Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Kolarov, Vasil Petrov
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Kolarov, Vasil Petrov

Kolarov, Vasil Petrov, bulgarischer Revolutionär und Politiker, * Šumen (heute Kolarovgrad) 16.07.1877, † Sofia 23.1.1950.

Leben

 Schon während des Schulbesuchs in Šumen und Varna kam K., der Sohn einer Handwerkerfamilie, in ersten Kontakt mit der jungen sozialistischen Bewegung Bulgariens. Als Lehrer an der höheren Schule in Nikopol (1895-1897) gründete er die dortigen Ortssektionen der Lehrergewerkschaft und der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Bulgariens (BRSDP) und wurde ihr Sekretär. Während eines anschließenden juristischen Studiums in der Schweiz (1897-1900) machte er die Bekanntschaft der russischen Marxisten Georgi Valentinovič Plechanov, Pavel Borisovič Aksel´rod u. a. und organisierte einen internationalen marxistischen Kreis. Nach seiner Rückkehr nach Bulgarien ließ er sich als Advokat in Šumen nieder und schloß sich nach Spaltung der BRSDP (1903) dem kleinen zentralistisch organisierten Flügel der Engsozialisten (tesni socia- listi, t. s.) unter Führung des Dogmatikers Dimitŭr Blagoev an. Von 1902 bis 1904 war er Sekretär der Parteiorganisation in Šumen und wurde anschließend auf Beschluß des Zentralkomitees (ZK) der BRSDP (t. s.) zur Parteiarbeit nach Plovdiv entsandt (1904-1919). 1905 rückte er zum Mitglied des ZK auf, dem er fortan bis zu seinem Tode angehörte. Als Delegierter seiner Partei nahm er an den internationalen Sozialistenkongressen und -konferenzen in Stuttgart (1907), Kopenhagen (1910), Zimmerwald (1915) u.a. teil. Dort sowie als Deputierter der bulgarischen Nationalversammlung (1912-1923) sprach er sich wiederholt gegen die Beteiligung Bulgariens am Ersten Weltkrieg aus und verurteilte die Bewilligung der Kriegskredite durch fast alle sozialistischen Parteien der kriegführenden Staaten. Dennoch stimmte er im Namen seiner Partei auf der Zimmerwald-Konferenz gegen den Vorschlag Lenins zur Gründung einer III. Internationale. Erst im Verlauf des Jahres 1917 änderte die BRSDP (t. s.) - teilweise unter dem Eindruck der russischen Februar-Revolution - ihre Einstellung gegenüber einer neuen Internationale und schloß sich als eine der ersten sozialistischen Parteien der Leninschen Position an. Allerdings zeigte sich in den folgenden Monaten und Jahren, daß die Partei über keine revolutionäre Erfahrung verfügte. Während der Erhebung von Radomir im September 1918 lehnte die Führung, die infolge ihrer konsequenten Antikriegshaltung erstmals die Sympathie größerer Teile der überwiegend agrarischen Bevölkerung hatte gewinnen können, ein Bündnis mit der „reaktionären“ Bauernunion Aleksandŭr Stambolijskis und den aufständischen Soldaten ab und schaute der Niederschlagung des Aufstands tatenlos zu. Dessenungeachtet konnte die Partei bei den Parlamentswahlen vom August 1919 einen erheblichen Stimmenzuwachs verzeichnen und ging mit 47 Mandaten nach der Bauernunion als zweitstärkste Partei des Landes hervor. Kurz vorher - im März d. J. - war sie der von Lenin gegründeten Kommunistischen Internationale (Komintern, KI) beigetreten. Auf dem I. Kongreß der in Kommunistische Partei Bulgariens (KPB, t. s.) umbenannten Partei wurde K. zum Sekretär des ZK gewählt (April 1919). In dieser Eigenschaft führte er die Parteidelegation zum III. Kongreß der KI (1921) an. Auf dem folgenden Kongreß (1922) wurde er zum Generalsekretär der KI gewählt und rückte damit in das Führungsgremium der internationalen kommunistischen Bewegung Leninscher Prägung auf. Als Mitglied des Exekutivkomitees (EK) der KI (1921-1943) und als ihr Generalsekretär (1922-1924) nahm K. an den Kongressen der kommunistischen Parteien Deutschlands, Italiens, Frankreichs, Norwegens, der Tschechoslowakei u. a. teil. teil. Dort sowie als Deputierter der bulgarischen Nationalversamm- u. a.
 Als jedoch am 9. Juni 1923 die bulgarische Regierung Stambolijski durch einen Putsch des Naroden Sgovor unter Aleksandŭr Cankov gestürzt wurde, verhielt sich die KPB infolge ihrer dogmatischen Einstellung zu einem Bündnis mit der Bauernunion und entgegen der Einheitsfronttaktik der KI abermals - wie im September 1918 Weisung der KI nach Bulgarien begeben, um die scharf kritisierte Neutralitätspolitik seiner Partei zu korrigieren. Zusammen mit Georgi Dimitrov bereitete er den Aufstand vom September 1923 vor, der nach der vorangegangenen unentschlossenen Haltung der Partei im Sommer mit einem völligen Mißerfolg und dem Parteiverbot endete. Über Jugoslawien und Österreich gelangte K. im Oktober 1923 in sein Moskauer Exil, wo er 1926-1929 als Hauptredakteur des bulgarischen Parteiorgans „Komunističesko zname“ (Kommunistische Fahne) und als Leiter des Balkansekretariats des EK der KI tätig war (1928-1929). Außerdem führte er den Vorsitz des EK der Bauerninternationale und war 1931-1941 Direktor des Internationalen Agrarinstituts in Moskau. In dieser Eigenschaft verfaßte er zahlreiche Artikel, die z. T. in dem Sammelband „Izbrani proizvedenija“ (3 Bände, Sofia 1954/55) abgedruckt sind. Innerhalb der Partei mußte er sich Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre mit der radikaleren „linken“ Opposition auseinandersetzen, die bei ihrer Arbeit in Bulgarien bis zur Einführung der Militärdiktatur im Mai 1934 wieder einige nennenswerte Erfolge hatte erzielen können. Erst mit dem Einschwenken der KI auf die Volksfronttaktik, die sich bereits vor dem VII. Weltkongreß (1935) abzeichnete, konnte K. seine Position erneut festigen. Während des Reichstagsbrandprozesses startete er eine internationale Kampagne zur Freilassung Dimitrovs und wurde zusammen mit diesem auf dem VII. Weltkongreß der KI in das neue KPB-Präsidium gewählt. Getreu der dort entwickelten Konzeption unterstützte er im Verlauf des Zweiten Weltkrieges über einen Exilsender die Errichtung einer aus Kommunisten, Agrariern, Sozialdemokraten u. a. zusammengesetzten „Vaterländischen Front“, die am 9. September 1944 die Macht in Bulgarien übernahm. Genau ein Jahr später kehrte K. nach 22jähriger Emigration nach Sofia zurück. Kurz darauf (15.12.1945) wurde er zum Präsidenten der XXVI. Nationalversammlung gewählt. Nach Proklamierung der Republik (15.09.1946) wurde er deren zeitweiliger Präsident und saß auch der Großen Nationalversammlung vom 7. November 1946 vor. Nach Annahme der neuen Verfassung (4.12.1947) war er als stellvertretender Ministerpräsident und als Außenminister tätig und übernahm nach dem Tod Dimitrovs (2. Juli 1949) die Führung der Partei und den Posten des Ministerpräsidenten. neutral. K., der sich zu dieser Zeit in Moskau aufhielt, mußte sich auf An-

Literatur

Saeva-Savova, Elena und Todor Borov: Vasil Kolarov. Bio-bibliografija po slučaj 70-godišninata mu 16 juli 1947. Sofija 1947.
Vasil Kolarov. Important dates of his life and career. Ed. by the Ministry of Foreign Affairs, Press Department. Sofia 1948.
Rothschild, Joseph: The Communist Party of Bulgaria. Origins and development, 1883-1936. New York 1959.
Todorov, Angel St.: Istoričeskoto mjasto na BRSDP (t.s.) v meždunarodnata socialdemokracija 1914-1917. Sofija 1962.
Kosev, D.: Meždunarodnoto značenie na Septemvrijskoto vŭstanie prez 1923 g. Sofija 1964.
Taševa, Stojanka: Vasil Kolarov v Plovdiv 1904-1912. Plovdiv 1966.
Oren, Nissan: Bulgarian Communism. The road to power 1934-1944. New York, London 1971.

Verfasser

Holm Sundhaussen (GND: 120956055)

GND: 118864505

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd118864505.html


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Empfohlene Zitierweise: Holm Sundhaussen, Kolarov, Vasil Petrov, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 427-430 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1146, abgerufen am: (Abrufdatum)

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