Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas

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Szabó, Ervin

Szabó, Ervin, ungarischer sozialistischer Theoretiker, Soziologe und Bibliograph, * Szlanica (Komitat Árva) 23.08.1877, † Budapest 30.09.1918.

Leben

Sz. war Sohn einer jüdischen bürgerlichen Familie der nördlichen Karpathen-Region. Er absolvierte das Gymnasium in Ungvár und studierte danach Recht, Staatskunde, Ökonomie und Statistik in Budapest und Wien, wo er mit russischen Revolutionären Freundschaft schloß und auch selbst tief überzeugter Sozialist wurde. Heimgekehrt, schloß er sich 1899 der Sozialdemokratischen Partei Ungarns an und war drei Jahre lang ständiger Mitarbeiter des Parteiorgans „Népszava“ (Volksstimme). Als Beruf wählte er aber, um unabhängig bleiben zu können, das Bibliothekswesen. 1904 wurde er Gründer, 1911 Direktor der Budapester Städtischen Bibliothek, der ersten großen und öffentlichen sozialwissenschaftlichen Sammlung des Landes. Als Bibliograph verfolgte er mit ständiger Aufmerksamkeit die soziologische und volkswirtschaftliche Literatur seiner Zeit und bearbeitete sie in zahlreichen, zum Teil internationalen Bibliographien (z.B. „Bibliographia economica universalis“, Bruxelles 1902/03). Sz. führte auch das internationale Dezimal-System in Ungarn ein.
Ganz jung wurde Sz. zum Theoretiker der ungarischen Sozialdemokratischen Partei, ein berühmter Marx-Forscher seiner Zeit, Mitarbeiter der meisten europäischen soziologischen Zeitschriften, in Ungarn der erste Herausgeber und Kommentator ausgewählter Werke von Marx und Engels (Marx és Engels válogatott művei, 2 Bde, 1905/09), Lehrer der revolutionär gestimmten jüngeren Generation und Führer der Linksopposition. Seine Bestrebungen aber, die Partei zu reformieren und den Zentralismus darin zu mildern, scheiterten nach 1905. Sz. wandte sich besonders ab 1907 dem revolutionären Syndikalismus zu (vgl. sein Werk „Szindikalizmus és szociáldemokrácia“ [Syndikalismus und Sozialdemokratie], 1908), aber nach einem kurzfristigen Experiment in der syndikalistischen Bewegung zog er sich um 1911 endgültig von der Partei und der politischen Tätigkeit zurück. Dagegen verstärkte er seine wissenschaftliche Aktivität im Rahmen der 1901 gegründeten „Soziologischen Gesellschaft“ (Társadalomtudományi Társaság), die ihn 1907 zum Vizepräsidenten wählte, und deren Zeitschrift „Huszadik Század“ (Zwanzigstes Jahrhundert), deren Mitredakteur er schon seit 1903 war. Zusammen mit seinem Freund Oszkár Jászi wurde Sz. zur führenden Gestalt der Blütezeit der ungarischen Soziologie und der geistigen Erneuerung, ein Inspirator der antimilitaristischen Bewegungen während des Ersten Weltkrieges und ein ideologischer Vorbereiter der Revolution von 1918, die er nicht mehr erleben sollte. Als Denker war er schon früh, neben Marx, auch von Nietzsche und Pëtr Lavrov beeinflußt. Er war deshalb ein Gegner des strikten ökonomischen Determinismus und schrieb den Ideen und den Persönlichkeiten, d.h. den „subjektiven Elementen“, eine immer größere Rolle in der gesellschaftlichen Entwicklung zu. Auch als Gegner einer zentralisierten Macht und der politischen Institutionen suchte er die intellektuellen und moralischen Kräfte „als immer schneller wirkende Stoßkraft der gesellschaftlichen Entwicklung“ aufzubauen. In seinem Vortrag „Imperializmus és tartós béke“ (deutsch: Freihandel und Imperialismus, Graz 1918) lehnte er den Grundsatz des „absoluten Primats“ der Ökonomie ab und gelangte zu einer ethischen Schlußfolgerung. Als Historiker schilderte er die Geschichte der ungarischen Revolution und des Freiheitskampfes von 1848/49 zum ersten Mal unter dem Gesichtspunkt der gesellschaftlichen und Klassenverhältnisse (Társadalmi és pártharcok a 48-49-es magyar forradalomban [Parteien- und Klassenkämpfe in der ungarischen Revolution], Wien 1921).
Die Werke von Sz. erschienen in Auswahl (Válogatott írásai) und mit einer Bibliographie versehen 1958 in Budapest; ein Jahr später erschien ebenfalls in Budapest eine Sammlung der in ungarischer Sprache erschienenen bibliothekswissenschaftlichen und kulturpolitischen Artikel, Studien sowie Kritiken (Magyar nyelven megjelent könyvtártudományi, művelődéspolitikai cikkeinek, tanulmányaniak és kritikáinak gyűjteménye). 1977/78 erschien seine Korrespondenz in zwei Bänden (Szabó Ervin levelezése).

Literatur

Jászi, Oscar: Erwin Szabó und sein Werk. In: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung 10 (1921) 22-37.
Bikar, Fedora: Uloga Ervina Szabóa u radničkom pokretu Madjara i nemadjarskih naroda Ugarske od 1900 do 1918. In: Zbornik Historijskog Instituta JAZU 5 (1963) 223-346.
Litván, György: Szabó Ervin nemzetközi kapcsolatai - levélhagyatéka tükrében. In: Tört. Szle 7 (1964) 26-63.
Horváth, Zoltán: Die Jahrhundertwende in Ungarn. Geschichte der zweiten Reformgeneration (1896-1914). Neuwied am Rhein, Budapest 1966.
Süle, Tibor: Sozialdemokratie in Ungarn. Die Rolle der Intelligenz in der Arbeiterbewegung. Köln, Graz 1967.

Verfasser

György Litván (GND: 140533664)

GND: 119319381

Weiterführende Information (Deutsche Biographie): https://www.deutsche-biographie.de/pnd119319381.html


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Empfohlene Zitierweise: György Litván, Szabó, Ervin, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 4. Hgg. Mathias Bernath / Karl Nehring. München 1981, S. 243-245 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1727, abgerufen am: (Abrufdatum)

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