Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Brătianu, Ion C.
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Brătianu, Ion C.

Brătianu, Ion C. [Abkürzung des Vornamens vom Vater], rumänischer Staatsmann, * Florica 14.06.1821, † ebd. 16 V. 1891, Sohn des Kleinbojaren Constantin B.

Leben

B. ließ sich 1841 an der „Ecole Polytechnique“ in Paris immatrikulieren. Er blieb bis 1848 in Paris und nahm aktiven Anteil an der Studentenbewegung gegen Louis Philippes Regierung. Nach seiner Heimkehr setzte er seine revolutionäre Tätigkeit auch in der Walachei fort und übernahm zusammen mit C. A. Rosetti im Rahmen eines Revolutionskomitees die Aufgabe, die Bukarester Bevölkerung gegen das herrschende Regime aufzuwiegeln. Am 23. Juni 1848 begab er sich mit einer Bürgerdelegation zum Fürsten Gheorghe Bibescu und veranlaßte ihn, eine neue Verfassung zu unterzeichnen und eine Revolutionsregierung zu berufen. Nach Bibescus Sturz bekleidete B. das Amt eines Staatssekretärs zunächst in der Regierung des Metropoliten Neofit, dann in der sog. Übergangsregierung vom 1. bis 13. Juli 1848. Nach der Niederwerfung der Revolution flüchtete B. nach Paris, wo er sich am sog. „Opéra-Complot“ gegen Napoleon III. beteiligte (1854). Er wurde verhaftet und saß im Sainte Pélagie-Gefängnis.
B. kehrte 1857 in seine Heimat zurück und nahm sogleich den Kampf für die Vereinigung der Walachei und der Moldau auf. Er wurde wiederholt in das Landesparlament („Divan ad-hoc“, später „Adunarea electivă“) gewählt. 1860 wurde er in der Regierung von Nicolae Golescu Finanzminister und betrieb zusammen mit einigen anderen Politikern die Absetzung und Vertreibung des Fürsten Alexandru C. Cuza. Als Führer der oppositionellen radikal-liberalen Partei war er bestrebt, eine bürgerliche Schicht zu schaffen, bekämpfte den Einfluß der Großbojaren, achtete jedoch die mittleren und Kleinbojaren und förderte entschieden die Handwerker und Kaufleute. B. wollte eine Agrarreform durchführen, beabsichtigte jedoch die Entschädigung der Landbesitzer. Cuza bekämpfte er vor allem deswegen, weil dieser eine Anzahl sozialer Reformen ohne die Hilfe seiner Partei durchführen wollte. Um den Fürsten zu stürzen, schloß B. mit der „Konservativen Partei“ das sog. „monströse Bündnis“ (monstruoasa coaliţie).
Nach Cuzas Abdankung wurde B. von der neuen Regierung beauftragt, Verhandlungen über die Berufung eines ausländischen Fürsten für den rumänischen Thron zu führen. Er empfahl nach Rücksprache mit Napoleon III. den Fürsten Karl von Hohenzollern-Sigmaringen, den Sohn des süddeutschen Fürsten Karl-Anton von Hohenzollern-Sigmaringen, der damals - 1858 - Ministerpräsident von Preußen war. In der ersten von Ion Ghica geführten Regierung unter dem neuen Fürsten erhielt B. die Leitung des Finanzressorts. Dieses Amt behielt er auch in den folgenden Regierungen von Costache Kreţulescu, Ştefan Golescu und Nicolae Golescu, er war aber zugleich auch Innenminister und galt bereits damals als die eigentliche treibende Kraft der rumänischen Politik. Als enger Vertrauter des Fürsten und späteren Königs Karl I. gelang es ihm, wichtige Verwaltungs- und Wirtschaftsreformen durchzuführen. Auf außenpolitischem Gebiet förderte er in den südlichen Nachbargebieten Rumäniens die nationale Agitation gegen die osmanische Herrschaft und intensivierte die Beziehungen seines Landes zu Serbien und Rußland. Im November 1868 mußte B. für längere Zeit die politische Bühne verlassen, weil seine Politik der Eindämmung der jüdischen Einwanderung von Galizien nach der Moldau den Unwillen Frankreichs, Preußens und Österreichs hervorgerufen hatte. Nach der Niederwerfung des vom liberalen Abgeordneten Alexandru Candiano-Popescu angezettelten „republikanischen Aufstandes“ vom 20.-21. August 1870 wurde B. zusammen mit einigen anderen liberalen Oppositionellen für kurze Zeit in Haft genommen.
Nach seiner Versöhnung mit Fürst Karl trat B. 1876 der Regierung von Manolache Costache als Finanzminister bei. Kurze Zeit später, am 5. August 1876, wurde er zum erstenmal mit dem Amt des Ministerpräsidenten betraut, das er mit Ausnahme einer kurzen Unterbrechung bis 1888 innehatte. Sein Versuch, Rumänien aus dem russisch-türkischen Krieg von 1876 herauszuhalten, scheiterte an der Weigerung der westeuropäischen Großmächte, die Neutralität des Landes zu garantieren. Am 16. April 1877 schloß B. einen Vertrag mit Rußland, der den russischen Truppen verbänden das Recht einräumte, rumänisches Hoheitsgebiet zu überqueren. Auf dem Berliner Kongreß (1878) erkämpfte B. zusammen mit Mihail Kogălniceanu die Anerkennung der Unabhängigkeit Rumäniens durch alle Großmächte und dessen Herrschaft über den nördlichen Teil der Dobrudscha. Die Annexion des südlichen Bessarabiens durch das ehemals verbündete Rußland konnte er dabei nicht vermeiden. Während der zwölf Jahre, in denen er als Ministerpräsident die Geschicke seines Landes leitete, machte Rumänien auf vielen Gebieten große Fortschritte. Außenpolitisch arbeitete B. auf eine Annäherung Rumäniens an die Zentralmächte hin; er schloß 1883 einen Bündnisvertrag mit Österreich-Ungarn ab. Die letzten Regierungsjahre B.s waren von politischen Rückschlägen und persönlichen Gegensätzen gekennzeichnet. Die alte Freundschaft, die ihn mit C. A. Rosetti und Kogălniceanu verbunden hatte, ging in die Brüche, und er entzweite sich sogar mit seinem Bruder Dimitrie. Erhebungen in Bukarest, Galatz und Jassy, die blutig verliefen, zwangen ihn am 25. März 1888 zum Rücktritt. Nach einem bewegten politischen Leben, in dem er wesentlich zur Erlangung der Unabhängigkeit und Modernisierung seines Landes beigetragen hatte, verbrachte B. die letzten Jahre bis zu seinem Tode in der Einsamkeit seines Landgutes Florica.

Literatur

Herjeu, N. N.: Istoria partidului naţional liberal dela origine până în zilele noastre. Bucureşti 1915.
Iorga, Nicolae: Activitatea politică şi literară a lui Ion C. Brătianu. Bucureşti 1922.
Cantacuzino, Sabina: Din viaţa familiei I. C. Brătianu. Bucureşti 1933.

Verfasser

George Ciorănescu (GND: 130641340)


GND: 119237504

Weiterführende Informationen: https://prometheus.lmu.de/gnd/119237504

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Empfohlene Zitierweise: George Ciorănescu, Brătianu, Ion C., in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 253-254 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=614, abgerufen am: (Abrufdatum)

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