Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Franz Ferdinand
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Franz Ferdinand

Franz Ferdinand, Erzherzog von Österreich (ab 1875 von Österreich-Este), * Graz 18.12.1863, † Sarajevo 28.06.1914, Sohn von Erzherzog Carl Ludwig (1833 bis 1896), Sohn Franz Carls (1802-1878), und der Maria Annunziata (1843-1871), Tochter des Königs beider Sizilien, Ferdinand II.

Leben

F. wurde nach dem Selbstmord des Kronprinzen Rudolf (1889) und dem Tod seines Vaters (1896) Thronfolger. Er hatte eine ausgezeichnete, wenngleich stark militärisch orientierte Erziehung erhalten; seine Gesundheit erwies sich bald als labil, auf Grund einer Lungenerkrankung ging er häufig auf Seereisen. 1892/93 unternahm er eine Weltreise. Nach seiner Rückkehr übernahm er, der bereits in jungen Jahren in Ungarn garnisoniert gewesen war, die 38. Infanterie-Brigade in Brünn. In der Folge verschlechterte sich jedoch sein Gesundheitszustand derart, daß er sich ca. vier Jahre auf Kur nach Südtirol, an die Adria und nach Ägypten begab. Militärisch seit je besonders interessiert, wurde er am 29. März 1898 „zur Disposition des Allerhöchsten Oberbefehls“ gestellt, am 17. August 1913 schließlich „Generalinspektor der gesamten bewaffneten Macht“, in welcher Eigenschaft er schließlich im Juni 1914 die Manöver in Bosnien besuchte. Neben dem Bemühen um Zentralisierung, Modernisierung und Straffung der Armee legte er besonderen Wert auf den starken Ausbau der Kriegsmarine. F. war seit dem 1. Juli 1900 in morganatischer Ehe mit Gräfin Sophie Chotek von Chotkowa und Wognin (geb. 1868, fand mit F. in Sarajevo den Tod) verheiratet. F. mußte schriftlich darauf verzichten, die aus dieser Ehe hervorgehenden Kinder zur Thronfolge zuzulassen; diese Renunziation basierte auf einem Familienpatent, nicht eigentlich auf verfassungsmäßiger Grundlage, brachte jedoch auch, etwa hinsichtlich Ungarns, staatsrechtliche Schwierigkeiten mit sich. Gräfin Chotek wurde anläßlich der Heirat vom Kaiser zur Fürstin von Hohenberg erhoben.
Die historische Forschung hat bis jetzt zu keinem einhelligen Urteil über F. gelangen können, was vor allem an zwei Faktoren liegen mag: Einerseits hatte F. nie Gelegenheit gehabt, seine vielfältigen Programme in die Realität umzusetzen, so daß man über seine Fähigkeiten als Kaiser auf Vermutungen angewiesen ist, andererseits wurde F.s Person meistens im Hinblick auf das Attentat und den Ausbruch des Weltkriegs gesehen, so daß er selbst häufig nicht im Brennpunkt der Untersuchungen stand. Die durch F.s Ermordung zumindest mitausgelösten politischen Umwälzungen ließen darüber hinaus bereits vorhandene Ressentiments noch weiter anwachsen, was in einer vielfach tendenziös gefärbten historischen Produktion resultiert, die von weitreichender Apologetik bis zu scharfen Angriffen gegen F.s Person reicht. Weitgehende Übereinstimmung herrscht lediglich darüber, daß F. immerhin überdurchschnittliche Begabungen besaß und in seinen politischen Auffassungen von jenen des Kaisers zum Teil erheblich abwich. Urteile über seine offenbar starke Persönlichkeit reichen von hochmütig, mißtrauisch, tyrannisch und intolerant bis talentiert, willensstark, arbeitsam, häuslich und gesellig. Die meisten Biographen stimmten lange Zeit darin überein, daß F. ein Mann der Extreme und jähen Wechsel war, was allerdings nach neuesten archivalischen Forschungen insofern zweifelhaft erscheint, als man seine zahlreichen Programme für den Thronwechsel im Kontext einer sich rapide wandelnden politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen europäischen Gesamtsituation sehen muß.
Es ist nicht leicht, genau zu ermessen, was in F.s Programmen seine persönlichen Ansichten darstellt, was andererseits von den zahlreichen, übrigens häufig wechselnden Beratern hineingetragen wurde, und was schließlich auf gegenseitige Durchdringungen zurückzuführen ist. F.s Pläne für seine Regierungszeit beruhten vor allem auf der äußerst heterogenen Lage der Habsburgermonarchie und der zahlreichen, oftmals durch krassen Nationalismus bestimmten internationalen Spannungen, wobei man berücksichtigen muß, daß sich historisch die „nationalen“ Bewegungen heute vielfach als „soziale“ darstellen. F. war ein Feind der Magyaren; neuere Forschungen haben allerdings gezeigt, daß F. nicht in jenem Ausmaß den Trialismus Wien-Budapest-Zagreb vertreten hat, wie oft angenommen wurde. Chronologisch durchgehend finden sich in seinen Vorstellungen neben dem Antimagyarismus ein stark ausgeprägter Antisemitismus, sowie eine deutliche Abneigung gegen Tschechen und Polen, zunächst auch eine Sympathie für die Kroaten, die er jedoch um 1903 rasch verlor. Nicht zuletzt sein Antimagyarismus und Antisemitismus brachten ihn den Christlichsozialen und besonders Karl Lueger nahe (dessen Name in bestimmten Dokumenten als möglicher künftiger Ministerpräsident unter F. aufscheint), die vielfach als Sprachrohr des Belvedere angesehen wurden. F.s innenpolitische Konzepte beruhten vor allem auf dem Plan einer starken zentralistischen Straffung der Monarchie durchaus in einem absolutistischen Sinn, was sich sehr stark auch in seinen Plänen zur Reorganisation der Armee zeigt, die als Werkzeug einer neuerlichen Vereinheitlichung des österreichischen Kaiserstaates dienen sollte. Diese sollte auf einer Hegemonie der Deutschen beruhen. F.s Pläne, auch in Ungarn das allgemeine Wahlrecht einzuführen, sind nicht Ausdruck einer demokratischen Gesinnung, sondern wurden von ihm als Waffe gegen die Magyaren angesehen, die für ihn Hauptverantwortliche und Verursacher aller nationalen Spannungen waren. Zuletzt scheint F. geplant zu haben, den Dualismus - zumindest vorübergehend und formal - aufrechtzuerhalten, jedoch die Verfassungsbestimmungen der beiden Reichsteile einander völlig anzugleichen; für später sah er eine völlige Homogenisierung des Reiches vor.
Außenpolitisch erscheint F. beherrscht von der Idee einer Wiedererweckung der Heiligen Allianz, er hegte auch bis zuletzt für das autokratisch-zaristische Rußland höchste Sympathien. Am Ende der vielfachen Wandlungsprozesse seiner Ansichten scheint F. zur Auffassung gekommen zu sein, daß Serbien in irgendeiner Form in den österreichischen Kaiserstaat integriert werden müsse, möglicherweise innerhalb einer südslawischen Gesamtgruppierung, aber jedenfalls unter habsburgischer Herrschaft; Italien betrachtete er seit jeher als Hauptfeind (u. a. auf Grund seiner starken katholischen Überzeugung und der Problematik des Kirchenstaates), was ihn Franz Graf Conrad von Hötzendorf nahebrachte, als dessen Protektor er oftmals auftrat. Frankreich gegenüber, das für ihn ein Hort der Freimaurerei und Revolutionsgefahr war, verhielt er sich völlig ablehnend, England gegenüber hingegen aufgeschlossener. Generell plante er eine österreichische Expansion auf dem Balkan in enger Verbindung mit Berlin. F. war wohl reaktionär insofern, als er auf Gefährdungen des alten Habsburgerstaates derart reagierte, daß er auf alte, ehedem erprobte Konzepte in geringfügig modifizierter Form zurückgriff (Dreikaiserbündnis, Block der konservativen Staaten; zentralisierte Monarchie, Armee als Hauptstütze), soziale Emanzipation und Demokratisierung jedoch allenfalls nur als Instrumente ansah.
Über die Frage, wem letztlich historisch für die Ermordung F.s die Verantwortung zuzuschreiben sei, gibt es mehr abstruse Theorien als seriöse Antworten. Wenngleich es im Wesen des politischen Mordes begründet scheint, daß die letzten Zusammenhänge immer verborgen bleiben, wird man sagen können, daß hinter den Attentätern die Geheimorganisation „Ujedinjenje ili smrt“ (Einheit oder Tod), bekannt als „Schwarze Hand“ (Crna ruka), stand, deren Führer der serbische Oberst Dragutin Dimitrijević-Apis war. Der Mord wurde zum unmittelbaren Anlaß für den Weltkrieg, indem die „Kriegspartei“ in Wien (Freiherr Alexander Musulin, Graf Johann Forgách u. a.) die Gelegenheit ergriff, mit Serbien abzurechnen. Unterstellungen, daß die Belgrader Regierung vom Attentat vorher gewußt habe, konnten nie bewiesen werden und erscheinen heute praktisch ausgeschlossen. Sehr diskrete Warnungen, über komplizierte Kanäle nach Wien gelangt, wurden jedoch auch hier offenbar nicht so ernst genommen, daß weitreichende Vorsichtsmaßnahmen ergriffen worden wären. Obwohl das Attentat nicht eigentlich das Haupt einer Wiener antiserbischen Kriegspartei traf, mochte national-radikalen Serben F.s Besuch in Bosnien nicht nur als Provokation, sondern vor allem als unmittelbare Bedrohung erschienen sein.

Literatur

(Franz Ferdinand von Oesterreich-Este:) Tagebuch meiner Reise um die Erde. 1892-1893. 2 Bde. Wien 1895/96.
Chlumecky, Leopold von: Erzherzog Franz Ferdinands Wirken und Wollen. Berlin 1929.
Eisenmenger, Victor: Erzherzog Franz Ferdinand. Wien [1929].
Kann, Robert A[dolf]: Emperor William II and Archduke Francis Ferdinand in their correspondence. In: Amer. Hist. Rev. 57 (1952) 323-351.
Kiszling, Rudolf: Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este. Leben, Pläne und Wirken am Schicksalsweg der Donaumonarchie. Graz, Köln 1953.
Dedijer, Vladimir: The road to Sarajevo. New York (1966). (Deutsche Ausgabe: Die Zeitbombe. Sarajewo 1914. Wien, Frankfurt, Zürich (1967).)

Verfasser

Georg Erich Schmid (GND: 13221637X)


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Empfohlene Zitierweise: Georg Erich Schmid, Franz Ferdinand, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 1. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1974, S. 532-535 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=832, abgerufen am: (Abrufdatum)

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