Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

Kiselev, Pavel Dmitrievič Graf
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Kiselev, Pavel Dmitrievič Graf

Kiselev, Pavel Dmitrievič Graf, russischer Staatsmann, * Moskau 19.01.1788, †  Paris 26.11.1872.

Leben

Die Anfänge der Karriere K.s hielten sich in den Bahnen des künftigen hohen Offiziers aus alter adliger Familie. 1806 war er Kornett im Gardekavallerieregiment, 1814 Flügeladjutant des Kaisers. Zwei Jahre später legte er Alexander I. ein Exposé vor, das seine Konzeption einer allmählichen Befreiung der Bauern von der Leibeigenschaft enthielt. Die ungelöste Bauernfrage behinderte seit langem die Fortentwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft im russischen Reich. K. hat, mehr als zehn Jahre später, als Administrator der Donaufürstentümer Gelegenheit gefunden, seine Vorstellungen über die russische Agrarreform auf fremdem Territorium in der Praxis zu erproben. 1817 wurde er zum Stabschef der Moldauarmee ernannt. Nach dem Frieden von Adrianopel (September 1829), der der Moldau und der Walachei zwar gewählte „unabhängige nationale Regierungen“ gab, sie aber zugleich osmanischer Oberherrschaft und russischem Protektorat unterstellte, wurde er zum obersten Verwalter der beiden Fürstentümer berufen (19.11.1829). Vorher mußte er noch das Mißtrauen Nikolaus´ I.  gegen seine Person überwinden, das er mit seinen engen Beziehungen zu der „südlichen Gesellschaft“ der Dekabristen erweckt hatte. Gleich nach seinem Amtsantritt in Bukarest griff er den Plan wieder auf, den Donaufürstentümern ein Statut zu geben, das ihre innere Verwaltung regeln sollte. Eine schon 1827 zu diesem Zweck ins Leben gerufene Kommission war an ihrer eigenen Ziellosigkeit gescheitert. Die beiden 1829 eingesetzten Kommissionen führten ihren Auftrag jedoch zu Ende. Die Redaktion des „Organischen Reglements“ (Regulamentul Organic) wurde am 30. März 1830 abgeschlossen. Das Organische Reglement war die erste moderne Verfassung der Donaufürstentümer, wenngleich sie als russische Schöpfung absolutistisches Gedankengut enthielt und die Privilegien des Bojarentums bestätigte und festigte. Die Schriftleitung oblag unter der Oberaufsicht von K. dem russischen Generalkonsul Matej L´ovevič Minčaki, der zum Vorsitzenden der mit der Redigierung des Status beauftragten moldauischen und walachischen Kommission ernannt wurde. Jeder der beiden Kommissionen gehörten jeweils zwei von K. in seiner Eigenschaft als Gouverneur der Donaufürstentümer ernannte Mitglieder, zwei vom Diwan gewählte Mitglieder sowie ein ebenfalls ernannter Kommissionssekretär an. Für die walachische Kommission ernannte K. den Ban Grigore Băleanu und den Vornic Gheorghe Filipescu; vom walachischen Diwan wurden der Logofet Ştefan Bălceseu und der Fletman Alexandru Vilara gewählt. Zum Sekretär der walachischen Kommission wurde der spätere Fürst der Walachei Barbu Ştirbei bestimmt. Die Mitglieder der moldauischen Kommission waren, von K. ernannt, der Schatzmeister (Vistiernic) Costache Paşcanu sowie der Vornic Mihai Sturdza und der von dem Diwan gewählte Vornic Costache Conache sowie der Schatzmeister Iordache Catargiu. Sekretär dieser Kommission war der Schriftsteller und Pädagoge Gheorghe Asachi.  Das Osmanische Reich hieß als Suzerän der Donaufürstentümer nur nach längerem Zögern das Organische Reglement gut und so konnte dieses in der Walachei erst am 13. (1). Juli 1831 und in der Moldau sogar erst am 13. (1.) Januar 1832 in Kraft treten. Das Organische Reglement führte in den Donaufürstentümern zum ersten Mal die Gewaltenteilung ein. Die Exekutive unterstand dem Landesfürsten, der von einer außerordentlichen Volksversammlung unter den Großbojaren gewählt wurde. Ein „Außerordentlicher Verwaltungsrat“, der sich aus dem Innen-, Finanz-, Justiz-, Kultus- und Kriegsminister sowie dem Leiter des Staatssekretariats zusammensetzte, hatte bei der Wahl des Landesfürsten „Flilfe zu leisten“. Die gesetzgeberische Gewalt war durch die „Volksversammlung“ verkörpert, die in der Walachei 42 und in der Moldau 35 Abgeordnete zählte. So wurde wesentlich zur Vereinheitlichung der Verwaltungen in den Donaufürstentümern beigetragen. Mit Ausnahme weniger Monate in den Revolutionsjahren 1848/49 war es bis 1858 in Kraft. Aus heutiger Sicht wird an dem Organischen Reglement wegen seiner „feudalen Elemente“ Anstoß genommen. Tatsächlich wurden die Vorrechte der Bojaren auf Kosten des Bauerntums und der anderen sozialen Schichten der Donaufürstentümer für nahezu drei Jahrzehnte verfassungsmäßig verankert. Die Bauern mußten zwölf Tage im Jahr Frondienst leisten. Ungeachtet dieser sozialpolitisch rückständigen Elemente fiel dem Organischen Reglement insofern auch eine positive Rolle zu, als es durch die Vereinheitlichung der administrativen und juristischen Strukturen der Donaufürstentümer wesentlich zu ihrer am 6. Februar (25. Januar) 1859 erfolgten Vereinigung unter dem Fürsten Alexandru Ioan Cuza beitrug. Von 1835 an war K. ständiges Mitglied der zahlreichen geheimen Komitees, denen Nikolaus die Lösung der Bauernfrage anvertraute. Als Chef zunächst der eigens für die Belange der leibeigenen Bauern errichteten fünften Abteilung der kaiserlichen Kanzlei und, ab 1837, als Minister für die Staatsdomänen versuchte er ohne viel Erfolg, durch Reformen wenigstens die Lage der Staatsbauern zu verbessern. Es lag am Beharrungsvermögen der Bürokratie, daß er über Ansätze nicht hinauskam. 1856 entsandte der um die Annäherung an Paris bemühte neue Außenminister Gorčakov den ernüchterten K. als Botschafter in die französische Hauptstadt, wo dieser, ganz im Sinne seines Chefs, eine konsequente Bündnispolitik mit Frankreich betrieb. 1862 zog er sich in den Ruhestand zurück.

Literatur

Zablockij-Desjatovskij, Andrej Parfenovič: Graf P. D. Kiselev i ego vremja. 4 Bde. Peterburg 1882.
Filitti, Ioan C.: Principatele Romîne de la 1828 la 1834. Ocupaţia rusească şi Regulamentul Organic. Bucureşti 1934.
Družinin, Nikolaj Michajlovič: Gosudarstvennye kresťjane i reforma P. D. Kiseleva. 2 Bde. Moskva, Leningrad 1948/58.
Vianu, Alexandru: Rusia şi numirea primilor domni regulamentari (1830-1834). In: Analele Universităţii Bucureşti. Seria ştiinţe sociale 11 (1962) 26, 53-64.

Verfasser

Dionisie Ghermani (GND: 118893238)


GND: 118940767

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Empfohlene Zitierweise: Dionisie Ghermani, Kiselev, Pavel Dmitrievič Graf, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1976, S. 405-407 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1129, abgerufen am: (Abrufdatum)

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