Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

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Pikler, Gyula

Pikler, Gyula, ungarischer Rechtsphilosoph und Psychologe, * Temeschwar 21.05.1864, † Ecséd (Komitat Heves) 28.11.1937.

Leben

P. absolvierte seine juristischen Studien als Schüler des Rechtsgelehrten Ágost Pulszky an der Budapester Universität und habilitierte sich hier 1886 in Rechtsphilosophie. Von 1884 bis 1891 war er Bibliothekar, erhielt 1891 den Titel eines außerordentlichen Professors, wurde 1896 außerordentlicher und 1903 ordentlicher Professor für Rechtsphilosophie und internationale Rechtswissenschaft an der Universität Budapest. 1920 wurde er vom gegenrevolutionären System seines Postens enthoben. P. genoß als ungarischer Vertreter der positivistischen Staats- und Rechtsphilosophie internationalen Ruf, und seine Theorien übten auf die ungarische öffentliche Meinung eine große Wirkung aus. Von der organischen Gesellschaftstheorie Herbert Spencers ausgehend, entwickelte er seine sog. „Einsichtstheorie“, in derem Mittelpunkt der Gedanke stand, daß die treibende Kraft menschlichen Tuns und Handelns die Einsicht und Erkenntnis des Menschen in Bezug auf seine eigenen Bedürfnisse bilden, die von jedweden abstrakten oder absoluten Sitten, Wahrheit oder Glaube unabhängig seien. In seinem Hauptwerk „A jog keletkezéséről és fejlődéséről“ (Über die Entstehung und Entwicklung des Rechts, 1897) hat P. auch die Rechts- und Staatsentwicklung aus dieser Einsicht des Menschen abgeleitet mit einem gleichzeitigen Hinweis auf den geschichtlichen Ubergangscharakter des Nationalstaates.
P.s Lehrsätze sind zum Ausgangspunkt der ungarländischen positivistischen soziologischen Schule geworden, die von seinen Schülern unter der Leitung von Oszkár Jászi zum ideologischen und politischen Hauptmittel des bürgerlichen Radikalismus in Ungarn entwickelt worden ist. Als 1901 die „Soziologische Gesellschaft (Társadalomtudományi Társaság) unter der Präsidentschaft von Ágost Pulszky gegründet wurde, war P. Vizepräsident dieses die bürgerliche radikale Intelligenz um sich sammelnden Vereins; 1906 wurde er ihr Präsident. Sein Stellvertreter wurde der sozialistische Theoretiker Ervin Szabó und Generalsekretär Oszkár Jászi.  Das Organ der „Soziologischen Gesellschaft“ wurde die bereits ab 1900 erscheinende Zeitschrift „Huszadik Század" (Zwanzigstes Jahrhundert), die sich vorwiegend mit soziologischen, philosophischen und politischen Problemen befaßte. Außerdem war P. Ehrenpräsident der gemeinsamen Organisation der sozialistischen und radikalen akademischen Jugend, des 1908 gegründeten „Galilei-Kreises“ (Galilei-kör), und unterstützte ihren Kampf gegen konservativ-klerikal-chauvinistische Angriffe, deren Zielscheibe er selbst oft war.
Von 1910 an zog sich P. allmählich aus der Öffentlichkeit zurück und wandte sich immer mehr seinen psychologischen Forschungen zu. Nach 1920 widmete er sich auf seinem Landgut in Ecséd dem physiologischen und psychologischen Zusammenhang der Sinnesorgane und veröffentlichte seine Ergebnisse in Fachzeitschriften, die in Deutschland erschienen (Zeitschrift für Psychologie, Leipzig) und in seinem Sammelband unter dem Titel „Sinnespsychologische Untersuchungen“ (St. Moritz, Leipzig 1917).
Weitere Werke P.s, die sich mit rechtsphilosophischen Themen beschäftigen, sind: „A büntetőjog bölcseleté“ (Philosophie des Strafrechts, 1892) und „Az emberi egyesületek és különösen az állam keletkezése és fejlődése“ (Entstehung und Entwicklung der menschlichen Vereine, besonders des Staates, 1897).

Literatur

Pikler, Endre: Pikler Gyula életműve. In: Századunk 13 (1938) 53-71.
Szabó, Imre: A burzsoá állam- és jögbölcselet Magyarországon. Budapest 1955.
Horváth, Zoltán: Magyar századforduló. Budapest 1961 (deutsche Ausgabe: Die Jahrhundertwende in Ungarn. Neuwied a. Rhein, 1966, 120-136).
A szociológia első magyar műhelye. Hrsg. György Litván u. László Szücs. 2 Bde. Budapest 1973.
Sándor, Pál: A magyar filozófia története. 1900-1945. Bd 1. Budapest 1973.
Szabó, Imre: Pikler Gyula. Budapest 1973.

Verfasser

F. Mucsi


GND: 117687405

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Empfohlene Zitierweise: F. Mucsi, Pikler, Gyula, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 458-459 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1537, abgerufen am: (Abrufdatum)

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