Pijade, Moša, jugoslawischer kommunistischer Politiker, Journalist und Kunstmaler, * Belgrad 04.01.1890, † Paris 15.03.1957, aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie, deren Gründer, Usiel Josif P., um 1830 aus Vidin zugewandert war.
Leben
P. studierte 1906-1909 Malerei in München und Paris. Nach Belgrad zurückgekehrt (1910), war er journalistisch tätig. Er setzte sich ein für die Vereinigung der südslawischen Gebiete der Donaumonarchie mit dem Königreich Serbien. Unzufrieden mit der politischen und sozialen Lage im neugeschaffenen Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen wandte er sich nach dem Ersten Weltkrieg der Linken zu. Mit Hilfe eines 200 000.- Kronen-Darlehens des Somborer Kaufmanns Rudolf Rosenberg gründete er im März 1919 die Zeitung „Slobodna reč“ (Freies Wort) als Tribüne gegen die bürgerlichen Parteien, gegen nationalen Separatismus und für den Kampf um eine neue Gesellschaftsordnung. Am 1. Januar 1920 trat P. der im Juni 1919 gegründeten Sozialistischen Arbeiterpartei Jugoslawiens (Socijalistička radnička partija Jugoslavije [komunista] = SRPJ [k]) bei und schloß sich nach deren Spaltung (2. Kongreß, Vukovar Juni 1920) dem in „Kommunistische Partei Jugoslawiens (Komunistička partija Jugoslavije = KPJ) umbenannten linken Flügel an. Nach deren Verbot (Acht- und Bann-Erklärung vom 29.12.1920, bekannt als OBZNANA), der Verhaftung und Flucht ihrer führenden Funktionäre, übernahm P. Aufgaben in der interimistischen Parteiführung. Im Juni 1922 vertrat er (Pseudonym: Milovan Popović) auf der IV. Konferenz der kommunistischen Balkanföderation in Sofia die KPJ und den Standpunkt von der Vorrangigkeit der sozialen Befreiung als Voraussetzung der nationalen. Er wirkte mit an der Gründung der „Unabhängigen Gewerkschaft“ (Nezavisni sindikati) und der „Unabhängigen Arbeiterpartei Jugoslawiens“ (Nezavisna radnička partija Jugoslavije - NRPJ, Januar 1923). Bei der innerparteilichen Diskussion der nationalen Frage, ausgelöst vom Wahlerfolg der „Kroatischen Bauernpartei“ (Hrvatska seljačka stranka = HSS, März 1923) kritisierte P. die von den serbischen Sozialdemokraten übernommene Idee von der nationalen Einheit der Serben, Kroaten und Slowenen und des staatlichen Zentralismus. Bei der anschließenden Diskussion der Organisationsstruktur der Partei setzte er sich ein für die Ablösung des territorialen durch das Betriebszellensystem, um die Partei stärker in der Arbeiterschaft zu verankern. Im Februar 1925 wurde er wegen der illegalen Herausgabe des „Komunist“ verhaftet und zu zwölf, 1934 wegen Aufwiegelei zu weiteren zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Während seiner Haft organisierte er in den Strafanstalten von Sremska Mitrovica und Lepoglava für kommunistische Mitgefangene marxistische Kurse, initiierte 1930 zusammen mit Tito in Lepoglava die Bildung von Gefängniskomitees der KPJ, gründete eine Parteihochschule und gab deren theoretisches Organ „Z.B. - Za boljševizaciju“ heraus. 1937 bereinigte er im Auftrag des ZK (übermittelt von Tito) die Fraktionstätigkeit des mitinhaftierten montenegrinischen Kommunisten Petko Miletić, der die Bildung eines Landesbüros mit nationalen Sektionen angestrebt hatte. Nach seiner Haftentlassung (April 1939) und Eheschließung mit der serbischen Kommunistin Lepa Nešić (Mai 1939) arbeitete er illegal für die Partei in Serbien. Auf der V. Landeskonferenz (Dubrava bei Zagreb, Oktober 1940) wurde er in des ZK der KPJ gewählt. Nach Kriegsanfang (April 1941) wirkte er in Montenegro an den Aufstands Vorbereitungen mit (Pseudonym: Jankó Petrović, davon abgeleitet sein Spitzname: Čika Janko). Im Dezember 1941 folgte er Titos Ruf in das Partisanenhauptquartier in Rudo. Er war maßgeblich an der Ausarbeitung der Rechtsnormen für die von den Partisanen besetzten Gebiete und die Organisation ihrer politischen Institutionen beteiligt (Vorschriften über Struktur und Aufgabe der Volksausschüsse, „Fočanske propise“, 1942, Kompetenzen und Organisation des Antifaschistischen Rats der Volksbefreiung Jugoslawiens [Antifašističko veće narodnog oslobodjenja Jugoslavije = AVNOJ], gegründet November 1942 in Bihać, Grundsätze des staatlichen Aufbaus u. a.). Er verfocht die Gleichberechtigung der Serben in Kroatien und der Kroaten in der Wojwodina, die Anerkennung von Bosnien-Herzegowina als sechste Republik und der dortigen Muslime als mit Kroaten und Serben in dieser Republik gleichberechtigte staatstragende Nation. Auf der II. Sitzung des AVNOJ (November 1943, Jajce) wurde er zu dessen Vizepräsidenten gewählt. Kurz zuvor gründete er mit Vladislav Ribnikar (Direktor der „Politika“) die Nachrichtenagentur „Nova Jugoslavija - TANJUG“. Nach Kriegsende wurde er 1. Stellvertretender Präsident der Provisorischen Volksversammlung und Präsident des Verfassungsausschusses, 1946 nach Verabschiedung der ersten Verfassung 1. Vizepräsident des Präsidiums der Volksversammlung der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien. Im gleichen Jahre gehörte er der jugoslawischen Delegation zu den Pariser Friedensverhandlungen an. Auf dem V. KPJ-Kongreß (Juni 1948), auf dem er in das Politbüro gewählt wurde, wies er im Zusammenhang mit dem Kominform-Konflikt die Behauptung Stalins zurück, Jugoslawien sei von sowjetischen Truppen befreit worden. Es könne höchstens von einer Hilfe zur Befreiung gesprochen werden (Das Märchen von der sowjetischen Hilfe für den Volksaufstand in Jugoslawien, Belgrad 1950). Auf der 8. ordentlichen Sitzung der Bundesvolksversammlung (Dezember 1949) wies er die in den Anklageschriften gegen László Rajk und Traičo Kostov enthaltenen Behauptungen über die jugoslawischen Absichten mit der Balkanföderation als Machwerke zurück. Seine polemische Analyse der Zustände in der Sowjetunion und der Stalinschen Säuberungen in den dreißiger Jahren stieß in den führenden KPJ-Kreisen auf Kritik, u. a. bei Milovan Djilas, dessen Verhältnis zu P. seit Beginn des Partisanenkrieges in Montenegro nicht konfliktfrei war. Auf dem VI. Parteikongreß (November 1952) wurde P. in das Exekutivkomitee gewählt. Nach Verabschiedung des Verfassungsgesetzes (1953) wurde nicht P., sondern Milovan Djilas, zum Präsidenten der Bundesversammlung gewählt. P. wurde Vizepräsident des Bundesexekutivrats, was eine Herabstufung bedeutete, die auf eine Frontbildung jüngerer Parteifunktionäre um Vladimir Dedijer zurückging. Nach Djilas' Rücktritt bzw. Ausschluß von allen Partei- und Regierungsämtern im Januar 1954 wurde er Präsident der Bundesversammlung. P. war ein konsequenter Internationalist. Sein besonderes Interesse galt der nationalen und der Organisationsfrage. Seine Standpunkte fanden die vollste Unterstützung Titos. P. übersetzte Marx' „Kommunistisches Manifest“, „Elend der Philosophie“ und, zusammen mit Rodoljub Čolaković, „Zur Kritik der politischen Ökonomie“ (erschienen unter den Pseudonymen: M. Porobić und R. Bosanac), aber auch Charles Baudelaire und Hanns Heinz Ewers (Alraune, erschienen Belgrad 1932). Bei seiner Kunstkritik befaßte er sich auch mit dem kroatischen Bildhauer Ivan Meštrović, dessen Werke er als Mischung verschiedenster Stilformen, als Ausdruck einer spezifischen Katholizität und von nationalem Heroismus, als programmlos und außerhalb und über der Wirklichkeit stehend bezeichnete. P.s ausgewählte Schriften erscheinen seit 1964 in Belgrad (bisher erschien Tom I/1-3).
Literatur
Nešović, Slobodan: Moša Pijade i njegovo vreme. Beograd 1968.
Lukač, Dušan: Radnički pokret u Jugoslaviji i nacionalno pitanje 1918-1941. Beograd 1972.
Čolaković, Rodoljub: Kazivanje o jednom pokoljenju. 3 Bde. Sarajevo, Beograd 1972.
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