Tito (Josip Broz), Präsident der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ), Präsident des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens (BdKJ) und Marschall Jugoslawiens, * Kumrovec 7.05.1892, † Ljubljana 4.05.1980.
Leben
Josip Broz kam als 7. Kind des kroatischen Bauern Franjo B. und seiner slowenischen Frau Marija, geb. Javersek, in einem Dorf nördlich von Zagreb am 7. Mai 1892 zur Welt. (Sein Geburtstag wird in Jugoslawien offiziell am 25. Mai gefeiert). Nach dem Besuch der vierklassigen Volksschule in Kumrovec und zeitweiliger Beschäftigung in dem kleinen Landwirtschaftsbetrieb des Vaters ging er 1907 nach Sisak, wo er den Mechanikerberuf erlernte. Nach Beendigung der Lehrzeit trat er der Metallarbeitergewerkschaft bei, wodurch er statutengemäß mit 20 Jahren automatisch Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Kroatiens und Slawoniens wurde. Zwischen Ende 1910 und Mitte 1913 wechselte er wiederholt seinen Arbeitsort und hielt sich u. a. in Pilsen, München, Mannheim, im Ruhrgebiet und in Wien bzw. Wiener Neustadt auf. Mit Erreichung des 21. Lebensjahres kehrte er nach Kroatien zurück, um den zweijährigen Militärdienst in der k. u. k. Armee abzuleisten. Ein dreiviertel Jahr nach Beginn des Ersten Weltkrieges geriet er an der Karpatenfront in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er nach der Februarrevolution 1917 nach St. Petersburg floh. Er fand zunächst Unterkunft bei einem polnischen Bolschewisten. Nach dessen Verhaftung versuchte er nach Finnland zu fliehen, wurde jedoch gestellt und vorübergehend in der Peter-Pauls-Festung inhaftiert. Während des Rücktransports in das Kriegsgefangenenlager gelang ihm ein zweites Mal die Flucht, doch mußte er sich auch noch nach der Oktoberrevolution 1917 und der damit verbundenen Aufhebung des Gefangenenstatus vorübergehend vor den „weißen“ Truppen Aleksandr Koltcaks verbergen. Erst im Herbst 1920 kehrte er in seine Heimat zurück, wo er zunächst als Schlosser in Zagreb und dann (1921-1925) als Mühlenaufseher in der Nähe von Bjelovar arbeitete.
Fast zwei Jahre vor Josip Broz’ Rückkehr war das neue Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen proklamiert worden. Unter Mitwirkung der aus Rußland zurückgekehrten Kriegsgefangenen hatten sich daraufhin im April 1919 verschiedene sozialistische Parteien und Gruppierungen aus den vormals getrennten Landesteilen zur Sozialistischen Arbeiterpartei Jugoslawiens (Kommunisten) zusammengeschlossen, die nach heftigen Flügelkämpfen auf dem II. Parteikongreß in Vukovar (20.--24.06.1920) ihre Umbenennung in KPJ und den Beitritt zur III. Internationale (Komintern) beschloß. Aus den Wahlen zur Konstituante Ende November 1920 ging sie mit 59 Mandaten (= 14% der Sitze) als drittstärkste Partei des Landes hervor. Bereits einen Monat später mußte sie jedoch nach einer Reihe von Streiks ihre legale Tätigkeit einstellen. Im Sommer 1921 wurde außerdem die Immunität der kommunistischen Parlamentsabgeordneten aufgehoben.
Zwar ist unklar, ob Josip Broz bereits in Rußland engere Kontakte zu jugoslawischen Kommunisten gehabt hat, doch steht fest, daß er im Oktober 1920 in die Zagreber Ortsgruppe der KPJ eintrat. Nach dem Parteiverbot scheint er sich zunächst abwartend verhalten zu haben. Erst Anfang 1924 wurde er in das Ortskomitee der illegalen KP in Križevci gewählt und begann im Auftrag der Partei, Betriebsstreiks in der Werft von Kraljeviča sowie in der Eisengießerei von Smederevska Palanka zu organisieren. Im Frühjahr 1927 ging er nach Zagreb und wurde zum Sekretär der lokalen Metallarbeitergewerkschaft sowie zum Mitglied des örtlichen Parteikomitees gewählt. Seit dieser Zeit war er ausschließlich als politischer Funktionär tätig. Ende Februar 1928 - nach einer kurzfristigen Inhaftierung - avancierte er zum Sekretär der Zagreber KP, wurde aber schon Anfang August wieder verhaftet und im November zu fünf Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Nach seiner Ent lassung im März 1934 wählten ihn die Genossen in das Parteikomitee der kroatischen KP. (Nach einigen Berichten habe es sich nur um eine Wiederernennung gehandelt, da er diese Position bereits vor seiner Verhaftung innegehabt habe). Zur etwa gleichen Zeit dürfte er auch den Decknamen „Tito“ angenommen haben.
Die KPJ hatte im Verlauf der 20 er und Anfang der 30 er Jahre sowohl infolge der Illegalität als auch vor allem wegen permanenter Fraktionskämpfe und einer dogmatischen Einstellung zur nationalen Frage im Lande (integraler „Jugoslawismus“) fast jeden Einfluß in der Heimat verloren. Das Zentralkomitee (ZK) versuchte seit April 1930 von Wien aus die Politik der Partei in Ausführung der Komintern-Beschlüsse zu leiten, konnte jedoch die Abwärtsentwicklung der Partei nicht aufhalten. Im August 1934 wurde T. in das ZK kooptiert. Im Frühjahr des folgenden Jahres begab er sich zur Schulung nach Moskau, wo er in der Balkan-Abteilung der Komintern tätig war und sich das besondere Vertrauen Georgi Dimitrovs erwarb.
Als am 9. September 1936 ein neues ZK der KPJ unter Generalsekretär Milan Gorkič bestellt wurde, erhielt T. die Position eines Organisationssekretärs. Mit dem Auftrag, Gorkič bei der Reorganisation der KPJ zu helfen und Freiwillige für den Spanischen Bürgerkrieg anzuwerben, verließ er Mitte Oktober 1936 Moskau und kehrte nach Jugoslawien zurück, wo er in den folgenden Monaten und Jahren den Wiederaufbau der Partei energisch in Angriff nahm. Von großer Bedeutung für die künftige Tätigkeit der KPJ war die Anerkennung der Einzelnationalismen in Jugoslawien und die Konstituierung von Gliederparteien auf nationaler Basis, der KP Sloweniens und der KP Kroatiens im April bzw. August 1937.
Nachdem Gorkič Anfang Juli 1937 in die sowjetische Hauptstadt gerufen worden war (wo er in der Folgezeit den stalinistischen „Säuberungen“ zum Opfer fiel), übernahm T. als Organisationssekretär die interimistische Leitung der Partei. Als auch er Mitte Oktober 1937 die Aufforderung erhielt, nach Moskau zu kommen, widersetzte er sich der Weisung, und der Befehl wurde anschließend (möglicherweise auf Initiative Dimitrovs) zurückgezogen. T. konnte auf diese Weise der stalinistischen „Säuberungswelle“ und damit dem Schicksal zahlreicher jugoslawischer Kommunisten entgehen. Erst im Sommer 1938 reiste er wieder nach Moskau, wo ihn Dimitrov nachhaltig unterstützte. Formell wurde er wahrscheinlich nicht vor Anfang 1939 zum Generalsekretär der KPJ ernannt. Moskau verließ er im März desselben Jahres, um den Auf- und Ausbau seiner Partei in der Heimat fortzuführen. Die Mitgliederzahl der KPJ, die in den 20 er Jahren auf unter 1000 abgesunken war, nahm wieder kontinuierlich zu. Aber bereits im Sommer 1939 wurde T. von Dimitrov angesichts der bevorstehenden internationalen Ereignisse abermals nach Moskau gerufen, wo er am 23. August (dem Tag der Unterzeichnung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts) eintraf und bis zum Januar 1940 verblieb.
Auf der V. Landeskonferenz der KPJ (der ersten nach 12 jähriger Konferenzpause) vom 19.-22. Oktober 1940 in Zagreb wurde T. in seinem Amt als Generalsekretär von der Partei bestätigt. Zugleich wurde ein Plan zur föderativen Umgestaltung Jugoslawiens ausgearbeitet und die Bereitschaft der Partei zur Verteidigung des Landes im Falle eines Angriffs von außen unterstrichen. In das neue Politbüro wurden neben T. der Slowene Edvard Kar delj, der Serbe Aleksandar Ranković, der Montenegriner Milovan Djilas, der Kroate Rade Končar, der Montenegriner Ivan Milutinovic und der Slowene Franc Leskošek gewählt. Vier Tage nach dem Angriff der Achsenmächte auf Jugoslawien wurde am 10. April 1941 in Zagreb ein Militärkomitee der KPJ mit T. an der Spitze gebildet, das sich um die Vorbereitungen eines späteren Aufstands bemühen sollte. Am 27. Juni 1941, nach Beginn des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion, rief das Politbüro der KPJ die Völker Jugoslawiens zum bewaffneten Widerstand auf und bildete unter der Leitung T.s den „Hauptstab der Volksbefreiungs- und Partisaneneinheiten“ als oberstes militärisches Führungsgremium. Bemühungen, eine Zusammenarbeit zwischen der von der KPJ organisierten „Volksbefreiungsbewegung“ (NOP) und der serbisch-monarchistischen Widerstandsbewegung (Četnici) des Draža Mihailovič herbeizuführen, scheiterten im Herbst 1941 und schlugen in einen regelrechten Bürgerkrieg um, in dem die T.-Bewegung schon bald die Oberhand gewann. Bereits Ende 1942 ging T. auch der Verwirklichung seines politischen Programms nach und rief eine Sitzung des „Antifaschistischen Rates der Volksbefreiung Jugoslawiens“ (Antifašističko veće narodnog oslobodjenja Jugoslavie = AVNOJ) für den 26.-27. November 1942 nach Bihać ein. Die Absicht, bereits zu diesem Zeitpunkt eine provisorische Regierung zu bilden, wurde jedoch nach dem Protest Stalins zunächst fallengelassen. Ein Jahr später, am 29. November 1943, trat der AVNOJ zu seiner 2. Sitzung in Jajce zusammen. Diesmal wurde - über Stalins Kopf hinweg - beschlossen, eine provisorische Regierung mit dem zum Marschall ernannten T. als Präsidenten und Verteidigungsminister an der Spitze zu bilden. Der Exilregierung in London wurde alle Regierungsgewalt abgesprochen, dem König die Rückkehr nach Jugoslawien untersagt und der Ausbau des Landes nach föderativen Grundsätzen in Angriff genommen. Stalin, der die Beschlüsse von Jajce als „Dolchstoß in den Rücken der Sowjetunion“ interpretierte, lenkte erst ein, nachdem die westliche Presse verständnisvoll reagiert hatte und auf der Teheraner Konferenz (28. XI.- 1.12.1943) die materielle Unterstützung T.s durch die Alliierten beschlossen worden war. Wenngleich die Autorität Stalins in der KPJ noch unangefochten war, hatten die Beziehungen zur UdSSR einen tiefen - vorerst noch verborgenen - Riß erhalten. Ende September 1944 traf T. in Moskau erstmals mit Stalin persönlich zusammen, nachdem er vorher bereits Churchill in Neapel getroffen hatte. Seine militärische Position im Lande war so gefestigt, daß er die Unterstützung der Roten Armee im Kampf gegen die deutsche Besatzungsmacht nur in sehr begrenztem Umfang (bei der Einnahme Belgrads) in Anspruch nahm. Obwohl er sich einer von den Briten gewünschten Verständigung mit der jugoslawischen Exilregierung in London (Tito-Subasic-Abkommen vom 1. November 1944) und der kurzfristigen Wiederbelebung einiger Vorkriegsparteien nicht widersetzte, hatte die KPJ bei Kriegsende faktisch alle Machtpositionen im Lande unter ihrer Kontrolle. Am 29. November 1945 - nach dem Sieg der von der KPJ geführten „Volksfront“ bei den vorangegangenen Wahlen - wurde die Föderative Volksrepublik Jugoslawien (FNRJ) mit T. als Ministerpräsident (bzw. nach der Verfassungsreform vom 13. Januar 1953 als Präsidenten der Republik und des Bundesexekutivrates) proklamiert und das Gesetzgebungswerk des AVNOJ bestätigt. Der bereits eingeleitete Umbau des Landes in eine „Volksdemokratie“ nach sowjetischem Muster wurde rasch und kompromißlos fortgeführt. Dennoch kam es im Frühjahr 1948 wegen sowjetischer Einmischungen in die jugoslawische Innenpolitik und vorangegangener „Eigenmächtigkeiten“ T.s in der Balkanpolitik zum Bruch mit Stalin und zum Ausschluß der KPJ aus dem Kominform (der Nachfolgeorganisation des Komintern) am 28. Juni 1948.
Der sowjetisch-jugoslawische Bruch führte innerhalb der KPJ zu einer programmatischen Umorientierung: Es wurde nicht nur der ideologische und politische Führungsanspruch Moskaus kritisiert, sondern auch das sowjetische System selbst mit seinem bürokratischen Etatismus, dem staatlichen Eigentum an den Produktionsmitteln und der Deformation der gesellschaftlichen Beziehungen in Frage gestellt. Mit dem „Grundgesetz über die Arbeiterselbstverwaltung“ vom 26. Juni 1950 (ausgebaut in der Verfassungsreform von 1953 und den späteren Verfassungen bis 1974) entwickelte die KPJ (die auf ihrem VI. Parteikongreß 1952 in BdKJ umbenannt wurde) ihr eigenes Sozialismusmodell auf der Grundlage des gesellschaftlichen Eigentums und versuchte, es mit dem Anspruch auf Gleichberechtigung aller sozialistischen und kommunistischen Parteien und einer blockfreien Außenpolitik gegen den Moskauer Zentrismus abzusichern. Das Verhältnis zwischen KPdSU und BdKJ entspannte sich zwar im Zuge der Entstalinisierung, war aber auch in der Folgezeit (vor allem anläßlich der sowjetischen Intervention in Ungarn 1956 und der Tschechoslowakei 1968) von starken Spannungen nicht frei, wenngleich die sowjetische Führung den Unabhängigkeitsanspruch der jugoslawischen Kommunisten und die internationale Reputation T.s auf die Dauer nicht negieren konnte.
Die von T. für den innerjugoslawischen Bereich proklamierte Trennung von Partei und Staat und der Abbau des Parteiapparates zugunsten einer unmittelbaren sozialistischen Demokratie wurde in der Praxis nur sehr zögernd in Angriff genommen. Der parteiliche Dezentralisierungsprozeß unterlag vielmehr mit Rücksicht auf die unter dem Stichwort des „Nationalismus“ oder „Liberalismus“ auftretenden innerparteilichen Gruppenbildungen und sonstigen Abweichungen (angefangen von Djilas über Rankovic bis zu den kroatischen „Nationalisten“ oder den serbischen „Liberalen“) erheblichen Schwankungen. Im Unterschied dazu wurde der staatliche Föderalisierungs- und Dezentralisierungsprozeß seit Erlaß der Verfassung vom 7. April 1963 konsequent von T. fortgeführt. Gleichzeitig wurde der Staat in SFRJ umbenannt und T. zum Präsidenten der Republik auf Lebenszeit bestellt. Das Amt des Ministerpräsidenten gab er dagegen 1963 ab. An der überragenden Position T.s als eines gesamtjugoslawischen Integrationsfaktors änderte auch die Verfassungsreform von 1971 (Schaffung eines kollegialen Staatspräsidiums) nichts, da T. das Amt des Präsidenten der Republik bzw. des Präsidenten des Präsidiums der SFRJ beibehielt (bestätigt in der neuen Verfassung vom 21.02.1974). In der Person T.s waren damit das höchste Staats- und das oberste Parteiamt personell miteinander verbunden. Dies entsprach - wie es in der Verfassung von 1974 heißt - „der geschichtlichen Rolle Josip Broz Titos im Volksbefreiungskrieg und in der sozialistischen Revolution, bei der Schaffung und Entwicklung der SFRJ, der Entwicklung der jugoslawischen sozialistischen Selbstverwaltungsgesellschaft, der Verwirklichung der Brüderlichkeit und Einheit der Völker und Völkerschaften Jugoslawiens, der Festigung der Unabhängigkeit des Landes und seiner Stellung in (den) internationalen Beziehungen sowie im Kampf um den Weltfrieden ...“
Literatur
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Naske, Karl Ernst: Tito, der eigene Weg. Kreuzweingarten 1964(2).
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Avakumović, Ivan: History of the Communist Party of Yugoslavia. Bd 1. Aberdeen 1964.
Vinterhalter, Vilko: Tito. Der Weg des Josip Broz. Wien 1969.
Auty, Phyllis: Tito. Staatsmann aus dem Widerstand. München, Gütersloh, Wien 1970.
Damjanović, Pero: Tito pred temama istorije. Beograd 1972.
Roberts, Walter R.: Tito, Mihailović and the Allies, 1941-1945. New Brunswick/N. J. 1973.
Josip Tito in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Dargest. von Gottfried Prunkl und Alex Rühle. Reinbeck b. Hamburg 1973.