Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Karavelov, Petko Stojčev
Bild: Wikimedia Commons
Wikidata: Q462811

In den Suchergebnissen blättern

Treffer 
 von 1526

Karavelov, Petko Stojčev

Karavelov, Petko Stojčev, bulgarischer Politiker, * Koprivštica 1843 oder 1845, † Sofia 24.1. 1903, Sohn des Viehhändlers Stojco K. und der Nedelja, Bruder des Schriftstellers Ljuben K.

Leben

 K.s Geburtsstadt war im 19. Jh. ein durch gute Schulen bekanntes Bildungszentrum, in dem auch K. selbst seinen ersten Unterricht erhielt. Nebenher hütete er die Schafe seines Vaters - woraus er noch Jahrzehnte später als Ministerpräsident eine gewisse Autorität in Viehzucht-Fragen ableitete. Später ging er nach Enos, wo er bei einem Schneider lernte und die griechische Schule besuchte. Auf Wunsch seiner Mutter begab er sich nach Moskau, wo bereits sein älterer Bruder, der Dichter Ljuben K., war. K. bereitete sich auf die Universität vor und nahm ein Studium an der historischphilologischen Fakultät auf, wofür ihm sein Bruder ein Stipendium besorgt hatte. Er verwandte jedoch nur wenig Mühe auf sein Studium und beschäftigte sich lieber mit Politik; Mißerfolge bei Prüfungen führten dazu, daß ihm das Stipendium entzogen wurde und er das Studium aufgeben mußte. In den folgenden Jahren führte er ein unstetes Wanderleben, las eine Vielzahl von Schriften aus den verschiedensten Wissensgebieten und gab sich äußerlich betont nachlässig, um seine liberalen und nihilistischen Ansichten zu dokumentieren. Russische Freunde, deren er viele hatte, verschafften ihm Posten als Hauslehrer bei angesehenen Familien. K.s politische Karriere begann mit dem russisch-türkischen Krieg 1877/78, denn er gehörte zu den Bulgaren, die bei den Russen soviel Vertrauen genossen, daß man sie zur Verwaltung des befreiten Landes heranzog: So wurde er zunächst Vizegouverneur von Vidin, später Präsident des Gubernialrates von Tŭrnovo. Politisch gehörte K. zum Kreis der „Jungen“, den späteren Liberalen, um Dragan Cankov, Petko Slavejkov und Stefan Stambolov. Als Vizepräsident der Großen Nationalversammlung in Tŭrnovo war K. führend an der Ausarbeitung der Konstitution beteiligt und geistiger Kopf der liberalen Opposition gegen den russischen Entwurf. In der von Slavejkov 1879 gegründeten Zeitschrift „Celokupna Bŭlgarija“ (Das ganze Bulgarien) kämpfte K. unablässig für die Wiedervereinigung des Fürstentums Bulgarien mit dem durch den Berliner Vertrag abgeteilten Südteil, dem sog. Ost-Rumelien. Trotzdem verweigerte er dem neugewählten Fürsten von Bulgarien, Prinz Alexander von Battenberg, die Gefolgschaft und lehnte zusammen mit Cankov eine Beteiligung an dessen erstem Kabinett ab. Die Liberalen gingen in die Opposition und bekämpften die Konservativen mit großem Erfolg, wie u. a. die konservative Wahlniederlage vom Herbst 1879 bewies. Das konservative Kabinett Burmov trat zurück, und die Liberalen waren nicht zu einer Koalitionsregierung zu bewegen. Daraufhin löste der Fürst die Nationalversammlung, deren Präsident K. war, auf. In den Neuwahlen vom Januar 1880 siegten wieder die Liberalen, und K. wurde erneut Parlamentspräsident. Ende März 1880 mußte der Fürst der Bildung einer liberalen Regierung zustimmen: Cankov wurde Ministerpräsident, K. Finanzminister. K. entfremdete sich immer mehr von Cankov, und als dieser in Verhandlungen mit einigen Donauländern über die Donauschiffahrt kompromittiert wurde, übernahm K. auch das Amt des Justizministers; Ende November 1880 wurde er im Zuge einer Kabinettsumbildung selber Ministerpräsident. Im April 1881 übernahm der Fürst staatsstreichartig die alleinige Macht und die Liberalen hatten fürs erste das Nachsehen. Trotzdem waren sie nicht gewillt, irgendwelche Kompromisse mit den fürstentreuen Konservativen einzugehen. K. wurde aus dem Fürstentum ausgewiesen und ging nach Ost-Rumelien, wo er zu nächst Lehrer, später Bürgermeister in Plovdiv wurde. Mit ihm übersiedelte auch seine Zeitung „Nezavisimost“ (Unabhängigkeit) an den neuen Wohnort. Inzwischen aber hatte sich das Verhältnis zwischen dem Fürsten und den Russen so sehr verschlechtert, daß er gegenüber den Liberalen wieder einlenkte. K. kehrte 1883 nach Sofia zurück, überwarf sich aber völlig mit Cankov, da dieser ihm in seiner neuen Regierung kein Amt angeboten hatte. Aus den folgenden Kämpfen ging K. als Sieger hervor, und nach den Wahlen vom Frühjahr 1884 bildete er das neue Kabinett. Immer drängender wurde in dieser Zeit die Frage der Vereinigung mit Ost-Rumelien, der K. reserviert gegenüber stand, da er inzwischen als Finanzminister den zerrütteten Zustand der ostrumelischen Finanzen kannte. Wie Cankov in seinen Erinnerungen berichtet, habe K. gesagt: „Wir können doch nicht die ostrumelischen Schulden den Finanzen Bulgariens einverleiben“. K. änderte seinen Standpunkt erst, als die Unionsbestrebungen in Ost-Rumelien über die Ufer zu treten drohten, und zusammen mit dem Fürsten traf er im September 1885 - einen Tag nach der Verkündung der Vereinigung - in Plovdiv ein. In der nun einsetzenden Kriegsgefahr plädierte K. dafür, sich auf Serbien zu konzentrieren und die Truppen von der türkischen Grenze zurückzuziehen. Die Militärs widersetzten sich dieser Absicht, doch zeigte der spätere Verlauf des Krieges, daß K.s Einschätzung der Lage die richtige gewesen war. Nach dem Sieg der Bulgaren riet K. auch als erster zur Mäßigung, da er die Besorgnis der europäischen Großmächte richtig einschätzte. In der Folgezeit nahm K. aktiven Anteil an der Offiziersverschwörung zum Sturz Alexanders von Battenberg; nachdem der Fürst gestürzt war, bildete K. ein Koalitionskabinett, das alle Parteien außer den Cankov-Anhängern enthielt, nach wenigen Tagen Amtszeit im August 1886 jedoch von fürstentreuen Truppen zum Rücktritt gezwungen wurde. In den verworrenen Tagen nach dem Staatsstreich wurde K. zunächst von den Militärs inhaftiert, auf Betreiben des Fürsten freigelassen, unter Flausarrest gestellt und schließlich - gegen den Widerstand der Offiziere und auf Betreiben Stambolovs - zum Regenten (zusammen mit Stambolov und Sava Mutkurov) gewählt. Der Fürst verließ Bulgarien, und in seiner letzten Botschaft ermahnte er die Bulgaren zu Gehorsam gegenüber den Regenten. Zu dem folgenden Regime Stambolovs stand der immer noch russophile K. in Opposition. Ein mißlungenes Attentat auf Stambolov, dem der Finanzminister Christo Belcev im März 1891 zum Opfer fiel, bewirkte eine Aktion gegen die Russo- philen, an deren Ende K. zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Erst durch die Amnestie nach dem Ausgleich mit Rußland und dem Sturz Stambolovs kam er 1894 wieder frei, um sofort die „Karavelisten“ gegen den neuen Ministerpräsidenten Konstantin Stoilov zu organisieren. Am 21. September 1896 benannten sie sich in „Demokraten“ um, und zwischen Februar und Dezember 1901 war K. nochmals Ministerpräsident einer Koalitionsregierung aus Demokraten und Liberalen. Bulgarien steckte in dieser Zeit in einer solchen Finanzkrise, daß K. eine Ausländsanleihe erwog. K. hatte in seinem bewegten Leben viele Feinde - die jedoch alle seine Grundsätze und Überzeugungen achteten und lobende Worte für seine Ehrlichkeit und Unbestechlichkeit fanden. Selbst Fürst Battenberg soll einmal gesagt haben: „Karavelov spielte mir gegenüber immer eine Art Doppelrolle, ich schätzte an ihm aber den tiefen Patriotismus und die beispiellose Ehrlichkeit in Geldangelegenheiten des Fürstentums“.

Literatur

Zakazov, Janko: Bŭlgarite v svojata istorija. Sofija 1918(2), passim.
Hajek, Alois: Bulgariens Befreiung und staatliche Entwicklung unter seinem ersten Fürsten. München, Berlin 1939.
Peev, Petko: Petko Karavelov. Sofija 1946. = Naši vremena. 3/10.
Petko Karavelov. Sofija 1946(2). = Demokratičeska biblioteka. 3.
Istorija: Bd 2, passim.
Stefanov, Christo: Obrazuvane i načalna dejnost na bŭlgarskata radikaldemokratičeska partija. In: Ist. Pregled 26 (1970) 4, 27-47.
Karavelov, Ljuben St.: Otnovo za familijata i roždenata data na Ljuben Karavelov. In: Ist. Pregled 28 (1972) 3, 92-97.
Dimitrov, Ilčo : Knjazŭt, konstitucijata i narodŭt. Sofija 1972, passim.

Verfasser

Wolf Oschlies (GND: 107216760)

GND: 119102587

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd119102587.html


RDF: RDF

Vorlage (GIF-Bild):  Bild1   Bild2   Bild3   Bild4   

Empfohlene Zitierweise: Wolf Oschlies, Karavelov, Petko Stojčev, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 349-352 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1093, abgerufen am: (Abrufdatum)

Druckerfreundliche Anzeige: Druckerfreundlich

Treffer 
 von 1526
Ok, verstanden

Website nutzt Cookies, um bestmögliche Funktionalität bieten zu können. Mehr Infos