Dimitrov, Georgi Michajlov, kommunistischer Parteiführer und bulgarischer Politiker, * Kovačevci (Bezirk Pernik) 18.06.1882, † Moskau 2.07.1949.
Leben
D.s Mutter gehörte dem in Bulgarien seltenen Protestantismus an, sein Vater war ein durch die Industrialisierung verarmter Bauer. D. sollte auf mütterlichen Wunsch hin Geistlicher werden und trat 1892 in die „Amerikanische Missionarsschule“ ein, von der er jedoch nach zwei Jahren verwiesen wurde. Er begann daraufhin eine Lehre als Drucker. In dieser Funktion kam er in die Druckerei des Organs der Liberalen, „Narodni prava“, wo er seine Fähigkeit, als einziger die Schrift des Parteichefs Radoslavov entziffern zu können, zu gelegentlicher Zensur von dessen Artikeln nutzte. D. avancierte zum Sekretär der Druckerorganisation. 1902 trat er der Sozialdemokratischen Partei bei; bei der 1903 folgenden Spaltung schlug er sich auf die Seite der sog. „Engsozialisten“ unter Blagoev und trug 1904 die Spaltung auch in die Gewerkschaften. 1909 wurde er Sekretär von deren „engem“ Flügel, was er ohne Unterbrechung bis zum September 1923 blieb. Ebenfalls 1909 wurde er in das Zentralkomitee der „Engsozialisten“ gewählt. 1913 wurde D. als einer von 16 „engen“ Abgeordneten ins Parlament gewählt - der erste Arbeiter überhaupt, der auf dem Balkan Parlamentarier wurde. Trotz folgender Wahlniederlagen seiner Partei behielt er den Sitz bis 1923, zeitweilig gehörte er auch dem Sofioter Stadtparlament an.
Unter den bulgarischen Kommunisten bildet D. insofern eine Ausnahme, als er nicht in Rußland „bekehrt“ und geformt wurde, sowie auch dadurch, daß seine Hauptenergie nicht der Partei-, sondern der Gewerkschaftsarbeit galt: unermüdlich bereiste er das Land, um die „engen“ Gewerkschaftsorganisationen zu kontrollieren und jedweden Streik unter deren Führung zu bringen. Bis zum Ersten Weltkrieg war er als bekannter Organisator von einigen hundert Streiks tätig, während er auf den Sozialistischen Balkankonferenzen (1910 Belgrad, 1915 Bukarest) kaum in Erscheinung trat. Im Krieg machte D. durch einige spektakuläre Aktionen auf sich aufmerksam: er artikulierte weit verbreitete antideutsche Ressentiments, wiegelte die Tabakarbeiter von Drama gegen den Krieg auf. Nachdem er einen aufsässigen Soldaten gegen dessen Offizier unterstützt hatte, wurde er seiner Immunität als Abgeordneter entbunden und 1918 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Gerade dieser Vorfall verschaffte ihm jedoch große Popularität. Obwohl zu drei Jahren verurteilt, war er im Dezember 1918 wieder frei.
1919/20 gehörte D. zusammen mit Kolarov zur Leitung des 55tägigen Transportstreiks. 1919 konstituierten sich die „Engsozialisten“ zur Bulgarischen Kommunistischen Partei (BKP) und als einer von ihren Vertretern nahm D. am II. (1920) und III. (1921) Kominternkongreß teil. Gleichzeitig half er, die Rote Gewerkschaftsinternationale (RGI) zu organisieren und wurde in deren Zentralrat gewählt. 1923 gehörte D. zu den Verantwortlichen für den größten Fehler der BKP in ihrer Geschichte: er verpflichtete die Partei auf Neutralität und Passivität, als am 9. Juni 1923 die Agrarregierung Stambolijski durch einen Staatsstreich von rechts gestürzt wurde. Zwar lag diese Neutralität im Sinne des Parteiseniors Blagoev, doch brachte Kolarov aus Moskau die Ordre mit, unverzüglich einen bewaffneten Aufstand vorzubereiten. Der Aufstand sollte Ende 1923/Anfang 1924 beginnen, wurde von D. und Kolarov jedoch schon für den 22./23. September 1923 festgesetzt, da die Polizei der neuen Regierung Cankov bereits über alle Pläne der Kommunisten informiert war. Die Kämpfe begannen auch wirklich, waren indessen nach wenigen Tagen bereits niedergeschlagen, und die Aufständischen flüchteten nach Jugoslawien und Rumänien. Etwa 5000 im Lande Gebliebene fielen dem folgenden antikommunistischen Terror zum Opfer. Ein Fehlschlag also, der aber die BKP „rehabilitierte“. So gaben sich D. und Kolarov in ihrem offenen Brief „An die Arbeiter und Bauern Bulgariens“ vom Oktober 1923 optimistisch: „Heute sind wir besiegt. Der Kampf ist aber nicht beendet und der endgültige Sieg ist näher, als unsere Feinde denken“.
Nach dem fehlgeschlagenen Aufstand emigrierte D. nach Moskau, wo er Mitglied des Auslandsbüros der BKP war. Gleichzeitig wurde er Kandidat des Exekutivkomitees der Komintern (EKKI). Seine Position in der (inzwischen illegalen) BKP wurde immer schwächer, militante Linke schoben sich in den Vordergrund. Ende der zwanziger Jahre wurden D. und Kolarov offen als „Defaitisten“ wegen ihrer Interpretation des Aufstands von 1923, Anfang der dreißiger Jahre als „Opportunisten“ wegen ihrer Kontaktsuche zu den Bauern kritisiert. D.s Gegner in der BKP sollen auch Sympathiedemonstrationen in Bulgarien für ihn verhindert haben, als er 1933 in Berlin vor Gericht stand. D. wurde am 9. März 1933 in Berlin verhaftet mit der Beschuldigung, den Reichstag angesteckt zu haben. Mit ihm standen die Bulgaren Blagoj Popov und Vasil Tanev sowie der deutsche Kommunistenführer Ernst Torgler vor Gericht. Wie Ruth Fischer später schrieb, „faszinierte das Schauspiel des Rededuells zwischen Göring und ihm im Gerichtssaal die ganze Welt“. Gleichfalls behauptete sie auch, „daß Dimitrov, bevor er sich im Gerichtssaal zu seiner mutigen Schlußrede erhob, von der geheimen Abmachung zwischen der GPU (Gosudarstvennoje političeskoje upravlenie) und der Gestapo wußte, ihn auf freien Fuß zu setzen“. Der Prozeß endete im Dezember 1933, Ende Februar 1934 war D. tatsächlich wieder frei und traf in Moskau ein. D. hatte in Berlin die ganze Welt beeindruckt - sogar der bulgarische König ließ ihm Glückwünsche übermitteln und selbst der von ihm so heftig attackierte Göring suchte ihn in der Zelle auf, um ihm seine Achtung zu erweisen; allein die damaligen bulgarischen KP-Führer versuchten, den Prozeß totzuschweigen.
D. wurde Generalsekretär der Komintern und gewann damit auch die Kontrolle über die BKP zurück, die nunmehr scharf vom Linkssektierertum gereinigt und „bolschewisiert“ wurde; die Gegner D.s verschwanden 1934 spurlos. Auf dem 7. Kominternkongreß von 1935 war es vor allem D., der den Delegierten die neue Linie der „Einheitsfront“ mit den Sozialdemokraten (bis dahin als „Sozialfaschisten“ abqualifiziert) nahebrigen mußte. D. wurde erneut zum Generalsekretär der Komintern gewählt und blieb es bis zu ihrer Auflösung 1943. Tatsächlich war er jedoch bereits vollauf in das sowjetische Leben eingespannt; als sowjetischer Bürger war er 1937-1945 Deputierter des Obersten Sowjet.
Den Zweiten Weltkrieg verbrachte D. in Moskau, von wo aus er am 17. Juni 1942 die Bildung einer „Vaterländischen Front“ aller oppositionellen Parteien gefordert hatte. Auch nach Kriegsende blieb er noch in der Sowjetunion, war jedoch der unbestrittene Leiter der BKP. Nach Bulgarien kam er erst im November 1945 zurück, als die BKP in Schwierigkeiten mit der sehr aktiven Opposition geriet. D. wurde nunmehr auch formal Parteichef, ließ am 16. September 1946 die Volksrepublik Bulgarien ausrufen und wurde auch Ministerpräsident. Gleichzeitig begann er, die Opposition (Agrarunion, Sozialdemokraten) zu beseitigen. Mit dem Verschwinden der Opposition konnte die BKP im Dezember 1947 die von ihr gewünschte Verfassung durchbringen und genau ein Jahr später den „Aufbau des Sozialismus“ beschließen.
Am 2. Juli 1949 starb D. an Hauttuberkulose in einem Sanatorium in der Nähe Moskaus; sein Leichnam wurde einbalsamiert und nach Sofia in ein Mausoleum überführt. Seine gesammelten Werke sind 1951/55 in Sofia erschienen (Sŭčinenija, 14 Bde).
Literatur
Fischer, Ruth: Stalin und der deutsche Kommunismus. Frankfurt/M. o. J.
Blagoeva, Stella D.: Georgi Dimitrov. Biografičen očerk. Sofija 1952(6).
Savova, Elena: Georgi Dimitrov. Letopis na života i revoljucionnata mu dejnost 1882-1949. Sofija 1952.
Sochan’, P. S.: Plamennyj revoljucioner. Žizn’ i revoljucionnaja dejatel’nost’ Georgija Dimitrova. Kiev 1962.
Kurella, Alfred: Dimitroff contra Göring. Nach Berichten Dimitroffs über den Reichstagsbrand 1933. Berlin 1964.
Savova, E.: Georgi Dimitrov. Bibliografija. Sofija 1968.
Georgi Dimitrov. Biografija. Sofija 1972.