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Raţiu, Ioan, rumänischer Politiker, Anführer der rumänischen nationalen Reformbewegung in Siebenbürgen, * Thorenburg (Turda) 19.08.1828, † Hermannstadt (Sibiu) 04.12.1902.
Leben
Einer Familientradition folgend studierte R. zunächst ab 1847 Theologie an den griechisch-katholischen Seminaren von Blaj (Balázsfalva) und Pest. Doch wandte er sich nach der Revolution von 1848/49, an der er in einer von Avram Iancu geleiteten rumänischen Legion teilgenommen hatte, einer weltlichen Laufbahn zu. Unterstützt durch Stipendien des unierten rumänischen Kapitels von Blaj konnte er an der Universität zu Pest Jura studieren und hier 1857 zum Dr. jur. promovieren. Danach ließ er sich als Rechtsanwalt in seiner Heimatstadt Thorenburg nieder und wurde von hier aus politisch tätig. R.s Einstieg in die Politik Siebenbürgens erfolgte 1861, als auch dieses Gebiet der Habsburgermonarchie im Sinne des Oktoberdiploms von 1860 und der liberalen Gesamtstaatsverfassung (Patent vom 26.02.1861) eine innere Neugestaltung und Dezentralisierung der Verwaltung nach quasi liberalen Gesichtspunkten erfuhr. R. befürwortete als Sprecher der mehrheitlichen Bevölkerung in Siebenbürgen die Schaffung eines autonomen Fürstentums aus dem Prinzip der Gleichheit für alle seine Nationalitäten. Er war Abgeordneter und Sekretär des Siebenbürgischen Landtages zu Hermannstadt (1863-1864), der die neuen Gesetze verabschiedete, durch welche die rumänische Nation des Fürstentums politisch den Magyaren und den Sachsen gleichgestellt wurde. Nach dem Ausgleich von 1867 war R. einer der heftigsten Gegner des Dualismus als Organisationsprinzip der Monarchie, weil diesem die Autonomie Siebenbürgens und alle von den Rumänen bis dahin erstrittenen politischen und nationalen Rechte zum Opfer fielen. Mit George Bariţiu gehörte er zum radikaleren Flügel der rumänischen Gegner des Dualismus, zu den „Passivisten“, die die neue Ordnung u. a. dadurch boykottierten, daß sie dem Parlament fernblieben. R. war der Initiator der Protestschrift „Pronunciamentul“ (Erklärung), die 1868 in Blaj entstand. Zu R.s Verdiensten um die rumänische Nationalbewegung gehört nicht zuletzt, daß er diese auf moderne Grundlagen stellte und daß er für eine Solidarität mit den anderen Nationalitäten der Donaumonarchie eintrat. Er war einer der Mitbegründer der ersten politischen Partei der Rumänen Siebenbürgens (Reußmarkt/Mercurea 1869) sowie der überregionalen Partei aller Rumänen der österreichisch-ungarischen Monarchie, der „Nationalen Partei“ (Hermannstadt/Sibiu, 1881). R. war von 1892 bis 1902 Vorsitzender dieser Partei, zu einer Zeit, als von ihr besonders nachhaltige politische Anstöße ausgingen. Er zählte auch zu den Verfassern des rumänischen „Memorandums“ vom Jahre 1892. In dieser Denkschrift wird die Situation der drei Millionen Rumänen in Siebenbürgen in übersichtlicher Weise dargestellt, die nationalistische Politik der Regierung im dualistischen Ungarn angeprangert und vor allem vor der europäischen Öffentlichkeit betont, daß die rumänischen Forderungen berechtigt seien. Diese Schrift wurde am 28. Mai 1892 dem Wiener Hof durch eine von R. angeführte, 300 Personen umfassende Delegation unterbreitet. Die ungarischen Behörden machten den „Memorialisten“ im Mai 1894 in Klausenburg den Prozeß. R. wurde zu zwei Jahren Kerker verurteilt, nach 15 Monaten aber bereits begnadigt. Seinen Kampf gegen die Politik der nationalistischen ungarischen Regierungen vom Ende des 19. Jh.s gründete R. auf den Prinzipien von Demokratie und nationaler Gleichberechtigung: er wußte sehr wohl zwischen dem ungarischen Volk und seinen chauvinistischen Anführern zu unterscheiden. Auch befürwortete er eine Allianz von Serben, Kroaten und Slowaken mit den Rumänen, die den österreichisch-ungarischen Dualismus bekämpfen sollte; hierfür regte er die Konferenz der Nationalitäten an, die 1895 in Budapest tagte.
Literatur
Georgescu, Ioan: Dr. Ioan Raţiu (1828-1902). 50 de ani din luptele naţionale ale românilor ardeleni. Sibiu 1928.
Hitchins, Keith u. Liviu Maior: Corespondenţa lui Ioan Raţiu cu George Bariţiu 1861-1892. Cluj 1970.
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