Karavelov, Ljuben, bulgarischer Revolutionär, Schriftsteller und Journalist, * Koprivštica, wahrscheinlich 1835, † Russe 21.01.1879, Sohn des Viehhändlers Stojčo K. und der Nedelja, Bruder von Petko K.
Leben
K. ist einer der hervorragendsten Repräsentanten und sicher die vielseitigste Persönlichkeit des bulgarischen politischen und kulturellen Lebens vor der nationalen Befreiung. In seiner Heimatstadt, einer der geistig aufgewecktesten Städte im damaligen Bulgarien, waren u. a. die bedeutenden Literaten und Aufklärer Najden Gerov und Joakim Gruev seine Lehrer. 1850 setzte er seine Ausbildung im griechischen Gymnasium in Plovdiv fort, wo er drei Jahre blieb, 1857-1862 studierte er mit einem russischen Stipendium an der historisch-philologischen Fakultät der Universität Moskau. In Rußland stand K. anfangs unter dem Einfluß der Slawophilen, seine Anschauungen näherten sich jedoch später mehr und mehr denen der revolutionären Demokraten, besonders von Aleksandr Gercen (Herzen) und Nikolaj Černyševskij. In Moskau blieb K. bis 1867, als er sich als Korrespondent russischer Zeitungen, hauptsächlich des „Golos“ (Die Stimme), nach Belgrad begab. Hier verband er sich mit führenden Persönlichkeiten der serbischen „Omladina“ und mit bulgarischen revolutionären Kreisen. Aus Serbien ausgewiesen, ließ er sich Anfang 1868 in Neusatz (Novi Sad) nieder. Nach der Ermordung des serbischen Fürsten Michael Obrenović am 10. Juni (29.05.) 1868 wurde K. der Teilnahme an der Verschwörung verdächtigt und von den Behörden bis Anfang 1869 in Pest in Untersuchungshaft gehalten. Danach siedelte er nach Bukarest, dem Zentrum der bulgarischen revolutionären Emigration um. Hier schloß sich K. der radikalen Partei der „Jungen“ an und arbeitete eng mit Vasil Levski und Christo Botev zusammen. 1872 wurde er Vorsitzender des „Bulgarischen revolutionären Zentralkomitees“. Nach der Verhaftung und Hinrichtung Levskis durch die Türken (Februar 1873) und der gleichzeitigen weitgehenden Zerschlagung der revolutionären Organisation in Bulgarien resignierte K. und zog sich im Herbst 1874 von der revolutionären Bewegung zurück, wofür er u. a. von Botev scharf kritisiert wurde. 1878 kehrte er in das befreite Bulgarien zurück.
K.s schriftstellerische und journalistische Tätigkeit begann bereits während seines Moskauer Aufenthalts. Hier veröffentlichte er in russischer Sprache seine ersten belletristischen Werke, unter ihnen sein Meisterwerk, die Novelle „Bulgare ot staro vreme“ (Bulgaren aus der alten Zeit, russisch 1867; serbisch 1868; bulgarisch 1872), die autobiographisch-folkloristischen Skizzen „Iz zapisok bolgara“ (Aus den Aufzeichnungen eines Bulgaren, 1867; erweiterte bulgarische Fassung mit dem Titel „Zapiski za Bŭlgarija i bŭlgarite“ - Aufzeichnungen über Bulgarien und die Bulgaren, 1874/78), eine Sammlung folkloristischer Materialien „Pamjatniki narodnogo byta bolgar“ (Denkmäler des bulgarischen Yolksbrauchtums, 1861), die literarische Übersicht „Bibliografija sovremennoj bolgarskoj literatury“ (Bibliographie der zeitgenössischen bulgarischen Literatur, 1861) u. a. In Belgrad und Neusatz trat er in einer Reihe von Artikeln gegen die Romantik in der serbischen Literatur und für die Orientierung der serbischen Schriftsteller zum sozialkritischen Realismus ein. Er verfaßte mehrere Novellen in serbischer Sprache, wie „Je li kriva sudbina“ (Ist das Schicksal schuld, 1868), „Gorka sudbina“ (Bitteres Schicksal, 1869). Auf serbisch erschienen auch seine Memoiren aus der Gefängniszeit („Iz mrtvog doma“ = Aus dem Totenhaus, 1871). In Rumänien war er Herausgeber der Zeitung „Svoboda“ (Freiheit, ab 1869) und ihrer Fortsetzung, des Organs des Zentralkomitees, „Nezavisimost“ (Unabhängigkeit, 1873-1874, bis zum Ausscheiden K.s aus der revolutionären Bewegung) sowie der Kulturzeitschrift „Znanie“ (Wissen, ab 1875; die letzten Nummern erschienen in Bulgarien). In „Znanie“ erschien seine große Novelle „Maminoto detence“ (Das Muttersöhnchen, 1875). K. ist auch mit einer Reihe bulgarischer Gedichte, die zum Teil große Popularität erlangt haben, und mit Literaturkritiken hervorgetreten. Er war einer der Wegbereiter des Realismus in der serbischen und sein erster bedeutender Vertreter (mit seiner Belletristik) in der bulgarischen Literatur. Seine wichtigsten Vorbilder in der Novellistik waren Gogol und Marko Vovčok und in der Poesie Taras Ševčenko. Die gesammelten Werke K.s (Subrani sučinenija) erschienen in 9 Bänden 1965/68 in Sofia.
Literatur
Kondarev, Nikola: Ideologijata na Ljuben Karavelov. Sofija 1957.
Dimitrov, Michail: Publicistikata na Ljuben Karavelov. 2 Bde. Sofija 1957/65.
Ders.: Ljuben Karavelov. Biografija. Sofija 1959.
Izsledvanija i statii za Ljuben Karavelov. Sofija 1963.
Vorob’ev, L. N.: Ljuben Karavelov. Mirovozrenie i tvorčestvo. Moskva 1963.
Gesemann, Wolfgang: „Altväterliche Bulgaren“. Bemerkungen zur Geburt der bulgarischen Volkserzählung. In: Slavistische Studien zum V. Internationalen Slavistenkongreß in Sofia. Göttingen 1963, 489-509.
Arnaudov, Michail: Ljuben Karavelov. Sofija 1964.
Konev, Ilija: Ljuben Karavelov. Sofija 1966.
Šarova, Krumka: Ljuben Karavelov i bŭlgarskoto osvoboditelno dviženie 1860-1867. Sofija 1970.
Karavelov, Ljuben St.: Otnovo za familijata i roždenata data na Ljuben Karavelov. In: Ist. Pregled 28 (1972) 3, 92-97.
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