Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

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Villehardouin

Villehardouin, französisches Adelsgeschlecht aus der Champagne - seine Stammburg lag beim heutigen Dorf Villehardouin, Département Aube, Kanton Piney -, als dessen erster Namensträger Villain von V. († zwischen 1145 und 1170) historisch faßbar ist. Seine Nachkommen spielten eine bedeutende Rolle in Griechenland seit dem 4. Kreuzzug.

Leben

Gottfried von V., Marschall der Champagne seit 1185, und von Romania seit Ende 1204, Historiker, * vor 1152, † zwischen Dezember 1212 und Juni 1218.
Gottfried von V. war eines von acht Kindern des obengenannten Villain und seiner Frau Dameron. Seit 1172 ist er erwähnt als Vasall des Grafen der Champagne, Thibaud, in dessen Gefolge er sich 1199 auch dem 4. Kreuzzug anschloß. In seinen offiziellen Funktionen nahm er 1203 und 1204 an Verhandlungen mit den byzantinischen Kaisern Isaak II. und Alexios IV. teil und vermittelte im Streit zwischen Kaiser Balduin I. und Bonifaz von Montferrat (1204); militärisch bewährte er sich besonders nach der Niederlage der Lateiner bei Adrianopel 1205. Im Sommer 1207 erhielt er von Bonifaz Mosynopolis zu Lehen. Die wichtigste Leistung Gottfrieds von V. ist seine 1207/8 verfaßte und mit dem Jahr 1198 einsetzende „Histoire de la conquéte de Constantinople“, die nicht nur die wertvollste und zuverlässigste Geschichte des 4. Kreuzzugs und des entstehenden lateinischen Kaiserreiches ist, sondern auch der erste große Bericht in (alt)französischer Prosa. Sie ist bis heute ins Lateinische, Italienische, Englische, Deutsche und zuletzt auch ins Bulgarische (von V. A. Nikolaev: Chronikata na Žofroa d’o Vilarduen. Zavladjavaneto na Carigrad. Sofia 1947) übersetzt.
Gottfried I., Fürst von Achaia 1209/10-1228/30, * um 1171, † 1228/30, Sohn des Jean von V. (eines Bruders des Historikers Gottfried von V.) und seiner Frau Célinie.
Gottfried I., der 1199/1200 das Kreuz genommen hatte, nutzte eine Schiffshavarie, durch die er auf der Reise nach Syrien im Herbst 1204 an die Südwestküste der Peloponnes verschlagen wurde, zur Eroberung des Landes aus. Anfangs wurde er hierzu ermuntert von einem griechischen Archont, mit dessen Hilfe er Modon und die umliegenden Gebiete unterwarf. Nach dem baldigen Tod des Griechen rebellierte dessen Sohn Michael (= Michael I. Dukas?) mit seinen Anhängern gegen den Franken. Gottfried I. begab sich nach Nauplion, das gerade von Bonifaz von Montferrat belagert wurde, und gewann dort dessen Gefolgsmann Wilhelm von Champlitte zum Bundesgenossen. Gemeinsam besiegten sie Michael und eroberten Koron und Kalamata (als dessen Bischof Gottfrieds I. Neffe Eudes von V. vor 1209 bezeugt ist) mit Messenien. Danach wandten sie sich vermutlich mit Unterstützung der Flotte des genuesischen Grafen von Malta, Enrico Pescatore, nach Patras (Herbst 1205) und unterwarfen von hier aus den Nordwesten der Peloponnes. Nach der Rückkehr Wilhelms von Champlitte, des ersten Fürsten „totius Achaie provincie“ und dem baldigen Tod dessen Bruders Hugues wurde Gottfried I. 1209 offizieller Herr der allerdings noch nicht ganz unterworfenen Peloponnes: Auf dem Parlament von Ravennika (Juni 1209) wurde er Seneschall und ligischer Vasall Kaiser Heinrichs und für die Gebiete Modon und   Koron durch den Vertrag von Sapientsa Vasall des Dogen, da Venedig, dem 1204 einst die ganze Peloponnes zugesprochen war, 1206/07 Modon und Koron wieder in seine Gewalt gebracht hatte. Seit 1210 ist für ihn auch der Titel eines Fürsten von Achaia belegt. In die gleiche Zeit datiert die Einnahme des bis dahin noch griechischen Korinth, das seiner Herrschaft zugeschlagen wurde, und die Aufteilung der Region Theben zwischen ihm und seinem Verbündeten Otto von la Roche, der 1212 auch die Argolis und Nauplion von ihm zu Lehen erhielt. Außerhalb seiner Herrschaft blieb vorläufig der Südosten der Peloponnes. Seit dem 4. September 1223 genoß Gottfrieds I. Fürstentum päpstliche Protektion, nachdem längere Konflikte mit der Kirche wegen einiger Übergriffe des Fürsten auf Kirchengut (z. B. zur Finanzierung des Burgenbaues von Clermont/Chlemutsi in Elis) beigelegt waren.
Das von Gottfried I. mitbegründete Fürstentum entwickelte sich zum stabilsten und prosperierendsten Teil des Lateinerreiches, nicht zuletzt deswegen, weil in ihm bis zu einem gewissen Grad auch die griechischen Archonten in die fränkische Feudalaristokratie integriert wurden. - G. wurde in der Kirche des von ihm 1213 gegründeten Hospitals des Hl. Jakob in Andravida, der in Elis gelegenen Hauptresidenz des Fürsten, beerdigt.
Gottfried II., Fürst von Achaia vor 1231-1246, * ca. 1195, † ca. Mai 1246, Sohn Gottfrieds I. und seiner Frau Elisabeth (von Chappe?).
Gottfried II. kam mit seiner Mutter vor 1210 aus Frankreich in die Peloponnes, also zu einer Zeit, als die Position seines Vaters als Fürst von Achaia gesichert war. 1217 wurde er mit Agnes, Tochter des lateinischen Kaisers Peter von Courtenay, verheiratet, so daß er später der Schwager der lateinischen Kaiser Robert und Balduin II. (von Courtenay) war. Unter ihm, dessen persönliche Lehen Messenien mit Kalamata und Arkadia umfaßten, nahm die Geschichte der Morea einen ruhigen Verlauf. So war er mehrfach in der Lage, das schwache und bedrohte Kaisertum von Konstantinopel massiv zu unterstützen: Beispielsweise erhielt der Regent Johann von Brienne (1231-1237) jährlich 22000 Hyperpyra für seine Truppen; 1236 sprengte er, mit Venedig verbündet, an der Spitze einer eigenen Flotte von 120 Schiffen den griechischen Blockadering um Konstantinopel; und als Balduin II. 1243 fälschlich totgesagt wurde, erschien er wiederum mit einer Flotte vor Konstantinopel, um die Regentschaft für den noch kindlichen Philipp von Courtenay zu sichern. Die Macht Gottfrieds II. zeigt sich schließlich darin, daß Graf Matteo Orsini von Kephalonia seit 1236 und zeitweilig auch Manuel Dukas von Thessaloniki sich zu seinen Vasallen erklärten und Kaiser Balduin II. ihm ca. 1243 wegen seiner Verdienste die Lehnshoheit über die Dreiherren von Euböa verlieh. Gottfried II. wurde bei seinem Vater in St. Jakob zu Andravida begraben.
Wilhelm II., Fürst von Achaia 1246-1278, * Kalamata um 1211, † ebd. 1.05.1278, Bruder Gottfrieds II.
Zu Beginn seiner Herrschaft gelang Wilhelm II. mit seinen Truppen die Eroberung des bisher noch nicht „fränkischen“ Lakoniens, die mit der Einnahme Monemvasias Ende 1248 beendet war. Der weithin von Slawenstämmen bewohnte neue Besitz wurde durch die Festungsgründungen Astros, Groß-Maina, Beaufort (Leutron) und vor allem Mistra(s), die spätere Paläologenresidenz, gesichert. Von Mai 1249 bis Mai 1250 beteiligte sich Wilhelm II. mit einer Flotte am ersten (6.) Kreuzzug Ludwigs IX. des Heiligen nach Ägypten.   Danach wurde die weitgehend ungestörte Entwicklung des Fürstentums erstmalig durch einen Krieg gestört: Wilhelm II. wurde in ihn wegen seiner Lehnsoberherrschaft über Euböa hineingezogen, nachdem seine zweite Frau, Carintana dalle Carceri, Mitbesitzerin einer der drei Baronien Euböas, 1255 gestorben war. Der Krieg, in dem Venedig und die mit ihm verbündeten Dreiherren (Terzieri) Euböas seine Gegner waren, wurde 1258 von ihm bei Korinth und Megara siegreich entschieden, aber erst 1262 offiziell mit der Bestätigung seiner Suveränität über Euböa beendet. Ungünstiger ging dagegen für ihn der Krieg gegen die Griechen von Nikäa (Michael VIII. Palaiologos) aus, an dem er sich als Verbündeter und Schwiegersohn Michaels II. von Epiros - dessen Tochter Anna (umbenannt in Agnes) hatte er 1258 (?) in Patras geheiratet -- zusammen mit König Manfred von Sizilien beteiligte. Das Unternehmen mündete in die verlustreiche Schlacht bei Pelagonia (Monastir) 1259, bei der auch Wilhelm II. in nikänische Gefangenschaft geriet.
Nach der Rückeroberung Konstantinopels durch die Nikäner 1261 einigte sich Wilhelm II. mit Michael VIII. auf die Herausgabe der Festungen Monemvasia, Mistra und Groß-Maina sowie Geraki (?) und des Bezirks von Kinsterna (westlich des Taygetos). Überdies wurde er Vasall des Kaisers, Pate seines Sohnes Konstantin (?) und erhielt den Titel eines Großdomestikos. Schon bald nach seiner Rückkehr in die Morea brachen 1263 wieder bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Byzantinern und Franken aus, wobei schon damals auch türkische Hilfstruppen wechselseitig beiden Seiten dienten. Die Kämpfe veranlaßten ihn, im Winter 1266/67 nach Italien zu reisen, um von Karl von Anjou, dem neuen König von Sizilien-Neapel, Unterstützung zu erbitten. Am 24. Mai 1267 schloß er daher mit Karl den folgenreichen Vertrag von Viterbo (der drei Tage später ebenda durch den Vertrag Balduins II. mit Karl ergänzt wurde): Für das Hilfsversprechen Karls wurde Wilhelm II. sein Vasall, seine Tochter, die Erbprinzessin Isahella, sollte einen Sohn Karls heiraten, und bei seinem Tod sollte Achaia an den Mann Isabellas fallen oder, falls dieser vor ihm sterben sollte, an Karl oder seine Erben. (Isabella heiratete denn auch schon am 28.05.1271 in Trani Philipp von Anjou). Statt nun wirksame Hilfe von Karl zu erhalten, mußte Wilhelm II. noch Kräfte für Karl nach Italien abzweigen, wo er am 23. August 1268 die Truppen Karls in der Schlacht von Tagliacozzo gegen Konradin befehligte. Erst seit 1271 operierten Truppen Karls in Griechenland, deren Generalkapitän seit 1274 Wilhelm II. selbst war. Im wesentlichen konnte er mit der materiellen Unterstützung Karls den Umfang seines Fürstentums gegen die griechischen Angriffe wahren, doch gewannen die Byzantiner Lakonien und ca. 1275/76 die Baronie von Kalavryta.
Mit Wilhelms II. Tod fiel das Fürstentum (da Isabellas Mann Philipp schon 1277 gestorben war) direkt an Karl von Anjou, doch verband seine Witwe Agnes, ihre Töchter Isabella (f 1311) und Margarete (J 1315) sowie deren Familien der ererbte Besitz noch längere Zeit mit der Geschichte des Landes. Wilhelm II. wurde neben seinen Vorgängern in St. Jakob zu Andravida beerdigt, wo man auch den Grabstein der am 4. Januar 1286 gestorbenen Agnes gefunden hat, der die einzige bislang bekannte französische Inschrift der Peloponnes aus dem 13. Jh. trägt. Für die Nachwelt verkörperte Wilhelm II. den geradezu typischen, ja legendären Herrscher der Frankokratie, und es dürfte kaum reiner Zufall sein, daß sich, wohl durch die Vermittlung der Weltchronik des Dorotheos von Monemvasia (16. Jh.), hinter der Faust-Burg der Helenaepisode in Goethes Faust Wilhelms Burg von Mistra und hinter Helena seine Agnes verbirgt.
Daneben verdient noch ein geistliches Mitglied der Familie V. kurz Erwähnung: Theodosios, orthodoxer Patriarch von Antiocheia (als Theodosios IV.) 1277/78-1283/84.
Als junger Mann scheint Theodosios, der wegen seiner Abstammung aus dem moreotischen Fürstenhaus „Prinkips“ genannt wurde, in einem Kloster am Schwarzen Berg gelebt zu haben, bis ihn Kaiser Michael VIII. Palaiologos 1261 zum Hegumenos des Pantokratorklosters in Konstantinopel berief. Als solcher unternahm er im Auftrag des Kaisers 1265 eine Gesandtschaftsreise zum Khan der Mongolen Hulagu, mit dem Michael seine uneheliche Tochter Maria in politischer Absicht zu verheiraten plante. (Wegen des zuvor eingetretenen Todes Hulagus heiratete Maria dann dessen Sohn Abaqa). Danach zog sich Theodosios ins FIodegon-Kloster zurück. 1275 kandidierte er bei der Wahl des byzantinischen Patriarchen - gewählt wurde damals Johannes Bekkos - und 1277/78 nominierte ihn der Kaiser zum Patriarchen von Antiocheia. Theodosios scheint weiter im FIodegon- Kloster residiert zu haben, bis er 1282 doch noch nach Antiocheia ging, wo er dann ca. 1283/84 abdankte.

Literatur

Longnon, Jean: Recherches historiques sur la vie de Geoffroy de Villehardouin. Paris 1939.
Primov, Borislav: Žofroa d’o Vilarduen, četvŭrtijat krŭstonosen pochod i Bŭlgarija. In: God. Sof. Univ., ist.-filol. fak. 45/2 (1948/49) 1-144.
Longnon, Jean: L’empire latin de Constantinople et la principauté de Morée, Paris 1949.
Faral, Edmond (Hrsg, und Übers.): Villehardouin. La conquête de Constantinople. T. 1 (1199-1203), T. 2 (1203-1207). Paris 1961(2).
Bon, Antoine: La Morée franque. Recherches historiques, topographiques et archéologiques sur la principauté d’Achaïe (1205-1430). T. 1 Texte, T. 2 Album. Paris 1969 (mit Bibliographie).
Loenertz, Raymond J.: Aux origines du despotat d’Epire et de la principauté d’Achaïe. In: Byzantion 43 (1973) 360-394.
Gautier, Paul: Le typikon du Christ Sauveur Pantocrator. In: Rev. Ét. Byz. 32 (1973) 1-145.
Jacoby, David: The Encounter of Two Societies: Western Conquerors and Byzantines in the Peloponnesus after the Fourth Crusade. In: Amer. Hist. Rev. 78 (1973) 873-906.
Setton, Kenneth M.: The Papacy and the Levant (1204- 1571). Vol. I. The Thirteenth and Fourteenth Centuries. Philadelphia 1976.
Longnon, Jean: Les compagnons de Villehardouin. Recherches sur les croisés de la quatrième croisade. Paris, Genf 1978.

Verfasser

Günter Prinzing (GND: 1062916441)


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Empfohlene Zitierweise: Günter Prinzing, Villehardouin, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 4. Hgg. Mathias Bernath / Karl Nehring. München 1981, S. 413-416 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1845, abgerufen am: (Abrufdatum)

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