Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Nemanja, Stefan
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Nemanja, Stefan

Nemanja, Stefan, serbischer Großzupan 1166-1196, Begründer der Nemanjiden-dynastie, Heiliger der serbisch-orthodoxen Kirche, * Ribnica (an der Stelle des heutigen Titograd) 1112/13 (?), † Hilandar-Kloster (Athos) 13.11.1199, jüngster Sohn des Župans Zavida.

Leben

Unter den Viten des Heiligen haben nur die von seinen Söhnen geschriebenen historischen Quellenwert. Der zweite Sohn N.s, Stefan (Prvovenčani), verfaßte um 1216 eine ausführliche Vita mit zahlreichen Wunderberichten, während der jüngste Sohn, Sava, schon um 1208 eine biographische Skizze, die als Einleitung für das Typikon des Klosters Studenica diente, angefertigt hatte. Beide Texte sind bestrebt, den Vater zu einem Heiligen zu verklären und das Ansehen der Familie zu erhöhen, so daß ein Lebenslauf N.s nur mit Hilfe kontrollierender Fakten rekonstruiert werden kann. N. erhielt nach dem Tode seines Vaters bei der Teilung des Erbes den Ostteil Serbiens um die Flüsse Toplica und Ibar. Aus welchem Grunde er sich mit seinen Brüdern zerstritt, ist nicht bekannt, jedenfalls setzten ihn diese gefangen. Es gelang N., sich zu befreien und im Gegenschlag seine Brüder zur Flucht nach Byzanz zu zwingen. Die byzantinischen Quellen verlauten, N. habe sich gegen die gemeinsame Herrschaft gewandt und gewaltsam die Alleinherrschaft an sich gerissen. Von byzantinischen Truppen unterstützt, kehrten die Brüder nach Serbien zurück, wurden jedoch in der Schlacht von Pantino 1169 geschlagen. Da zudem der älteste Bruder Tihomir in der Schlacht getötet wurde, erkannten Miroslav und Sracimir die Oberherrschaft N.s an und erhielten dafür das Gebiet Hum bzw. Nordserbien (westliches Moravagebiet) als Teilherrschaften. Außenpolitisch setzte N. seine Versuche, sich von der byzantinischen Hegemonie zu befreien, fort und schloß sich der antibyzantinischen Koalition an, sah sich aber 1172, nachdem Ungarn plötzlich auf die Seite von Byzanz gewechselt war, vom byzantinischen Hauptheer angegriffen. N. unterwarf sich, wurde als Besiegter im Triumphzug Kaiser Manuels I. in Konstantinopel mitgeführt und mußte Vasallentreue schwören, die er dem Kaiser auch bis zu dessen Tod gehalten hat. In den folgenden Jahren widmete sich N. inneren Problemen des Landes, baute Kirchen und Klöster und tilgte erbarmungslos die Sekte der Bogomilen in seinem Reiche aus. Nach dem Tode Manuels I. 1180 lud die innere Schwäche des byzantinischen Reiches zu Eroberungen geradezu ein. Gemeinsam mit den Truppen Bélas III. von Ungarn verwüsteten die Serben 1183 die Städte des Moravatals mit Niš und sogar Sofia; danach wandte sich N. nach Dalmatien und eroberte zahlreiche Städte, unter ihnen Skutari und Kotor. 1184 versuchte er, auch Dubrovnik einzunehmen, mußte aber schließlich 1186 Frieden schließen, der den Kaufleuten von Dubrovnik zugleich Handelsfreiheit in Serbien garantierte. Als N. von den Vorbereitungen Friedrichs I. Barbarossa zum 3. Kreuzzug erfuhr, sandte er nach Nürnberg und ließ (Weihnachten 1188) seine Unterstützung und Gastfreundschaft während des Durchzuges anbieten. Am 27. Juli 1189 begrüßten N. und sein Bruder Sracimir den Kaiser in Niš und brachten dem Heer große Mengen an Verpflegung, das Bündnisangebot gegen Byzanz nahm Friedrich jedoch nicht an. Auch Verhandlungen im Winter 1189/1190 führten zu keinem Bündnis, weil die Kreuzfahrer am 11. Februar 1190 in Adrianopel einen Vertrag mit Isaak II. von Byzanz abschlossen. N. hatte die Zeit der Spannungen zwischen Byzanz und den Kreuzrittern zu umfangreichen Eroberungen an den Südgrenzen Serbiens genutzt und Städte wie Velbužd (Kjustendil), Skopje und Prizren in seine Gewalt gebracht. Der Gegenschlag des byzantinischen Kaisers zwang N., im Friedensschluß von 1191 einen großen Teil seiner Eroberungen wieder herauszugeben. Jedoch waren die positiven Ergebnisse dieses Friedens für Serbien von großer Bedeutung, denn N. konnte nicht nur beträditliche Gebietsgewinne völkerrechtlich sichern, sondern auch durch die Heirat zwischen seinem Sohn Stefan und einer Nichte Isaaks, Eudokia, neues Ansehen gewinnen, das durch den hohen Titel eines Sebastokrators für Stefan zusätzlich dokumentiert wurde. Nachdem der Schwiegervater Stefans sich 1195 zum byzantinischen Hauptkaiser gemacht hatte, dankte der schon hochbetagte N. am 25. März 1196 auf einem Landtag feierlich ab und erklärte unter Umgehung seines ältesten Sohnes Vukan (Vlkan) seinen zweiten Sohn Stefan zum Nachfolger. N. ließ sich am selben Tage zum Mönch einkleiden, nahm den Namen Simeon an und begab sich in das 1180 von ihm gegründete Kloster Studenica. Von dort aus zog er im Herbst 1197 auf den Athos, wo er zunächst alle Klöster besuchte und dann gemeinsam mit seinem Sohn Sava das verlassene griechische Kloster Chelantarion (Hilandar) neu aufbaute. Dort ist er am 13. Februar 1199 (oder 1200) als Mönch des großen Schimas gestorben. Acht Jahre später wurden seine Gebeine in das Kloster Studenica gebracht. Die Bedeutung N.s liegt sowohl in seiner erfolgreichen und das serbische mittelalterliche Reich formenden Herrschaft, als auch in seiner historischen Wirkung als Kultperson der serbischen Kirche. Der mächtigen Persönlichkeit N.s gelang es, sich gegen seine drei älteren Brüder durchzusetzen und die verschiedenen Landesteile, die teils der katholischen, teils der orthodoxen Kirche, teils der bogomilischen Bewegung angehörten, mit den neuerworbenen Gebieten zu einem geschlossenen Reich zusammenzufügen. N. erkannte die Unerläßlichkeit einer staatstragenden Kirchenorganisation und gründete zahlreiche Klöster, zu denen wohl von Anfang an Schulen und Skriptorien gehörten. Auf dem Berg Athos begann er, einen kulturellen Stützpunkt im byzantinischen Reich zu errichten, von dem aus die Güter griechischer Kultur nach Serbien gelangen sollten. Als einer der Hauptheiligen der serbischen Kirche, die ihn „Simeon den Myronspender“ (Simeon mirotočivi) nennt, war sein Kult eng mit der Abwehr sowohl islamischer als auch katholischer Versuche, im Serbentum Fuß zu fassen, verbunden. Gleichwohl ist sein Kult früh von dem seines Sohnes Sava in den Schatten gestellt worden, wahrscheinlich weil N. im Mönchskleid, nicht im Herrscherornat gemalt wird. Im Bewußtsein der Serben ist N. die bedeutendste Gestalt ihres Mittelalters, weil sowohl das Reich, als auch das eigenständige kirchliche Leben und die serbische Kultur mit ihm zu beginnen scheinen. Die Entwicklung vor N. ist in Vergessenheit geraten, ein Prozeß, der sowohl schon von den Söhnen N.s im Familieninteresse gefördert worden ist. In der zweihundertjährigen Herrschaft der Nemanjiden, wie auch in den Jahrhunderten der Osmanenherrschaft, wurde von Seiten der Herrschenden und der Kirche alles getan, um den Beginn der serbischen Geschichte mit der Gestalt N.s zu verbinden.

Literatur

Ruzitschitsch, Nikanor: Gross-Zupan Stephan Nemanja und seine Bedeutung für den serbischen Staat und die serbische Kirche. Jena 1897.
Stanojević, Stanoje: Nemanja. In: God. Nikole Čupića 75 (1933) 93-132.
Hafner, Stanislaus: Serbisdies Mittelalter. Altserbische Herrscherbiographien. Bd 1: Stefan Nemanja nach den Viten des heiligen Sava und Stefans des Erstgekrönten. Graz, Wien, Köln 1962. = Slavische Geschichtsschreiber. 2.
Ders.: Studien zur altserbischen dynastischen Historiographie. München 1964 (mit Bibliographie).
Matl, Josef: Genealogie und geschichtliche Leistung des serbischen Königshauses der Nemanjiden. In: Ders.: Südslawische Studien. München 1965, 45-57.
Kämpfer, Frank: O nekim problemima starosrpske hagiografije (Osvrt na prva žitija Simeona Nemanje). In: Istorijski glasnik (1969) 2, 29-52.
Ders.: Nationalheilige in der Geschichte der Serben. In: Forschungen zur Geschichte Osteuropas 20 (1973) 7-22.

Verfasser

Frank Kämpfer (GND: 129105678)


GND: 118922459

Weiterführende Informationen: https://prometheus.lmu.de/gnd/118922459

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Empfohlene Zitierweise: Frank Kämpfer, Nemanja, Stefan, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 305-307 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1445, abgerufen am: (Abrufdatum)

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