Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Czernin von und zu Chudenitz, Ottokar Theobald Otto Maria Graf
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Czernin von und zu Chudenitz, Ottokar Theobald Otto Maria Graf

Czernin von und zu Chudenitz, Ottokar Theobald Otto Maria Graf, österreichisch-ungarischer Außenminister, *Dymokury (Böhmen) 26.09.1872, † Wien 4.04.1932.

Leben

Aus einem alten böhmischen Adelsgeschlecht der österreichisch-ungarischen Hocharistokratie stammend, trat Cz. nach dem Studium der Rechte an der Deutschen Universität zu Prag an der österreich-ungarischen Botschaft in Paris 1895 in den diplomatischen Dienst ein; danach wurde er Geschäftsträger im Haag. Er gab seine diplomatische Laufbahn im Jahre 1903 auf; vom gleichen Jahre an war er als Mitglied der „Verfassungspartei“ Abgeordneter im böhmischen Landtag, wo er sich als Konservativer profilierte, der gegenüber den Prinzipien des demokratischen Staates jene der monarchisch bestimmten Staatsautorität ins Treffen führte, was sich besonders in seiner Haltung gegen die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts zeigte. Seine politische Haltung brachte ihn bald dem Thronfolger Franz Ferdinand nahe, als dessen enger Berater er wohl wenigstens zeitweise großen Einfluß besaß. 1912 wurde er zum Herrenhausmitglied auf Lebenszeit ernannt, Ende 1913 kehrte er auf Initiative Franz Ferdinands in den diplomatischen Dienst zurück und wurde überraschend zum Gesandten in Bukarest ernannt, wo er bis zum Kriegseintritt Rumäniens im August 1916 verblieb.
Am 22. Dezember 1916 wurde Cz. Minister des Äußeren, was auch den Vorsitz im Ministerrat mit sich brachte, wodurch Cz. fraglos auch in innenpolitischer Hinsicht zu einem der mächtigsten Männer der Monarchie wurde. Die zu dieser Zeit bereits äußerst triste Lage Österreich-Ungarns und dessen große Abhängigkeit von Deutschland ließen ihm allerdings nur einen relativ geringen Spielraum in seinem Amt. Seine anfängliche Opposition gegen den unbeschränkten U-Bootkrieg wurde von den deutschen Militärs ignoriert; Arthur Zimmermanns und Henning von Holtzendorffs Reise nach Wien am 20. Januar 1917 zur Einholung der formellen Zustimmung der Monarchie war eine bloße Formsache. „Wenn ein Starker und ein Schwacher gleichzeitig Krieg führen, [kann] der Schwache nicht einseitig aufhören ..., es sei denn, er mache die völlige Schwenkung und trete zu dem früheren Verbündeten in den Kriegszustand“ begründete Cz. später seine letztliche, wenn auch offenbar nicht völlig freiwillige Zustimmung zum deutschen Schritt. Die Beziehungen Cz.s zu Kaiser Karl waren inzwischen immer distanzierter geworden, dieser stand jenem zeitweilig bemerkenswert mißtrauisch gegenüber, und auch Cz. hatte für den Kaiser manchmal nur eher geringschätzige Worte übrig. Cz.s Sturz im Zusammenhang mit der Sixtusaffäre, bald nach seiner maßgeblichen Teilnahme an den Verhandlungen von Brest-Litowsk, war bereits eine innenpolitische Erschütterung seiner Position vorausgegangen, indem insbesondere die Polen die Zugeständnisse Wiens gegenüber der Ukraine ablehnten. Es ist noch immer nicht mit letzter Sicherheit geklärt, ob er dann bei seiner bezüglich Clemenceau begangenen und wohl beabsichtigten Indiskretion überhaupt die Sixtuskontakte an sich gemeint, oder allgemein bzw. auf andere Kontakte angespielt hat. Durch Clemenceaus ebenfalls unkluge Antwort war der Skandal perfekt, der auch hinsichtlich der Donaumonarchie das Verdikt implizierte, dieselbe nun nicht mehr zu schonen. Kaiser Karl wäre wohl weniger kompromittiert worden, wenn Cz. ein nachgiebigeres Verhalten an den Tag gelegt hätte, dieser zog jedoch das Risiko vor, daß dem Kaiser Bündnisverrat vorgeworfen werden konnte. Am 16. April 1918 wurde Cz. von Burián abgelöst, der schon vor ihm Minister des Äußeren gewesen war.
Nach dem Ende der Habsburgermonarchie lebte Cz. im Salzkammergut und war vom 10. November 1920 bis 20. November 1923 Abgeordneter der „Bürgerlichen Arbeitspartei“ im Nationalrat.
Cz.s Außenpolitik von 1916 bis 1918 zeigte im ganzen wenig Konsequenz, was auch auf seine Friedenspolitik zutrifft und nicht ausschließlich an der schwierigen Lage Österreich-Ungarns lag. Cz. war ein zwar begabter und ideenreicher, jedoch aufgrund äußersten Selbstbewußtseins zu plötzlichen Augenblicksentscheidungen tendierender „Dilettant“, dessen Schritte in einer Zeit nationaler und demokratischer Emanzipationsbewegungen angesichts seiner tief verwurzelten antidemokratisch-autoritären Grundhaltung häufig nur einen beschränkten Bezug zu den gegebenen Realitäten aufwiesen. Die praktische Politik in einem Zeitalter der Massenbewegungen mußte dem Mann, der, wie auch seine spätere starke Faszination durch den italienischen Faschismus beweist, elitären Ideen vom Primat des Adels nachhing, in vielen Aspekten fremd bleiben.

Literatur

Czernin, Ottokar Graf: Österreichs Wahlrecht und Parlament. Prag. 1905.
Ders.: Politische Betrachtungen. Prag 1908.
Ders.: Im Weltkriege. Berlin, Wien 1919.
Meckling, Ingeborg: Die Außenpolitik des Grafen Czernin. Wien 1969.
Kann, Robert A.: Die Sixtusaffäre und die geheimen Friedensverhandlungen Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg. Wien 1966.
Singer, Ladislaus: Ottokar Graf Czernin, Staatsmann einer Zeitenwende. Wien 1965.  

Verfasser

Georg Erich Schmid (GND: 13221637X)

GND: 118677659

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118677659.html


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Empfohlene Zitierweise: Georg Erich Schmid, Czernin von und zu Chudenitz, Ottokar Theobald Otto Maria Graf, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 357-358 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=701, abgerufen am: (Abrufdatum)

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