad) 9.07.1850, † Sofia 22.09.1921.

Leben

V. entstammte einer angesehenen Kaufmannsfamilie. Als ältester von sieben Söhnen sollte er das Geschäft übernehmen. Sein Vater schickte ihn auf die Grundschule in Sopot, dann zu dem Pädagogen Botjo Petkov, dem Vater von Christo Botev, nach Kalofer, auf die vornehme Eparchieschule in Plovdiv und schließlich zu einem Onkel nach Olteniţa (Walachei) in die Kaufmannslehre. Doch zeigte V. zum Kummer des Vaters keinen Sinn für den Kaufmannsberuf. Schon auf der reichlich mit Literatur ausgestatteten Eparchieschule hatte er seine Leidenschaft für die Dichtkunst entdeckt. Und aus Olteniţa zog V. schon bald fort. Er begab sich nach Brăila und verkehrte dort in bulgarischen Emigrantenkreisen, bei Schriftstellern und Revolutionären. Seine Dichterlaufbahn begann mit dem Gedicht „Borba“ (Kampf), das 1870 in der Zeitschrift der Bräilaer Literarischen Gesellschaft „Periodicesko spisanie“ abgedruckt wurde. 1872 erschien sein Gedicht „Borüt“ (Die Fichte), das den jungen Poeten mit einem Schlag berühmt machte, denn die Bulgaren empfanden es damals nicht bloß als ein Naturbild, sondern als ein Gleichnis für das Schicksal ihres Landes. 1872 reiste V. nach Istanbul, arbeitete nacheinander als Lehrer in Mustafa Pasa (Svilengrad) und als Dolmetscher in Pernik (Dimitrovo) bei einem französischen Ingenieur, der den Bau der Eisenbahnlinie Sofia-Kjustendil überwachte. 1874 kehrte er nach Sopot zurück, verfaßte feurige Gedichte und konspirierte gegen die Türken. Als im Jahre 1876 der „Aprilaufstand“ ausbrach, mußte er nach Bukarest fliehen. Dort wurde er Sekretär der konspirativen „Wohltätigkeitsgesellschaft“ (1877). In Bukarest erschienen auch seine ersten Gedichtbände „Prjaporec i gusla“ (Banner und Gusla, 1876) und „Tügite na Bülgarija“ (Die Traurigkeiten Bulgariens, 1877).
Während des russisch-türkischen Krieges von 1877/78 wurde V. Beamter beim Gouverneur Najden Gerov in Svistov und dann in Ruscuk (Ruse). In den Gedichtbänden „Izbavlenie“ (Rettung) und „Rusija“ (Rußland, Bukarest 1878) feierte er den Kampf der Bulgaren gegen die Türken und die Befreiung seines Landes durch die Russen. 1879/80 war er als Richter in Berkovica tätig. Darauf ließ er sich in Plovdiv nieder, der Hauptstadt der nach dem Berliner Kongreß gebildeten autonomen Provinz „Ostrumelien“. Als Deputierter der Gebietsversammlung und Sekretär des „Ständigen Komitees“ nahm er an der Regierung der Provinz teil. Seine Hauptaufgabe sah er indessen in der Schriftstellerei: während seiner Plovdiver Zeit entstanden weitere Gedichte, erste Erzählungen, die Komödie „Michalaki corbadzi“ (1882), das Drama „Ruska“ (1883), Feuilletons, Satiren und Epigramme. V. leitete zudem die „Literarische Gesellschaft“ in Plovdiv, redigierte deren Zeitschrift „Nauka“ (Wissenschaft, 1882-1884) und darauf die kurzlebige rein literarische Monatsschrift „Zora“ (Morgenröte, 1885). Zusammen mit Konstantin Velickov gab er die Zeitung „Narodnij glas“ (Volksstimme, 1880-1885) heraus, die der russophil-konservativen „Narodna Partija/Süedinisti“ (Volkspartei/Unionisten) nahestand und die Politik des Fürsten Alexander von Battenberg anprangerte. Nach den turbulenten Ereignissen der Jahre 1885/86 - der Vereinigung Ostrumeliens mit dem Fürstentum Bulgarien, dem serbisch-bulgarischen Krieg (s. Gedichtband „Slivnica“, 1886), der Entthronung, Wiedereinsetzung und Abdankung Alexanders I. - mußte V. als Russophiler, Kritiker des Fürsten und Stambolovs in Odessa Asyl suchen (1886). Dort schrieb er den ersten Teil seines bedeutendsten Romans „Pod igoto“ (Unter dem Joch), in dem er meisterhaft die Atmosphäre im Bulgarien kurz vor der Befreiung festhielt. Die nationalen Befreiungskämpfe blieben auch später sein bevorzugtes Thema. Ihnen widmete V. seinen populärsten Gedichtzyklus „Epopeja na zabravenite“ (Epopöe der Vergessenen, 1893). 1889 durfte V. nach Bulgarien zurückkehren; in Sofia sammelte er um die literarische Zeitschrift „Dennica“ (Morgenstern, 1890/91) einen erlauchten Kreis von Gesinnungsfreunden: Ivan Sismanov, Penco und Petko Slavejkov, Todor Vlajkov u. a.
Nach dem Sturz Stambolovs (1894) kam die „Narodna Partija“ an die Macht, für die V. als Abgeordneter ins Parlament einzog. Im Juni 1895 wurde er wegen seines großen Ansehens im In- und Ausland zum Mitglied der Kranzdeputation auserwählt, die Bulgarien mit Rußland versöhnen sollte.
Als sein 1896 erschienener Roman „Nova Zemja“ (Neues Land), der die ersten Jahre im befreiten Bulgarien schildert, auf heftige Kritik stieß, unterbrach V. resigniert seine literarische Tätigkeit und willigte in seine Ernennung zum Kultusminister im Kabinett Stoilov ein (26.08.1897). Doch in diesem Amt sah er sich Intrigen, Verdächtigungen und heftigem Parteienstreit (um die unruhige Lehrer- und Studentenschaft, um die Eisenbahn- und Anleihenfrage usw.) ausgesetzt. Den Rücktritt des Kabinetts Stoilov und damit seinen eigenen (18.01.1899) nahm er mit Erleichterung auf. Von nun an widmete er sich ausschließlich seinem wahren Metier - der Dichtkunst. Während der Balkankriege und im Ersten Weltkrieg gab er der Hochstimmung und den Enttäuschungen seines Volkes dichterischen Ausdruck (s. „Pod gürma na pobedite“ [Unter dem Donner des Sieges], 1914; „Pesni za Makedonija“ [Lieder für Makedonien], 1916; „Ne ste zagine“ [Es wird nicht sterben], 1919). Dabei unterliefen ihm auch einige allzu pathetische Stellen, von denen er sich später wieder distanzierte. 1920 wurde sein 50. Dichterjubiläum gebührend gefeiert. 1921 starb V. als allgemein anerkannter bulgarischer „Nationaldichter“, der in Bulgarien fast ein halbes Jh. die literarische Szene beherrscht und auf allen Gebieten der Dichtkunst Grundlegendes geleistet hatte. Für die Bulgaren bedeutet V. noch heute das, was Goethe für die Deutschen darstellt - ein dichterisches Universalgenie. Seine gesammelten Werke (Sübrani sücinenija) erschienen in 20 Bänden 1955/57 in Sofia.

Literatur

Ivan Minčov Vazov. In: Letopis na Bŭlgarska Akademija na Naukite. Bd 6. Sofija 1924, 119-127.
Šišmanov, Ivan: Ivan Vazov. Spomeni i dokumenti. Sofija 1930.
Ivan Vazov. Sborník ot spomeni, materiali i dokumenti. Sofija 1949.
Deržavin, Nikolaj S.: Ivan Vazov. Život i tvorčestvo. Sofija 1950.
Caneva, Milena: Ivan Vazov v Plovdiv. Sofija 1966.
Ivan Vazov v spomenite na sŭvremennicite si. Sofija 1966.
Vŭlčev, Veličko: Ivan Vazov. Žiznen i tvorčeski pŭt. Sofija 1968.
Arnaudov, Michail: Kakvo e za nas Ivan Vazov. Plovdiv 1970.

Verfasser

Hans-Joachim Hoppe (GND: 143931040)


GND: 118804057

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Empfohlene Zitierweise: Hans-Joachim Hoppe, Vazov, Ivan Minčov, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 4. Hgg. Mathias Bernath / Karl Nehring. München 1981, S. 394-396 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1835, abgerufen am: (Abrufdatum)

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