Pribićević, Svetozar, jugoslawischer Politiker, * Hrvatska Kostajnica 26.10. 1875, † Prag 15.09.1936.
Leben
Nach Beendigung des Realgymnasiums in Karlovac 1894 nahm P. das Studium der Mathematik und Physik in Zagreb auf. Sein politisches Engagement war während dieser Zeit auf eine Verständigung der Serben und Kroaten in den südslawischen Gebieten der Habsburgermonarchie ausgerichtet. In der Progressiven serbischen und kroatischen Jugendbewegung (Napredna srpska i hrvatska omladina) führte er den serbischen, Ivan Lorković den kroatischen Flügel. In einem programmatischen Artikel „Misao vodilja Srba i Hrvata“ (Leitgedanke der Serben und Kroaten, in: Narodna misao, 1897; als selbständige Broschüre nachgedruckt Belgrad 1940) entwickelte P. seine Ideologie von der ethnischen Einheit der Serben und Kroaten und setzte sich für eine Politik des nationalen Integralismus ein. Nach Beendigung der Studien 1898 wurde er Lehrer an der serbischen Schule in Pakrac, dann in Karlovac. 1902 übernahm er die Redaktion des „Novi Srbobran“ (Neue Serbenwehr), des Organs der Serbischen Unabhängigen Partei, die sich Ende 1905 mit den kroatischen Parteien zur kroatisch-serbischen Koalition zusammenschloß. Nachdem P. zunächst den serbischen Flügel der Koalition geführt hatte, wurde er nach dem Austritt Frano Supilos aus der Koalition (1910) deren Chef und damit einer der wichtigsten politischen Faktoren Vorkriegskroatiens. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde er trotz seiner „opportunistischen“ Politik gegenüber der Monarchie inhaftiert und später in Pest konfiniert.
Erst 1917 konnte P. nach Zagreb zurückkehren, wo er die im Landtag dominierende Koalition als deren Fraktionschef (Sekretär) — erst verhältnismäßig spät — im Oktober 1918 dem kroatischen Nationalrat anschloß, zu dessen Vizepräsidenten er anschließend gewählt wurde. Am 28. und 29. Oktober 1918 stellte er erst im Nationalrat und dann im kroatischen Landtag den Antrag auf Abbruch aller staatsrechtlichen Beziehungen Kroatiens mit Österreich und Ungarn (Konstituierung des Staates der Slowenen, Kroaten und Serben) und trug entscheidend zu dem am 24. November 1918 gefaßten Beschluß zur unmittelbaren Vereinigung mit dem Königreich Serbien (ohne weitere Verhandlungen über die staatliche Neuordnung) bei. Auf diese Weise verhinderte er eine dualistische oder föderalistische Lösung und machte sich Stjepan Radić zum erbitterten politischen Gegner.
In den ersten Regierungen des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen unter den Ministerpräsidenten Stojan Protić und Ljubomir Davidović übernahm P. das Innenministerium (7. XII. 1918 — 19. II. 1920), das er vorübergehend (21.7. — 03.12. 1921) auch in der Regierung Nikola Pašić innehatte. Außerdem war er wiederholt Bildungsminister (17.5.1920—18.7.1921, 24.12.1921—16.12.1922, 27.03.—27.07.1924 und 06.11. 1924—17.07.1925).
Auf einer Versammlung politischer Parteien und Gruppierungen aus den südslawischen Gebieten der ehemaligen k. u. k. Monarchie in Sarajevo bereitete P. am 15. Februar 1919 die Gründung einer „jugoslawischen“ Demokratischen Partei (Demokratska zajednica bzw. stranka) mit unitaristisch-zentralistischem Programm vor, deren Chef nach Kontaktaufnahme mit Parteien im ehemaligen Königreich Serbien aus taktischen Gründen jedoch nicht P., sondern Davidović wurde. So wie die neue Partei in nationaler Hinsicht einen integralen Jugoslawismus anstrebte, so vertrat sie hinsichtlich des staatlichen Aufbaus ein stark zentralistisches Programm, das P. als Innenminister mit äußerst repressiven Maßnahmen (vor allem gegenüber Radić und seiner Republikanischen Kroatischen Bauernpartei) durchzusetzen versuchte. In Zusammenarbeit mit Pašić und der Radikalen Partei hatte er außerdem wesentlichen Anteil an der Verabschiedung der zentralistischen Vidovdan-Verfassung von 1921.
Als Davidović in der Folgezeit aus parteipolitischen Erwägungen heraus (im Machtkampf mit der Radikalen Partei) die Neigung zu einer Milderung des Zentralismus und zur Verständigung mit Radić zeigte, trat P. am 26. März 1924 nach vorheriger Verständigung mit Pasić aus der Demokratischen Fraktion aus und konstituierte zusammen mit seinen Anhängern und der Radikalen Partei am 27. März den „Nationalen Block“. Da es diesem mit drei Regierungsbildungen (und einer Unterbrechung durch das Kabinett Davidović) aber nicht gelang, die kroatische Opposition zur Aufgabe ihrer parlamentarischen Abstinenz zu bewegen, entschloß sich Pašić in einer überraschenden taktischen Kehrtwendung zur Verständigung mit Radić (14.07.1925). P. wechselte daraufhin in die Opposition über, wo er bis zu seinem Lebensende verbleiben sollte. Der Versuch, die nach der Trennung von Davidović gegründete Selbständige Demokratische Partei (Samostalna demokratska stranka, SDS) zu einer starken gesamtjugoslawischen Partei nach den programmatischen Vorstellungen P.s auszubauen, erwies sich jedoch anläßlich der Wahlen von 1925 und 1927 als illusorisch. Die SDS entwickelte sich stattdessen zur führenden politischen Vertretung der Serben in Kroatien.
P. mußte auch bald erkennen, daß das von ihm mitbegründete zentralistische System nicht der Realisierung seiner „jugoslawischen“ Konzeption, sondern in erster Linie den Hegemonialbestrebungen der Parteien im ehemaligen Königreich Serbien zugutekam. Seine ständig wachsende Gegnerschaft gegen die großserbische und korrumpierende Politik der Radikalen Partei führte schließlich - trotz weiterhin bestehender grundsätzlicher politischer Unterschiede - am 11. November 1927 zum Bündnis mit dem ebenfalls wieder enttäuschenden Radić und zur Gründung der Koalition von SDS und kroatischer Bauernpartei (HSS) (Seljačko-demokratska koalicija). P. und Radić erblickten im großserbischen Hegemonialstreben die Quelle der permanenten politischen und staatlichen Krise, der sie zunächst durch die Forderung nach strikter Einhaltung der Vidovdan-Verfassung zu begegnen suchten. In der weiteren Einsicht jedoch, daß der dominierende serbische Einfluß nicht auf der Grundlage der zentralistischen Staatsordnung zu bekämpfen sei, sprachen sie sich zuerst für eine Revision und schließlich für die Aufgabe der Vidovdan-Verfassung aus. Die gemeinsame Opposition gegen das Belgrader Regime hatte daher bei P. - insbesondere nach dem Attentat auf Radić und dessen Tod (1928) - eine deutliche Transformation seiner politischen Auffassungen zur Folge, die sich u. a. in der zögernden Anerkennung der historisch-nationalen und staatlichen Individualität der Kroaten und dem Abrücken vom „jugoslawischen“ Integralismus manifestierte.
Nach Einführung der Diktatur durch König Alexander Karadjordjević (06.01.1929) und dem formalen Verbot der SDS (23.01.) wurde P. im Frühjahr 1929 verhaftet und in Brus (Serbien), später in einem Krankenhaus in Belgrad interniert. Nach einem Hungerstreik Ende Juli 1931 und der Intervention Tomáš Garrigue Masaryks erhielt er die Ausreisegenehmigung und ging ins Exil nach Prag, später nach Paris. In seinen Schriften machte er König Alexander persönlich für die innenpolitischen Spannungen in Jugoslawien verantwortlich (s. seine Abhandlungen „Pogledi na stanje u Jugoslaviji i njenu budućnost“ [Betrachtungen zur Lage Jugoslawiens und seiner Zukunft, Prag 1931] und „La dictature du roi Alexandre“, Paris 1933, in serbokroatischer Übersetzung „Diktatura kralja Aleksandra“, Beograd 1952, 1963, 2. Aufl.). Offen sprach er sich in dieser Zeit für den Föderalismus und (ab Mitte 1932) für eine republikanische Staatsverfassung aus und interpretierte auch dementsprechend die von der SDS-HSS-Koalition am 7. November 1932 angenommenen Zagreber Punktationen. Immer wieder forderte er aus dem Exil seine Partei und den Koalitionspartner unter Führung Vladimir Mačeks zu einer Verschärfung des politischen Kampfes im Lande auf.
Trotz der deutlichen Zäsur in P.s politischen Auffassungen wies sein Werdegang doch eine überzeugende innere Logik auf und machte ihn dadurch zu einem der interessantesten politischen Führer im Zwischenkriegsjugoslawien. Als Vertreter der Serben aus der ehemaligen Habsburgermonarchie kam ihm für die nationalen Auseinandersetzungen im neuen Staat eine Art Schlüsselposition zu, die er jedoch angesichts der starken politischen Widerstände aus dem ehemaligen Königreich Serbien nicht oder nur teilweise auszufüllen vermochte. Nach P.s Tod in Prag übernahm zunächst sein Bruder Adam P. (1880-1957), dann Srdjan Budisavljević die Führung der SDS.
Literatur
Kostić, Milan: Pribićević-Radić. Zagreb 1925.
Horvat, Josip: Politička povijest Hrvatske 1918-1929. Zagreb 1938.
Gross, Mirjana: Vladavina hrvatsko-srpske koalicije 1906-1907. Beograd 1960.
Matković, Hrvoje: Svetozar Pribićević u 1918. godini. In: Zbornik Historijskog instituta Slavonije 6 (1968) 245-256.
Stojkov, Todor: O spoljnopolitičkoj aktivnosti vodjstva Seljačko-demokratske koalicije uoči šestojanuarske diktature. In: Istorija 20 veka. Zbornik radova 9 (1968) 293-336.
Ders.: Internacija Svetozara Pribićevića (1929-1931). In: ebd. 12 (1972) 403-423.
Matković, Hrvoje: Svetozar Pribićević i Samostalna demokratska stranka do šestojanuarske diktature. Zagreb 1972.
Boban, Ljubo: Svetozar Pribićević u opoziciji (1928-1936). Zagreb 1973.